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Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867.

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Von der Schwere.
hältniss 1, 2, 3, und man beobachtet zugleich, dass, wenn die Schwin-
gungen hinreichend klein sind, bei jedem einzelnen Pendel die Schwin-
gungsdauer ungeändert bleibt, ob man die Amplitude grösser oder
kleiner nimmt. In dem mathematischen Ausdruck des Pendelgesetzes
liegen diese besonderen Gesetze sämmtlich eingeschlossen. Bezeichnet
man nämlich mit t die Zeit einer einzigen Hin- und Herbewegung,
also einer ganzen Schwingung, mit p die Zahl 3,1416, das Verhältniss
des Kreisumfangs zum Durchmesser, mit 1 die Pendellänge und mit
g die Beschleunigung durch die Schwere, so findet man:
[Formel 1]

Wie die Pendelbewegungen nur ein einzelner Fall der Schwin-
gungsbewegungen sind, so ist auch diese Gleichung nur eine Anwen-
dung des früher für die Schwingungen einer Masse um ihre Gleich-
gewichtslage allgemein abgeleiteten Gesetzes (§. 29).


56
Das physische
Pendel.

Das mathematische Pendel, bestehend aus einem gewichtslosen Faden mit einem
schweren Punkt an dessen Ende, ist eine Fiction, der sich die Wirklichkeit immer
nur mehr oder weniger annähert. Jeder einzelne Punkt eines physischen Pendels
bildet mit seiner Entfernung von der Drehungsaxe gewissermassen ein mathematisches
Pendel, dessen Schwingungsdauer der Quadratwurzel jener Entfernung proportional
ist. Das ganze physische Pendel kann man daher als zusammengesetzt aus unendlich
vielen mathematischen Pendeln betrachten, und es ist demnach klar, dass die Schwin-
gungsdauer desselben nicht etwa derjenigen des mathematischen Pendels von derselben
Länge gleich sein kann, sondern von der Vertheilung der das Pendel zusammensetzen-
den Massen in Bezug auf die Drehungsaxe abhängig ist.

Die Kraft, welche die Bewegung des physischen Pendels unterhält, ist die auf
alle Massenpunkte desselben wirkende Schwerkraft, also das Gewicht des Pendels, das
man sich vereinigt in dem Schwerpunkte vorstellen kann. Dieses Gewicht wirkt als
bewegende Kraft auf sämmtliche Massenpunkte und ertheilt jedem derselben eine Ge-
schwindigkeit, die proportional seiner Entfernung vom Drehungspunkt ist. Bezeich-
nen wir mit s die Distanz des Schwerpunktes vom Drehungspunkte und nennen wir
p die in jedem Augenblick veränderliche, in der Richtung der Tangente der Pendel-
bahn wirkende Componente des Gewichtes, so wird durch p. s das statische Moment
der auf den Schwerpunkt wirkenden Kraft ausgedrückt. Dieses ertheilt jedem Punkt
des Pendels eine lebendige Kraft, die dem Product der Masse des Punktes in das
Quadrat seiner Geschwindigkeit proportional ist. Da aber die Geschwindigkeit der
Entfernung des Punktes von der Drehungsaxe proportional sein muss, so ist klar,
dass die jedem Punkt mitgetheilte lebendige Kraft proportional dem Product der Masse
desselben in das Quadrat seiner Entfernung von der Drehungsaxe sein wird. Be-
zeichnen wir also die Massen zweier beliebiger Punkte mit m und m', ihre Entfer-
nungen von der Drehungsaxe mit r und r', so verhalten sich die in beiden Punkten
durch dasselbe statische Moment p. s erzeugten lebendigen Kräfte wie m r2 : m' r'2.
Wenn wir die Masse eines jeden Punktes von solcher Grösse wählen, dass die leben-
digen Kräfte einander gleich werden, dass also m r2 = m' r'2 ist, so besteht zwi-
schen den Massen die Proportion m : m' = r'2 : r2, d. h. Massen, welche in ver-
schiedenen Abständen von der Drehungsaxe dieselbe lebendige Kraft erlangen sollen,

Von der Schwere.
hältniss 1, 2, 3, und man beobachtet zugleich, dass, wenn die Schwin-
gungen hinreichend klein sind, bei jedem einzelnen Pendel die Schwin-
gungsdauer ungeändert bleibt, ob man die Amplitude grösser oder
kleiner nimmt. In dem mathematischen Ausdruck des Pendelgesetzes
liegen diese besonderen Gesetze sämmtlich eingeschlossen. Bezeichnet
man nämlich mit t die Zeit einer einzigen Hin- und Herbewegung,
also einer ganzen Schwingung, mit π die Zahl 3,1416, das Verhältniss
des Kreisumfangs zum Durchmesser, mit 1 die Pendellänge und mit
g die Beschleunigung durch die Schwere, so findet man:
[Formel 1]

Wie die Pendelbewegungen nur ein einzelner Fall der Schwin-
gungsbewegungen sind, so ist auch diese Gleichung nur eine Anwen-
dung des früher für die Schwingungen einer Masse um ihre Gleich-
gewichtslage allgemein abgeleiteten Gesetzes (§. 29).


56
Das physische
Pendel.

Das mathematische Pendel, bestehend aus einem gewichtslosen Faden mit einem
schweren Punkt an dessen Ende, ist eine Fiction, der sich die Wirklichkeit immer
nur mehr oder weniger annähert. Jeder einzelne Punkt eines physischen Pendels
bildet mit seiner Entfernung von der Drehungsaxe gewissermassen ein mathematisches
Pendel, dessen Schwingungsdauer der Quadratwurzel jener Entfernung proportional
ist. Das ganze physische Pendel kann man daher als zusammengesetzt aus unendlich
vielen mathematischen Pendeln betrachten, und es ist demnach klar, dass die Schwin-
gungsdauer desselben nicht etwa derjenigen des mathematischen Pendels von derselben
Länge gleich sein kann, sondern von der Vertheilung der das Pendel zusammensetzen-
den Massen in Bezug auf die Drehungsaxe abhängig ist.

Die Kraft, welche die Bewegung des physischen Pendels unterhält, ist die auf
alle Massenpunkte desselben wirkende Schwerkraft, also das Gewicht des Pendels, das
man sich vereinigt in dem Schwerpunkte vorstellen kann. Dieses Gewicht wirkt als
bewegende Kraft auf sämmtliche Massenpunkte und ertheilt jedem derselben eine Ge-
schwindigkeit, die proportional seiner Entfernung vom Drehungspunkt ist. Bezeich-
nen wir mit s die Distanz des Schwerpunktes vom Drehungspunkte und nennen wir
p die in jedem Augenblick veränderliche, in der Richtung der Tangente der Pendel-
bahn wirkende Componente des Gewichtes, so wird durch p. s das statische Moment
der auf den Schwerpunkt wirkenden Kraft ausgedrückt. Dieses ertheilt jedem Punkt
des Pendels eine lebendige Kraft, die dem Product der Masse des Punktes in das
Quadrat seiner Geschwindigkeit proportional ist. Da aber die Geschwindigkeit der
Entfernung des Punktes von der Drehungsaxe proportional sein muss, so ist klar,
dass die jedem Punkt mitgetheilte lebendige Kraft proportional dem Product der Masse
desselben in das Quadrat seiner Entfernung von der Drehungsaxe sein wird. Be-
zeichnen wir also die Massen zweier beliebiger Punkte mit m und m', ihre Entfer-
nungen von der Drehungsaxe mit r und r', so verhalten sich die in beiden Punkten
durch dasselbe statische Moment p. s erzeugten lebendigen Kräfte wie m r2 : m' r'2.
Wenn wir die Masse eines jeden Punktes von solcher Grösse wählen, dass die leben-
digen Kräfte einander gleich werden, dass also m r2 = m' r'2 ist, so besteht zwi-
schen den Massen die Proportion m : m' = r'2 : r2, d. h. Massen, welche in ver-
schiedenen Abständen von der Drehungsaxe dieselbe lebendige Kraft erlangen sollen,

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[78/0100] Von der Schwere. hältniss 1, 2, 3, und man beobachtet zugleich, dass, wenn die Schwin- gungen hinreichend klein sind, bei jedem einzelnen Pendel die Schwin- gungsdauer ungeändert bleibt, ob man die Amplitude grösser oder kleiner nimmt. In dem mathematischen Ausdruck des Pendelgesetzes liegen diese besonderen Gesetze sämmtlich eingeschlossen. Bezeichnet man nämlich mit t die Zeit einer einzigen Hin- und Herbewegung, also einer ganzen Schwingung, mit π die Zahl 3,1416, das Verhältniss des Kreisumfangs zum Durchmesser, mit 1 die Pendellänge und mit g die Beschleunigung durch die Schwere, so findet man: [FORMEL] Wie die Pendelbewegungen nur ein einzelner Fall der Schwin- gungsbewegungen sind, so ist auch diese Gleichung nur eine Anwen- dung des früher für die Schwingungen einer Masse um ihre Gleich- gewichtslage allgemein abgeleiteten Gesetzes (§. 29). Das mathematische Pendel, bestehend aus einem gewichtslosen Faden mit einem schweren Punkt an dessen Ende, ist eine Fiction, der sich die Wirklichkeit immer nur mehr oder weniger annähert. Jeder einzelne Punkt eines physischen Pendels bildet mit seiner Entfernung von der Drehungsaxe gewissermassen ein mathematisches Pendel, dessen Schwingungsdauer der Quadratwurzel jener Entfernung proportional ist. Das ganze physische Pendel kann man daher als zusammengesetzt aus unendlich vielen mathematischen Pendeln betrachten, und es ist demnach klar, dass die Schwin- gungsdauer desselben nicht etwa derjenigen des mathematischen Pendels von derselben Länge gleich sein kann, sondern von der Vertheilung der das Pendel zusammensetzen- den Massen in Bezug auf die Drehungsaxe abhängig ist. Die Kraft, welche die Bewegung des physischen Pendels unterhält, ist die auf alle Massenpunkte desselben wirkende Schwerkraft, also das Gewicht des Pendels, das man sich vereinigt in dem Schwerpunkte vorstellen kann. Dieses Gewicht wirkt als bewegende Kraft auf sämmtliche Massenpunkte und ertheilt jedem derselben eine Ge- schwindigkeit, die proportional seiner Entfernung vom Drehungspunkt ist. Bezeich- nen wir mit s die Distanz des Schwerpunktes vom Drehungspunkte und nennen wir p die in jedem Augenblick veränderliche, in der Richtung der Tangente der Pendel- bahn wirkende Componente des Gewichtes, so wird durch p. s das statische Moment der auf den Schwerpunkt wirkenden Kraft ausgedrückt. Dieses ertheilt jedem Punkt des Pendels eine lebendige Kraft, die dem Product der Masse des Punktes in das Quadrat seiner Geschwindigkeit proportional ist. Da aber die Geschwindigkeit der Entfernung des Punktes von der Drehungsaxe proportional sein muss, so ist klar, dass die jedem Punkt mitgetheilte lebendige Kraft proportional dem Product der Masse desselben in das Quadrat seiner Entfernung von der Drehungsaxe sein wird. Be- zeichnen wir also die Massen zweier beliebiger Punkte mit m und m', ihre Entfer- nungen von der Drehungsaxe mit r und r', so verhalten sich die in beiden Punkten durch dasselbe statische Moment p. s erzeugten lebendigen Kräfte wie m r2 : m' r'2. Wenn wir die Masse eines jeden Punktes von solcher Grösse wählen, dass die leben- digen Kräfte einander gleich werden, dass also m r2 = m' r'2 ist, so besteht zwi- schen den Massen die Proportion m : m' = r'2 : r2, d. h. Massen, welche in ver- schiedenen Abständen von der Drehungsaxe dieselbe lebendige Kraft erlangen sollen,

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/100>, abgerufen am 25.04.2024.