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Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867.

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Vorwort.
dies im Interesse eines zusammenhängenden wissenschaftlichen Ver-
ständnisses erforderlich scheint.

Bis jetzt ist meines Wissens vorzugsweise der erste dieser Wege
betreten worden. Ausser dem schätzenswerthen Werke von Adolf
Fick
, welchem das Verdienst zukommt, die medicinische Physik über-
haupt zum ersten Mal als besondern Wissenszweig behandelt zu ha-
ben, besitzen wir in dieser Richtung eine grössere Zahl einzelner Ar-
beiten über physikalische Diagnostik, Elektrotherapie, Theorie und
Praxis des Mikroskops u. s. w.

Der Verfasser dieses Handbuchs hat den zweiten Weg einzu-
schlagen versucht. Die Frage, ob die so gestellte Aufgabe nach
ihrer wissenschaftlichen Begrenzung berechtigt und nützlich sei, muss
das Werk selber beantworten. Der Plan desselben, schon vor länge-
rer Zeit entworfen, ist in dem Verfasser hauptsächlich aus Anlass der
Ausarbeitung seines Lehrbuchs der Physiologie, bei der er sich immer
mehr von der Nothwendigkeit einer grundlegenden und ergänzenden
physikalischen Darstellung zu überzeugen glaubte, zur Reife ge-
diehen.

Nach zwei Richtungen hin mussten der vorliegenden Arbeit ge-
wisse Grenzen gezogen werden. Nach der physikalischen Seite glaubte
der Verfasser Alles aussondern zu sollen, was nicht theils für die be-
sondern Anwendungen, theils für den stets festgehaltenen Zweck phy-
sikalischer Allgemeinbildung nothwendig schien. Hinsichtlich der me-
dicinischen Anwendungen dagegen glaubte er sich hinwiederum auf
die physikalische Begründung beschränken zu müssen, die weitere
Durchführung den betreffenden Zweigen der Physiologie und Medicin
überlassend. Wenn hier in der einen oder andern Richtung dem
Leser bald zu viel bald zu wenig geschehen sein sollte, so bitte ich
zu bedenken, wie schwierig die richtige Ausmessung eines kaum be-
grenzten Gebietes ist.

Längst hat sich mir die Ueberzeugung aufgedrängt, dass die
physikalische Vorbildung unserer Mediciner durchschnittlich in argem
Missverhältniss stehe zu den Anforderungen, welche die eigene Wis-
senschaft an sie stellt, und ich glaubte einen grossen Theil der Schuld
dem Umstande zuschreiben zu dürfen, dass die Darstellungen der
Physik, die wir besitzen, grossentheils den Techniker oder Chemiker
vor Augen haben, dem Mediciner aber die Wichtigkeit physikalischer
Vorbildung um so weniger fühlbar machen, als gerade diejenigen

Vorwort.
dies im Interesse eines zusammenhängenden wissenschaftlichen Ver-
ständnisses erforderlich scheint.

Bis jetzt ist meines Wissens vorzugsweise der erste dieser Wege
betreten worden. Ausser dem schätzenswerthen Werke von Adolf
Fick
, welchem das Verdienst zukommt, die medicinische Physik über-
haupt zum ersten Mal als besondern Wissenszweig behandelt zu ha-
ben, besitzen wir in dieser Richtung eine grössere Zahl einzelner Ar-
beiten über physikalische Diagnostik, Elektrotherapie, Theorie und
Praxis des Mikroskops u. s. w.

Der Verfasser dieses Handbuchs hat den zweiten Weg einzu-
schlagen versucht. Die Frage, ob die so gestellte Aufgabe nach
ihrer wissenschaftlichen Begrenzung berechtigt und nützlich sei, muss
das Werk selber beantworten. Der Plan desselben, schon vor länge-
rer Zeit entworfen, ist in dem Verfasser hauptsächlich aus Anlass der
Ausarbeitung seines Lehrbuchs der Physiologie, bei der er sich immer
mehr von der Nothwendigkeit einer grundlegenden und ergänzenden
physikalischen Darstellung zu überzeugen glaubte, zur Reife ge-
diehen.

Nach zwei Richtungen hin mussten der vorliegenden Arbeit ge-
wisse Grenzen gezogen werden. Nach der physikalischen Seite glaubte
der Verfasser Alles aussondern zu sollen, was nicht theils für die be-
sondern Anwendungen, theils für den stets festgehaltenen Zweck phy-
sikalischer Allgemeinbildung nothwendig schien. Hinsichtlich der me-
dicinischen Anwendungen dagegen glaubte er sich hinwiederum auf
die physikalische Begründung beschränken zu müssen, die weitere
Durchführung den betreffenden Zweigen der Physiologie und Medicin
überlassend. Wenn hier in der einen oder andern Richtung dem
Leser bald zu viel bald zu wenig geschehen sein sollte, so bitte ich
zu bedenken, wie schwierig die richtige Ausmessung eines kaum be-
grenzten Gebietes ist.

Längst hat sich mir die Ueberzeugung aufgedrängt, dass die
physikalische Vorbildung unserer Mediciner durchschnittlich in argem
Missverhältniss stehe zu den Anforderungen, welche die eigene Wis-
senschaft an sie stellt, und ich glaubte einen grossen Theil der Schuld
dem Umstande zuschreiben zu dürfen, dass die Darstellungen der
Physik, die wir besitzen, grossentheils den Techniker oder Chemiker
vor Augen haben, dem Mediciner aber die Wichtigkeit physikalischer
Vorbildung um so weniger fühlbar machen, als gerade diejenigen

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[IV/0010] Vorwort. dies im Interesse eines zusammenhängenden wissenschaftlichen Ver- ständnisses erforderlich scheint. Bis jetzt ist meines Wissens vorzugsweise der erste dieser Wege betreten worden. Ausser dem schätzenswerthen Werke von Adolf Fick, welchem das Verdienst zukommt, die medicinische Physik über- haupt zum ersten Mal als besondern Wissenszweig behandelt zu ha- ben, besitzen wir in dieser Richtung eine grössere Zahl einzelner Ar- beiten über physikalische Diagnostik, Elektrotherapie, Theorie und Praxis des Mikroskops u. s. w. Der Verfasser dieses Handbuchs hat den zweiten Weg einzu- schlagen versucht. Die Frage, ob die so gestellte Aufgabe nach ihrer wissenschaftlichen Begrenzung berechtigt und nützlich sei, muss das Werk selber beantworten. Der Plan desselben, schon vor länge- rer Zeit entworfen, ist in dem Verfasser hauptsächlich aus Anlass der Ausarbeitung seines Lehrbuchs der Physiologie, bei der er sich immer mehr von der Nothwendigkeit einer grundlegenden und ergänzenden physikalischen Darstellung zu überzeugen glaubte, zur Reife ge- diehen. Nach zwei Richtungen hin mussten der vorliegenden Arbeit ge- wisse Grenzen gezogen werden. Nach der physikalischen Seite glaubte der Verfasser Alles aussondern zu sollen, was nicht theils für die be- sondern Anwendungen, theils für den stets festgehaltenen Zweck phy- sikalischer Allgemeinbildung nothwendig schien. Hinsichtlich der me- dicinischen Anwendungen dagegen glaubte er sich hinwiederum auf die physikalische Begründung beschränken zu müssen, die weitere Durchführung den betreffenden Zweigen der Physiologie und Medicin überlassend. Wenn hier in der einen oder andern Richtung dem Leser bald zu viel bald zu wenig geschehen sein sollte, so bitte ich zu bedenken, wie schwierig die richtige Ausmessung eines kaum be- grenzten Gebietes ist. Längst hat sich mir die Ueberzeugung aufgedrängt, dass die physikalische Vorbildung unserer Mediciner durchschnittlich in argem Missverhältniss stehe zu den Anforderungen, welche die eigene Wis- senschaft an sie stellt, und ich glaubte einen grossen Theil der Schuld dem Umstande zuschreiben zu dürfen, dass die Darstellungen der Physik, die wir besitzen, grossentheils den Techniker oder Chemiker vor Augen haben, dem Mediciner aber die Wichtigkeit physikalischer Vorbildung um so weniger fühlbar machen, als gerade diejenigen

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. IV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/10>, abgerufen am 29.03.2024.