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Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896.

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Einleitung.
schon durch die natürliche Entstehungsweise der psychischen
Processe, ebenso gut wie die Physik und Physiologie, auf
das experimentelle Verfahren angewiesen. Eine Empfindung
entsteht in uns unter den für die Beobachtung günstigsten
Bedingungen, wenn sie durch einen äußeren Sinnesreiz, eine
Tonempfindung z. B. durch eine äußere Tonbewegung, eine
Lichtempfindung durch einen äußeren Lichteindruck, erregt
wird. Die Vorstellung eines Gegenstandes wird ursprünglich
stets durch ein mehr oder minder verwickeltes Zusammen-
wirken äußerer Sinnesreize hervorgebracht. Wollen wir die
psychologische Bildungsweise einer Vorstellung studiren, so
werden wir daher keinen andern Weg wählen können als
den, dass wir diese natürliche Entstehungsweise der Vor-
stellung nachahmen, wodurch wir zugleich den großen Vor-
theil genießen, durch willkürlich veränderte Combination
der bei einer Vorstellung zusammenwirkenden Eindrücke die
Vorstellung selbst zu verändern und so über den Einfluss,
den jede einzelne Bedingung auf das entstehende Product
ausübt, Aufschluss zu erhalten. Erinnerungsvorstellungen
werden zwar nicht direct durch äußere Sinneseindrücke
hervorgerufen, sondern sie folgen solchen erst nach kürzerer
oder längerer Zeit. Aber es ist klar, dass man auch über
ihre Eigenschaften und namentlich über ihr Verhältniss zu
den durch directe Eindrücke erweckten primären Vorstellungen
am sichersten Aufschluss erhält, wenn man sich nicht auf
ihren zufälligen Eintritt verlässt, sondern solche Erinnerungs-
vorstellungen benutzt, die in einer experimentell geregelten
Weise durch vorangehende Eindrücke veranlasst werden.
Nicht anders verhält es sich schließlich mit den Gefühlen,
den Willensvorgängen: man wird sie in der für eine exacte
Untersuchung geeignetsten Beschaffenheit herstellen, wenn
man willkürlich diejenigen Einwirkungen hervorbringt, die
erfahrungsgemäß regelmäßig mit Gefühls- und Willens-

Einleitung.
schon durch die natürliche Entstehungsweise der psychischen
Processe, ebenso gut wie die Physik und Physiologie, auf
das experimentelle Verfahren angewiesen. Eine Empfindung
entsteht in uns unter den für die Beobachtung günstigsten
Bedingungen, wenn sie durch einen äußeren Sinnesreiz, eine
Tonempfindung z. B. durch eine äußere Tonbewegung, eine
Lichtempfindung durch einen äußeren Lichteindruck, erregt
wird. Die Vorstellung eines Gegenstandes wird ursprünglich
stets durch ein mehr oder minder verwickeltes Zusammen-
wirken äußerer Sinnesreize hervorgebracht. Wollen wir die
psychologische Bildungsweise einer Vorstellung studiren, so
werden wir daher keinen andern Weg wählen können als
den, dass wir diese natürliche Entstehungsweise der Vor-
stellung nachahmen, wodurch wir zugleich den großen Vor-
theil genießen, durch willkürlich veränderte Combination
der bei einer Vorstellung zusammenwirkenden Eindrücke die
Vorstellung selbst zu verändern und so über den Einfluss,
den jede einzelne Bedingung auf das entstehende Product
ausübt, Aufschluss zu erhalten. Erinnerungsvorstellungen
werden zwar nicht direct durch äußere Sinneseindrücke
hervorgerufen, sondern sie folgen solchen erst nach kürzerer
oder längerer Zeit. Aber es ist klar, dass man auch über
ihre Eigenschaften und namentlich über ihr Verhältniss zu
den durch directe Eindrücke erweckten primären Vorstellungen
am sichersten Aufschluss erhält, wenn man sich nicht auf
ihren zufälligen Eintritt verlässt, sondern solche Erinnerungs-
vorstellungen benutzt, die in einer experimentell geregelten
Weise durch vorangehende Eindrücke veranlasst werden.
Nicht anders verhält es sich schließlich mit den Gefühlen,
den Willensvorgängen: man wird sie in der für eine exacte
Untersuchung geeignetsten Beschaffenheit herstellen, wenn
man willkürlich diejenigen Einwirkungen hervorbringt, die
erfahrungsgemäß regelmäßig mit Gefühls- und Willens-

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[26/0042] Einleitung. schon durch die natürliche Entstehungsweise der psychischen Processe, ebenso gut wie die Physik und Physiologie, auf das experimentelle Verfahren angewiesen. Eine Empfindung entsteht in uns unter den für die Beobachtung günstigsten Bedingungen, wenn sie durch einen äußeren Sinnesreiz, eine Tonempfindung z. B. durch eine äußere Tonbewegung, eine Lichtempfindung durch einen äußeren Lichteindruck, erregt wird. Die Vorstellung eines Gegenstandes wird ursprünglich stets durch ein mehr oder minder verwickeltes Zusammen- wirken äußerer Sinnesreize hervorgebracht. Wollen wir die psychologische Bildungsweise einer Vorstellung studiren, so werden wir daher keinen andern Weg wählen können als den, dass wir diese natürliche Entstehungsweise der Vor- stellung nachahmen, wodurch wir zugleich den großen Vor- theil genießen, durch willkürlich veränderte Combination der bei einer Vorstellung zusammenwirkenden Eindrücke die Vorstellung selbst zu verändern und so über den Einfluss, den jede einzelne Bedingung auf das entstehende Product ausübt, Aufschluss zu erhalten. Erinnerungsvorstellungen werden zwar nicht direct durch äußere Sinneseindrücke hervorgerufen, sondern sie folgen solchen erst nach kürzerer oder längerer Zeit. Aber es ist klar, dass man auch über ihre Eigenschaften und namentlich über ihr Verhältniss zu den durch directe Eindrücke erweckten primären Vorstellungen am sichersten Aufschluss erhält, wenn man sich nicht auf ihren zufälligen Eintritt verlässt, sondern solche Erinnerungs- vorstellungen benutzt, die in einer experimentell geregelten Weise durch vorangehende Eindrücke veranlasst werden. Nicht anders verhält es sich schließlich mit den Gefühlen, den Willensvorgängen: man wird sie in der für eine exacte Untersuchung geeignetsten Beschaffenheit herstellen, wenn man willkürlich diejenigen Einwirkungen hervorbringt, die erfahrungsgemäß regelmäßig mit Gefühls- und Willens-

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/42>, abgerufen am 29.03.2024.