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Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896.

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Einleitung.
vorausgesetzten Eigenschaften der äußeren Gegenstände auf
die Vorstellungen derselben annimmt. Die Anerkennung der
unmittelbaren Realität der psychologischen Erfahrung
schließt nämlich von selbst jeden Versuch, bestimmte Be-
standtheile des psychischen Geschehens aus andern, von
ihnen specifisch verschiedenen abzuleiten, ebenso aus, wie
die analogen Versuche der metaphysischen Psychologie, die
psychologische Erfahrung überhaupt auf von ihr verschiedene
imaginäre Processe eines hypothetischen Substrates zurück-
zuführen, mit der wirklichen Aufgabe der Psychologie im
Widerspruch stehen. Indem sich diese Aufgabe auf die
unmittelbare Erfahrung bezieht, verbindet sie sich aber
auch von vornherein mit der Voraussetzung, dass jeder
psychische Erfahrungsinhalt gleichzeitig objective und sub-
jective Factoren enthält, wobei diese immer nur durch
willkürliche Abstraction zu unterscheiden sind, niemals als
real geschiedene Vorgänge vorkommen können. In der
That zeigt die unmittelbare Erfahrung, dass es ebenso
wenig Vorstellungen gibt, die nicht Gefühle und Triebe von
verschiedener Stärke in uns erregen, wie ein Fühlen und
Wollen möglich ist, das sich nicht auf irgend welche vor-
gestellte Gegenstände bezöge.

10. Die leitenden Principien der in dem Folgenden fest-
zuhaltenden psychologischen Grundanschauung können wir
hiernach in die drei Sätze zusammenfassen:

1) Die innere oder psychologische Erfahrung ist kein
besonderes Erfahrungsgebiet neben andern, sondern sie ist
die unmittelbare Erfahrung überhaupt.

2) Diese unmittelbare Erfahrung ist kein ruhender Inhalt,
sondern ein Zusammenhang von Vorgängen; sie be-
steht nicht aus Objecten, sondern aus Processen, nämlich
aus den allgemeingültigen menschlichen Erleb-
nissen
und ihren gesetzmäßigen Beziehungen.

Einleitung.
vorausgesetzten Eigenschaften der äußeren Gegenstände auf
die Vorstellungen derselben annimmt. Die Anerkennung der
unmittelbaren Realität der psychologischen Erfahrung
schließt nämlich von selbst jeden Versuch, bestimmte Be-
standtheile des psychischen Geschehens aus andern, von
ihnen specifisch verschiedenen abzuleiten, ebenso aus, wie
die analogen Versuche der metaphysischen Psychologie, die
psychologische Erfahrung überhaupt auf von ihr verschiedene
imaginäre Processe eines hypothetischen Substrates zurück-
zuführen, mit der wirklichen Aufgabe der Psychologie im
Widerspruch stehen. Indem sich diese Aufgabe auf die
unmittelbare Erfahrung bezieht, verbindet sie sich aber
auch von vornherein mit der Voraussetzung, dass jeder
psychische Erfahrungsinhalt gleichzeitig objective und sub-
jective Factoren enthält, wobei diese immer nur durch
willkürliche Abstraction zu unterscheiden sind, niemals als
real geschiedene Vorgänge vorkommen können. In der
That zeigt die unmittelbare Erfahrung, dass es ebenso
wenig Vorstellungen gibt, die nicht Gefühle und Triebe von
verschiedener Stärke in uns erregen, wie ein Fühlen und
Wollen möglich ist, das sich nicht auf irgend welche vor-
gestellte Gegenstände bezöge.

10. Die leitenden Principien der in dem Folgenden fest-
zuhaltenden psychologischen Grundanschauung können wir
hiernach in die drei Sätze zusammenfassen:

1) Die innere oder psychologische Erfahrung ist kein
besonderes Erfahrungsgebiet neben andern, sondern sie ist
die unmittelbare Erfahrung überhaupt.

2) Diese unmittelbare Erfahrung ist kein ruhender Inhalt,
sondern ein Zusammenhang von Vorgängen; sie be-
steht nicht aus Objecten, sondern aus Processen, nämlich
aus den allgemeingültigen menschlichen Erleb-
nissen
und ihren gesetzmäßigen Beziehungen.

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[18/0034] Einleitung. vorausgesetzten Eigenschaften der äußeren Gegenstände auf die Vorstellungen derselben annimmt. Die Anerkennung der unmittelbaren Realität der psychologischen Erfahrung schließt nämlich von selbst jeden Versuch, bestimmte Be- standtheile des psychischen Geschehens aus andern, von ihnen specifisch verschiedenen abzuleiten, ebenso aus, wie die analogen Versuche der metaphysischen Psychologie, die psychologische Erfahrung überhaupt auf von ihr verschiedene imaginäre Processe eines hypothetischen Substrates zurück- zuführen, mit der wirklichen Aufgabe der Psychologie im Widerspruch stehen. Indem sich diese Aufgabe auf die unmittelbare Erfahrung bezieht, verbindet sie sich aber auch von vornherein mit der Voraussetzung, dass jeder psychische Erfahrungsinhalt gleichzeitig objective und sub- jective Factoren enthält, wobei diese immer nur durch willkürliche Abstraction zu unterscheiden sind, niemals als real geschiedene Vorgänge vorkommen können. In der That zeigt die unmittelbare Erfahrung, dass es ebenso wenig Vorstellungen gibt, die nicht Gefühle und Triebe von verschiedener Stärke in uns erregen, wie ein Fühlen und Wollen möglich ist, das sich nicht auf irgend welche vor- gestellte Gegenstände bezöge. 10. Die leitenden Principien der in dem Folgenden fest- zuhaltenden psychologischen Grundanschauung können wir hiernach in die drei Sätze zusammenfassen: 1) Die innere oder psychologische Erfahrung ist kein besonderes Erfahrungsgebiet neben andern, sondern sie ist die unmittelbare Erfahrung überhaupt. 2) Diese unmittelbare Erfahrung ist kein ruhender Inhalt, sondern ein Zusammenhang von Vorgängen; sie be- steht nicht aus Objecten, sondern aus Processen, nämlich aus den allgemeingültigen menschlichen Erleb- nissen und ihren gesetzmäßigen Beziehungen.

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/34>, abgerufen am 28.03.2024.