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Wrangel, Carl Gustav: Das Luxus-Fuhrwerk. Stuttgart, 1898.

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Die zweispännigen Luxus-Equipagen.
ein recht stattliches wird. Manche Herren ziehen es vor, ihre
Pferde ohne Aufsatzzügel zu fahren. Dies ist jedoch nur bei
leichten Pferden (Jucker) von regem, feurigem Temperament
zulässig. Bei schweren Pferden, sog. Karrossiers, darf
das Aufsetzen niemals unterlassen werden
."

Sollten wirklich alle diese alten Praktiker, die dem Fahren
ihr ganzes Leben hindurch mit Passion obgelegen sind, den von
den Theoretikern als "Torturinstrument" bezeichneten Hilfszügel
ohne jeden reellen Grund so warm empfohlen haben? Das wird
sich doch gewiss niemand einreden lassen. Missbraucht können
freilich auch die nützlichsten Dinge werden. Weniger nützlich
sind sie aber darum doch nicht.

Der Zweck der Aufsatzzügel ist, wie bereits erwähnt, ein
doppelter. Zuerst sollen sie verhindern, dass das Pferd bei
zweispänniger Anspannung das Gebiss an die Deichsel festhakt
und sich dann das Kopfgeschirr abstreift. Dies ist nun allerdings
kaum zu befürchten, wenn die Fahrt ohne Aufenthalt bis ans
Ziel fortgesetzt wird; beim Stadtdienst und wenn die Fahrenden
Besuche machen oder Einkäufe besorgen, kann es aber sehr
leicht vorkommen. Die Pferde schwitzen unter dem Geschirr,
und ganz besonders wird man unter dem Kopfgestell stets eine
bedeutende Schweissbildung wahrnehmen können. Dies giebt
nun Anlass zu einem mehr oder weniger irritierenden Hautjucken,
auch lockt der Schweiss die Fliegen herbei; es ist daher nicht
zu verwundern, dass das Tier ein Verlangen darnach spürt, sich
an irgend einem festen Gegenstand zu scheuern und da die
Deichsel ihm am nächsten liegt, wird sie auch in erster Reihe
hierzu benützt werden. Der Aufsatzzügel setzt diesem an und
für sich ganz natürlichen, aber mit grossen Gefahren verknüpften
Begehren bestimmte Grenzen. Ferner verleiht er dem Kutscher
grössere Macht über hartmäulige, scharf ins Zeug gehende Pferde.
Die direkte Wirkung dieses Zügels ist nämlich, dem Pferde den
Kopf höher zu stellen. Dadurch wird aber auch der Gang des
Tieres verkürzt, mehr versammelt, und das Durchgehen er-

Die zweispännigen Luxus-Equipagen.
ein recht stattliches wird. Manche Herren ziehen es vor, ihre
Pferde ohne Aufsatzzügel zu fahren. Dies ist jedoch nur bei
leichten Pferden (Jucker) von regem, feurigem Temperament
zulässig. Bei schweren Pferden, sog. Karrossiers, darf
das Aufsetzen niemals unterlassen werden
.“

Sollten wirklich alle diese alten Praktiker, die dem Fahren
ihr ganzes Leben hindurch mit Passion obgelegen sind, den von
den Theoretikern als „Torturinstrument“ bezeichneten Hilfszügel
ohne jeden reellen Grund so warm empfohlen haben? Das wird
sich doch gewiss niemand einreden lassen. Missbraucht können
freilich auch die nützlichsten Dinge werden. Weniger nützlich
sind sie aber darum doch nicht.

Der Zweck der Aufsatzzügel ist, wie bereits erwähnt, ein
doppelter. Zuerst sollen sie verhindern, dass das Pferd bei
zweispänniger Anspannung das Gebiss an die Deichsel festhakt
und sich dann das Kopfgeschirr abstreift. Dies ist nun allerdings
kaum zu befürchten, wenn die Fahrt ohne Aufenthalt bis ans
Ziel fortgesetzt wird; beim Stadtdienst und wenn die Fahrenden
Besuche machen oder Einkäufe besorgen, kann es aber sehr
leicht vorkommen. Die Pferde schwitzen unter dem Geschirr,
und ganz besonders wird man unter dem Kopfgestell stets eine
bedeutende Schweissbildung wahrnehmen können. Dies giebt
nun Anlass zu einem mehr oder weniger irritierenden Hautjucken,
auch lockt der Schweiss die Fliegen herbei; es ist daher nicht
zu verwundern, dass das Tier ein Verlangen darnach spürt, sich
an irgend einem festen Gegenstand zu scheuern und da die
Deichsel ihm am nächsten liegt, wird sie auch in erster Reihe
hierzu benützt werden. Der Aufsatzzügel setzt diesem an und
für sich ganz natürlichen, aber mit grossen Gefahren verknüpften
Begehren bestimmte Grenzen. Ferner verleiht er dem Kutscher
grössere Macht über hartmäulige, scharf ins Zeug gehende Pferde.
Die direkte Wirkung dieses Zügels ist nämlich, dem Pferde den
Kopf höher zu stellen. Dadurch wird aber auch der Gang des
Tieres verkürzt, mehr versammelt, und das Durchgehen er-

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[85/0099] Die zweispännigen Luxus-Equipagen. ein recht stattliches wird. Manche Herren ziehen es vor, ihre Pferde ohne Aufsatzzügel zu fahren. Dies ist jedoch nur bei leichten Pferden (Jucker) von regem, feurigem Temperament zulässig. Bei schweren Pferden, sog. Karrossiers, darf das Aufsetzen niemals unterlassen werden.“ Sollten wirklich alle diese alten Praktiker, die dem Fahren ihr ganzes Leben hindurch mit Passion obgelegen sind, den von den Theoretikern als „Torturinstrument“ bezeichneten Hilfszügel ohne jeden reellen Grund so warm empfohlen haben? Das wird sich doch gewiss niemand einreden lassen. Missbraucht können freilich auch die nützlichsten Dinge werden. Weniger nützlich sind sie aber darum doch nicht. Der Zweck der Aufsatzzügel ist, wie bereits erwähnt, ein doppelter. Zuerst sollen sie verhindern, dass das Pferd bei zweispänniger Anspannung das Gebiss an die Deichsel festhakt und sich dann das Kopfgeschirr abstreift. Dies ist nun allerdings kaum zu befürchten, wenn die Fahrt ohne Aufenthalt bis ans Ziel fortgesetzt wird; beim Stadtdienst und wenn die Fahrenden Besuche machen oder Einkäufe besorgen, kann es aber sehr leicht vorkommen. Die Pferde schwitzen unter dem Geschirr, und ganz besonders wird man unter dem Kopfgestell stets eine bedeutende Schweissbildung wahrnehmen können. Dies giebt nun Anlass zu einem mehr oder weniger irritierenden Hautjucken, auch lockt der Schweiss die Fliegen herbei; es ist daher nicht zu verwundern, dass das Tier ein Verlangen darnach spürt, sich an irgend einem festen Gegenstand zu scheuern und da die Deichsel ihm am nächsten liegt, wird sie auch in erster Reihe hierzu benützt werden. Der Aufsatzzügel setzt diesem an und für sich ganz natürlichen, aber mit grossen Gefahren verknüpften Begehren bestimmte Grenzen. Ferner verleiht er dem Kutscher grössere Macht über hartmäulige, scharf ins Zeug gehende Pferde. Die direkte Wirkung dieses Zügels ist nämlich, dem Pferde den Kopf höher zu stellen. Dadurch wird aber auch der Gang des Tieres verkürzt, mehr versammelt, und das Durchgehen er-

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Zitationshilfe: Wrangel, Carl Gustav: Das Luxus-Fuhrwerk. Stuttgart, 1898, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wrangel_luxusfuhrwerk_1898/99>, abgerufen am 19.04.2024.