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F. v. W. [Margarethe von Wolff]: Gemüth und Selbstsucht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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kelheit unsere Veranstaltungen, ich wußte kaum mehr wo mir der Kopf stand; jedes Stück war wenigstens zehnmal umgesetzt. Daß hier mehr als ein Vetter erwartet werde, muthmaßte ich so ziemlich, aber nie hatte ich erfahren, daß man so fürchten kann, was unsere Liebe erweckt hat.

Spät am Abend traf R. ein; daß er es war, erriethest du längst. Sein erster Blick war für Sophie, sein erster Gruß für den Oheim. Ich habe oft darüber nachgedacht, wie es möglich sein mag, selbst in einem mit Menschen angefüllten Raum, gleich beim Eintreten in denselben auf die Augen zu treffen, welche man sucht. Das sind unerklärliche geistige Befähigungen, und freundlich scheint mir der Gedanke, daß es Gefühle giebt, welche Kräfte der Seele wecken, die uns unbewußt in uns schlummern.

Mich bewegte R.'s Anblick tief, ein geliebter Schatten zog an meinem innern Blick vorüber; die unerklärliche Erschütterung, die uns erfaßt, wenn wir, selbst vorbereitet, wiedersehen was uns einst lieb, vielleicht das Liebste war, das Alles ergriff mich mit unwiderstehlicher Gewalt. Nur für einen Augenblick, dann hob ich den Blick frei und ruhig empor. Sei es, daß er fürchtete, ich werde Sophien verrathen, wie sehr er sich bemüht habe, mir zu gefallen, sei es, daß bei dem Bewußtsein, mich in glücklicher Lage zu wissen, dieses übermüthige Herz die Erinnerung an eine erlittene Kränkung wieder aufnahm, sein Benehmen gegen mich war

kelheit unsere Veranstaltungen, ich wußte kaum mehr wo mir der Kopf stand; jedes Stück war wenigstens zehnmal umgesetzt. Daß hier mehr als ein Vetter erwartet werde, muthmaßte ich so ziemlich, aber nie hatte ich erfahren, daß man so fürchten kann, was unsere Liebe erweckt hat.

Spät am Abend traf R. ein; daß er es war, erriethest du längst. Sein erster Blick war für Sophie, sein erster Gruß für den Oheim. Ich habe oft darüber nachgedacht, wie es möglich sein mag, selbst in einem mit Menschen angefüllten Raum, gleich beim Eintreten in denselben auf die Augen zu treffen, welche man sucht. Das sind unerklärliche geistige Befähigungen, und freundlich scheint mir der Gedanke, daß es Gefühle giebt, welche Kräfte der Seele wecken, die uns unbewußt in uns schlummern.

Mich bewegte R.'s Anblick tief, ein geliebter Schatten zog an meinem innern Blick vorüber; die unerklärliche Erschütterung, die uns erfaßt, wenn wir, selbst vorbereitet, wiedersehen was uns einst lieb, vielleicht das Liebste war, das Alles ergriff mich mit unwiderstehlicher Gewalt. Nur für einen Augenblick, dann hob ich den Blick frei und ruhig empor. Sei es, daß er fürchtete, ich werde Sophien verrathen, wie sehr er sich bemüht habe, mir zu gefallen, sei es, daß bei dem Bewußtsein, mich in glücklicher Lage zu wissen, dieses übermüthige Herz die Erinnerung an eine erlittene Kränkung wieder aufnahm, sein Benehmen gegen mich war

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[0040] kelheit unsere Veranstaltungen, ich wußte kaum mehr wo mir der Kopf stand; jedes Stück war wenigstens zehnmal umgesetzt. Daß hier mehr als ein Vetter erwartet werde, muthmaßte ich so ziemlich, aber nie hatte ich erfahren, daß man so fürchten kann, was unsere Liebe erweckt hat. Spät am Abend traf R. ein; daß er es war, erriethest du längst. Sein erster Blick war für Sophie, sein erster Gruß für den Oheim. Ich habe oft darüber nachgedacht, wie es möglich sein mag, selbst in einem mit Menschen angefüllten Raum, gleich beim Eintreten in denselben auf die Augen zu treffen, welche man sucht. Das sind unerklärliche geistige Befähigungen, und freundlich scheint mir der Gedanke, daß es Gefühle giebt, welche Kräfte der Seele wecken, die uns unbewußt in uns schlummern. Mich bewegte R.'s Anblick tief, ein geliebter Schatten zog an meinem innern Blick vorüber; die unerklärliche Erschütterung, die uns erfaßt, wenn wir, selbst vorbereitet, wiedersehen was uns einst lieb, vielleicht das Liebste war, das Alles ergriff mich mit unwiderstehlicher Gewalt. Nur für einen Augenblick, dann hob ich den Blick frei und ruhig empor. Sei es, daß er fürchtete, ich werde Sophien verrathen, wie sehr er sich bemüht habe, mir zu gefallen, sei es, daß bei dem Bewußtsein, mich in glücklicher Lage zu wissen, dieses übermüthige Herz die Erinnerung an eine erlittene Kränkung wieder aufnahm, sein Benehmen gegen mich war

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Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:52:17Z)

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Zitationshilfe: F. v. W. [Margarethe von Wolff]: Gemüth und Selbstsucht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_selbstsucht_1910/40>, abgerufen am 25.04.2024.