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F. v. W. [Margarethe von Wolff]: Gemüth und Selbstsucht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Einige Wochen vergingen mir in der schmerzlichsten Trauer, da erhielt ich einen unbeschreiblich gütigen Brief von Herrn Steffano, mit dem Vorschlage, als seine zweite Tochter in seinem Hause zu leben, bis zu der Zeit, wo mein Bräutigam eine passende Anstellung erhalten haben werde. Ich war dieser Familie gänzlich unbekannt und habe nie bezweifelt, daß ich R.'s Vermittlung diese Zufluchtsstätte verdanke. Er selbst hat es, obwohl wider seinen Wunsch, halb eingestanden, denn als er vor einiger Zeit mit flüchtigem Hinblicke auf mich äußerte: Ich vergebe Beleidigungen, aber nie vergesse ich sie, fragte ich, nicht ohne Bewegung: Haben Sie niemals eine Kränkung mit Gutem vergolten? Er stutzte und entgegnete auf sehr einnehmende Weise: Wenn ich jemals etwas Gutes veranlaßte, so bedarf es der Anerkennung nicht, der Lohn liegt im Gelingen.

So kam ich in dieses gesegnete Haus und würde vergebens den Eindruck auf mein Wesen beim Betreten dieser Räume zu schildern unternehmen. Jegliches ist hier ansprechend, wohlthuend, beglückend. Gediegener Wohlstand macht sich überall bemerkbar, Jedwedes ist vortrefflich in seiner Art; in jeder Räumlichkeit waltet Ordnung, aus dem Schmucke der Zimmer leuchtet verständiger Geschmack hervor; nirgend ist Ueberflüssiges, überall das Wünschenswerthe. Und die Menschen, die herrlichen, beglückenden Menschen! -- Mir ward die liebevollste Aufnahme, mir, welche ich noch vor kurzem mich dem verwehten Blatt vom Baume verglichen hatte,

Einige Wochen vergingen mir in der schmerzlichsten Trauer, da erhielt ich einen unbeschreiblich gütigen Brief von Herrn Steffano, mit dem Vorschlage, als seine zweite Tochter in seinem Hause zu leben, bis zu der Zeit, wo mein Bräutigam eine passende Anstellung erhalten haben werde. Ich war dieser Familie gänzlich unbekannt und habe nie bezweifelt, daß ich R.'s Vermittlung diese Zufluchtsstätte verdanke. Er selbst hat es, obwohl wider seinen Wunsch, halb eingestanden, denn als er vor einiger Zeit mit flüchtigem Hinblicke auf mich äußerte: Ich vergebe Beleidigungen, aber nie vergesse ich sie, fragte ich, nicht ohne Bewegung: Haben Sie niemals eine Kränkung mit Gutem vergolten? Er stutzte und entgegnete auf sehr einnehmende Weise: Wenn ich jemals etwas Gutes veranlaßte, so bedarf es der Anerkennung nicht, der Lohn liegt im Gelingen.

So kam ich in dieses gesegnete Haus und würde vergebens den Eindruck auf mein Wesen beim Betreten dieser Räume zu schildern unternehmen. Jegliches ist hier ansprechend, wohlthuend, beglückend. Gediegener Wohlstand macht sich überall bemerkbar, Jedwedes ist vortrefflich in seiner Art; in jeder Räumlichkeit waltet Ordnung, aus dem Schmucke der Zimmer leuchtet verständiger Geschmack hervor; nirgend ist Ueberflüssiges, überall das Wünschenswerthe. Und die Menschen, die herrlichen, beglückenden Menschen! — Mir ward die liebevollste Aufnahme, mir, welche ich noch vor kurzem mich dem verwehten Blatt vom Baume verglichen hatte,

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[0037] Einige Wochen vergingen mir in der schmerzlichsten Trauer, da erhielt ich einen unbeschreiblich gütigen Brief von Herrn Steffano, mit dem Vorschlage, als seine zweite Tochter in seinem Hause zu leben, bis zu der Zeit, wo mein Bräutigam eine passende Anstellung erhalten haben werde. Ich war dieser Familie gänzlich unbekannt und habe nie bezweifelt, daß ich R.'s Vermittlung diese Zufluchtsstätte verdanke. Er selbst hat es, obwohl wider seinen Wunsch, halb eingestanden, denn als er vor einiger Zeit mit flüchtigem Hinblicke auf mich äußerte: Ich vergebe Beleidigungen, aber nie vergesse ich sie, fragte ich, nicht ohne Bewegung: Haben Sie niemals eine Kränkung mit Gutem vergolten? Er stutzte und entgegnete auf sehr einnehmende Weise: Wenn ich jemals etwas Gutes veranlaßte, so bedarf es der Anerkennung nicht, der Lohn liegt im Gelingen. So kam ich in dieses gesegnete Haus und würde vergebens den Eindruck auf mein Wesen beim Betreten dieser Räume zu schildern unternehmen. Jegliches ist hier ansprechend, wohlthuend, beglückend. Gediegener Wohlstand macht sich überall bemerkbar, Jedwedes ist vortrefflich in seiner Art; in jeder Räumlichkeit waltet Ordnung, aus dem Schmucke der Zimmer leuchtet verständiger Geschmack hervor; nirgend ist Ueberflüssiges, überall das Wünschenswerthe. Und die Menschen, die herrlichen, beglückenden Menschen! — Mir ward die liebevollste Aufnahme, mir, welche ich noch vor kurzem mich dem verwehten Blatt vom Baume verglichen hatte,

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Zitationshilfe: F. v. W. [Margarethe von Wolff]: Gemüth und Selbstsucht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_selbstsucht_1910/37>, abgerufen am 23.04.2024.