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F. v. W. [Margarethe von Wolff]: Gemüth und Selbstsucht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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dich und auch ihn unglücklich machen; nie würde er sich auf dem hohen Standpunkt haben behaupten können, den deine Verblendung ihm angewiesen. -- Laß die ganze Rückerinnerung mild in deiner Seele auftauchen, gedenke seiner ohne Groll und, wenn es sein kann, ohne Leidenschaft. Glaube nicht, daß auch er dich gänzlich vergessen habe; oft wird er deiner nicht gedenken, aber doch kommen Stunden, welche dein liebes Bild vor seine Seele führen mögen. --

Ein halbes Jahr verging, ich dachte jetzt mit Ruhe an R.; da brach das entsetzliche Unglück auf mich her. Ludwig ward als Secundant eines Freundes zu einem Zweikampfe veranlaßt, welcher die Folge hatte, daß er lebensgefährlich in der Brust verwundet wurde. -- O der theure, geliebte Freund! wie lebensfrisch schied er von mir, wie glänzten im kühnen Selbstvertrauen die lieben Augen, welche mir den letzten Gruß zuwinkten! Ein Bild des Todes, mit erloschenem Blick, wurde er zurückgebracht. -- Wie es möglich gewesen, begreife ich nicht, aber zwei Tage nach diesem traurigen Ereignisse traf R. bei uns ein. Die Dämmerung war schon tief herabgesunken, ich stand trostlos am Fenster, da erblickte ich durch Dunkel und Nebel eine Gestalt, die ich an Gang und Haltung unter Tausenden erkannt haben würde. Der Arzt war gerade anwesend, er ging R. entgegen, sie hatten eine lange Unterredung mit einander, und durch denselben wurde er bei Ludwig eingeführt, der nicht sprechen durfte, sich kaum regen konnte. Er

dich und auch ihn unglücklich machen; nie würde er sich auf dem hohen Standpunkt haben behaupten können, den deine Verblendung ihm angewiesen. — Laß die ganze Rückerinnerung mild in deiner Seele auftauchen, gedenke seiner ohne Groll und, wenn es sein kann, ohne Leidenschaft. Glaube nicht, daß auch er dich gänzlich vergessen habe; oft wird er deiner nicht gedenken, aber doch kommen Stunden, welche dein liebes Bild vor seine Seele führen mögen. —

Ein halbes Jahr verging, ich dachte jetzt mit Ruhe an R.; da brach das entsetzliche Unglück auf mich her. Ludwig ward als Secundant eines Freundes zu einem Zweikampfe veranlaßt, welcher die Folge hatte, daß er lebensgefährlich in der Brust verwundet wurde. — O der theure, geliebte Freund! wie lebensfrisch schied er von mir, wie glänzten im kühnen Selbstvertrauen die lieben Augen, welche mir den letzten Gruß zuwinkten! Ein Bild des Todes, mit erloschenem Blick, wurde er zurückgebracht. — Wie es möglich gewesen, begreife ich nicht, aber zwei Tage nach diesem traurigen Ereignisse traf R. bei uns ein. Die Dämmerung war schon tief herabgesunken, ich stand trostlos am Fenster, da erblickte ich durch Dunkel und Nebel eine Gestalt, die ich an Gang und Haltung unter Tausenden erkannt haben würde. Der Arzt war gerade anwesend, er ging R. entgegen, sie hatten eine lange Unterredung mit einander, und durch denselben wurde er bei Ludwig eingeführt, der nicht sprechen durfte, sich kaum regen konnte. Er

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[0033] dich und auch ihn unglücklich machen; nie würde er sich auf dem hohen Standpunkt haben behaupten können, den deine Verblendung ihm angewiesen. — Laß die ganze Rückerinnerung mild in deiner Seele auftauchen, gedenke seiner ohne Groll und, wenn es sein kann, ohne Leidenschaft. Glaube nicht, daß auch er dich gänzlich vergessen habe; oft wird er deiner nicht gedenken, aber doch kommen Stunden, welche dein liebes Bild vor seine Seele führen mögen. — Ein halbes Jahr verging, ich dachte jetzt mit Ruhe an R.; da brach das entsetzliche Unglück auf mich her. Ludwig ward als Secundant eines Freundes zu einem Zweikampfe veranlaßt, welcher die Folge hatte, daß er lebensgefährlich in der Brust verwundet wurde. — O der theure, geliebte Freund! wie lebensfrisch schied er von mir, wie glänzten im kühnen Selbstvertrauen die lieben Augen, welche mir den letzten Gruß zuwinkten! Ein Bild des Todes, mit erloschenem Blick, wurde er zurückgebracht. — Wie es möglich gewesen, begreife ich nicht, aber zwei Tage nach diesem traurigen Ereignisse traf R. bei uns ein. Die Dämmerung war schon tief herabgesunken, ich stand trostlos am Fenster, da erblickte ich durch Dunkel und Nebel eine Gestalt, die ich an Gang und Haltung unter Tausenden erkannt haben würde. Der Arzt war gerade anwesend, er ging R. entgegen, sie hatten eine lange Unterredung mit einander, und durch denselben wurde er bei Ludwig eingeführt, der nicht sprechen durfte, sich kaum regen konnte. Er

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:52:17Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:52:17Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: F. v. W. [Margarethe von Wolff]: Gemüth und Selbstsucht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_selbstsucht_1910/33>, abgerufen am 19.04.2024.