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F. v. W. [Margarethe von Wolff]: Gemüth und Selbstsucht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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vor Augen, hastig verließ ich das Zimmer. Auf dem Vorsaal begegnete mir R., der freundlich auf mich zutrat und zu seinem unsäglichen Erstaunen die erste kurze und unfreundliche Antwort von mir erhielt. Das Verspotten lag mir im Sinne, ich hätte in dem Augenblicke für die Welt nicht freundlich gegen ihn sein können. Auf mein Zimmer mich zurückziehend, verflossen mir einige Stunden in fast bewußtlosem Nachsinnen, zögernd begab ich mich zu Tische.

Es war ein höchst kläglicher Mittag. R., der nie auch die kleinste Kränkung ungeahndet vergiebt, zeigte sich kalt und abstoßend. Victor, dem ich, theils um Rache zu nehmen, theils aus natürlich gutem Gefühl, einige Huld bewies, lehnte diese mürrisch von sich ab. Ludwig war der Einzige, der sich ganz gleich blieb, obwohl es ihm augenscheinlich mitunter schwer wurde, ein Lächeln zu unterdrücken. Ich hätte gern mitgelacht, so trübselig für den Augenblick meine Lage auch sein mochte. So vergingen Tage, Tage, während welcher ich gewiß für Alles büßte, welches jemals von mir verschuldet sein mochte. Mit standhafter Ergebung ertrug ich R's Benehmen, welches gleich kalt, ich möchte sagen, rauh war, indessen mein Herz blutete. Was ihn zu mir hinzog, war das Spiel einer müßigen der Nahrung bedürfenden Einbildungskraft, meine ganze Seele hing an ihm. -- Tausendmal hätte ich eine Versöhnung herbei führen mögen, ein Wort wäre hinlänglich gewesen; mein Genius verhinderte es. -- Unfähig, so

vor Augen, hastig verließ ich das Zimmer. Auf dem Vorsaal begegnete mir R., der freundlich auf mich zutrat und zu seinem unsäglichen Erstaunen die erste kurze und unfreundliche Antwort von mir erhielt. Das Verspotten lag mir im Sinne, ich hätte in dem Augenblicke für die Welt nicht freundlich gegen ihn sein können. Auf mein Zimmer mich zurückziehend, verflossen mir einige Stunden in fast bewußtlosem Nachsinnen, zögernd begab ich mich zu Tische.

Es war ein höchst kläglicher Mittag. R., der nie auch die kleinste Kränkung ungeahndet vergiebt, zeigte sich kalt und abstoßend. Victor, dem ich, theils um Rache zu nehmen, theils aus natürlich gutem Gefühl, einige Huld bewies, lehnte diese mürrisch von sich ab. Ludwig war der Einzige, der sich ganz gleich blieb, obwohl es ihm augenscheinlich mitunter schwer wurde, ein Lächeln zu unterdrücken. Ich hätte gern mitgelacht, so trübselig für den Augenblick meine Lage auch sein mochte. So vergingen Tage, Tage, während welcher ich gewiß für Alles büßte, welches jemals von mir verschuldet sein mochte. Mit standhafter Ergebung ertrug ich R's Benehmen, welches gleich kalt, ich möchte sagen, rauh war, indessen mein Herz blutete. Was ihn zu mir hinzog, war das Spiel einer müßigen der Nahrung bedürfenden Einbildungskraft, meine ganze Seele hing an ihm. — Tausendmal hätte ich eine Versöhnung herbei führen mögen, ein Wort wäre hinlänglich gewesen; mein Genius verhinderte es. — Unfähig, so

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Zitationshilfe: F. v. W. [Margarethe von Wolff]: Gemüth und Selbstsucht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_selbstsucht_1910/29>, abgerufen am 29.03.2024.