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F. v. W. [Margarethe von Wolff]: Gemüth und Selbstsucht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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ihr gefallen, wie er allen Frauen zu gefallen strebt, das ist Alles. -- Es ist genug und zuviel für mich, entgegnete Victor; ich kann kein Mädchen heirathen, für deren Treue ich zittern muß, so oft ein liebenswürdigerer Mann, als ich bin, ihr naht. -- Wohl, ich bin weit entfernt, meine Ansicht dir aufdringen zu wollen, aber des Dichters Worte möchte ich dir ins Gedächtniß rufen:

Willst du Rosen ohne Dornen, Liebe ohne Leid, Laß sie an die Wand dir malen In der schönen Maienzeit.

Meine Schwester ist jung und R. sehr gefallsam; daß er in diesem Augenblicke ihr besser gefällt, als du, dessen ganze Liebenswürdigkeit sich darauf beschränkt, sie mit Zorn zu betrachten und ihr mürrische Antworten zu geben, das glaube ich sehr wohl. Ich kenne R. zu genau; er ist der unbeständigste Mensch, den man sich denken mag, und sucht nicht selten Neigung zu erwecken, um sie nachher gelegentlich zu verspotten; es ist durchaus die Schattenseite seines Charakters. Die kleine Lehre, welche Emmy bei dieser Gelegenheit erhält, mag ihr sehr heilsam sein. Dir kann ich nur Einen Rath geben: glaubst du ohne Emmy glücklich sein zu können, so gieb sie auf und verzeihe ihr nicht; ist dir das aber unmöglich, so habe Nachsicht mit ihren Schwächen und suche dir ihr Herz mehr und mehr zu erwerben. -- Ich hörte Nichts mehr, es schwindelte mir

ihr gefallen, wie er allen Frauen zu gefallen strebt, das ist Alles. — Es ist genug und zuviel für mich, entgegnete Victor; ich kann kein Mädchen heirathen, für deren Treue ich zittern muß, so oft ein liebenswürdigerer Mann, als ich bin, ihr naht. — Wohl, ich bin weit entfernt, meine Ansicht dir aufdringen zu wollen, aber des Dichters Worte möchte ich dir ins Gedächtniß rufen:

Willst du Rosen ohne Dornen, Liebe ohne Leid, Laß sie an die Wand dir malen In der schönen Maienzeit.

Meine Schwester ist jung und R. sehr gefallsam; daß er in diesem Augenblicke ihr besser gefällt, als du, dessen ganze Liebenswürdigkeit sich darauf beschränkt, sie mit Zorn zu betrachten und ihr mürrische Antworten zu geben, das glaube ich sehr wohl. Ich kenne R. zu genau; er ist der unbeständigste Mensch, den man sich denken mag, und sucht nicht selten Neigung zu erwecken, um sie nachher gelegentlich zu verspotten; es ist durchaus die Schattenseite seines Charakters. Die kleine Lehre, welche Emmy bei dieser Gelegenheit erhält, mag ihr sehr heilsam sein. Dir kann ich nur Einen Rath geben: glaubst du ohne Emmy glücklich sein zu können, so gieb sie auf und verzeihe ihr nicht; ist dir das aber unmöglich, so habe Nachsicht mit ihren Schwächen und suche dir ihr Herz mehr und mehr zu erwerben. — Ich hörte Nichts mehr, es schwindelte mir

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[0028] ihr gefallen, wie er allen Frauen zu gefallen strebt, das ist Alles. — Es ist genug und zuviel für mich, entgegnete Victor; ich kann kein Mädchen heirathen, für deren Treue ich zittern muß, so oft ein liebenswürdigerer Mann, als ich bin, ihr naht. — Wohl, ich bin weit entfernt, meine Ansicht dir aufdringen zu wollen, aber des Dichters Worte möchte ich dir ins Gedächtniß rufen: Willst du Rosen ohne Dornen, Liebe ohne Leid, Laß sie an die Wand dir malen In der schönen Maienzeit. Meine Schwester ist jung und R. sehr gefallsam; daß er in diesem Augenblicke ihr besser gefällt, als du, dessen ganze Liebenswürdigkeit sich darauf beschränkt, sie mit Zorn zu betrachten und ihr mürrische Antworten zu geben, das glaube ich sehr wohl. Ich kenne R. zu genau; er ist der unbeständigste Mensch, den man sich denken mag, und sucht nicht selten Neigung zu erwecken, um sie nachher gelegentlich zu verspotten; es ist durchaus die Schattenseite seines Charakters. Die kleine Lehre, welche Emmy bei dieser Gelegenheit erhält, mag ihr sehr heilsam sein. Dir kann ich nur Einen Rath geben: glaubst du ohne Emmy glücklich sein zu können, so gieb sie auf und verzeihe ihr nicht; ist dir das aber unmöglich, so habe Nachsicht mit ihren Schwächen und suche dir ihr Herz mehr und mehr zu erwerben. — Ich hörte Nichts mehr, es schwindelte mir

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:52:17Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:52:17Z)

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Zitationshilfe: F. v. W. [Margarethe von Wolff]: Gemüth und Selbstsucht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_selbstsucht_1910/28>, abgerufen am 20.04.2024.