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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889.

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Komödie.
nahm, deren begründer Phrynichos und Aischylos der könig Hieron an
seinen hof gezogen hatte. doch fehlte der chor, mochte auch hie und
da getanzt und gesungen werden 11). es hätte sich hieraus das moderne
lustspiel entwickeln können; allein die künstliche blüte verfiel, die posse
ward aus einem dramatischen gedichte wieder ein prosaischer mimus,
und nur dem interesse, welches Platon, der über vorurteile erhaben war,
an der realistischen kraft dieser volksspässe nahm, als er um 390 in Syrakus
war, danken wir es, dass die mimen des Sophron nach Athen und damit
auf die nachwelt kamen, wie ja auch das athenische litteraturgeschicht-
liche mehr als litterarische interesse den Epicharmos einzig erhalten hat.
die spätern Griechen fanden den Sophron nicht selbst geniessbar, sondern
nur so wie ihn das theokritische raffinement salonfähig aufgestutzt hatte.
wir bewundern in den kümmerlichen resten eine unmittelbare lebens-
wahrheit oder besser wirklichkeit, wie man sie bei Hellenen sonst ver-
geblich sucht (denn sie stilisiren alle), aber wol bei den besten Italikern
findet. an Petron erinnert Sophron. es hat das seinen geschichtlichen
grund. denn spässe wie sie in Grossgriechenland gäng und gebe waren,
haben zwar auch bei einigen stämmen dorischer abkunft oder doch cultur
im mutterlande analogien, aber nirgend ist auch nur ein ansatz zu künst-
lerischer ausbildung gemacht. dagegen war und ist die italische nation
geboren dazu das charakterische und namentlich das lächerliche scharf
und wahr aufzufassen und wiederzugeben. auf italischem untergrund ist
der mimus und seine künstlerische blüte, die epicharmische posse, er-
wachsen; ebenso später die rhinthonische. man kann nur dazwischen
schwanken, ob die mischung mit italischem blute die Grossgriechen so
veranlagt hat, oder ob nicht vielmehr, was ungleich wahrscheinlicher ist,
die Italiker schon damals die commedia dell' arte besassen und also auf

aber eine tradition von alten volksspässen und einem possenreisser Susarion haben die
Megarer wirklich besessen, und das verdient um so mehr glauben, als ähnliche spässe
sich ja auch in andern dorischen orten, z. b. Sparta, finden. nur hat das selbst nach
der angabe der Megarerfreundlichen tradition nichts mit Dionysos, also nichts mit
den attischen komoi zu tun. die attischen komiker des 5. jahrhunderts wenden
Megarikon asma, Megarike komodia, skomma Megarothen keklemmenon durchaus
nur metaphorisch an: so wie wir noch heute 'boeotisch' und 'attisch' als gegensätze
brauchen (auch sie einzeln boeotisch, Kratin. inc. 152).
11) Pollux IX 41 bezeugt dass khoragos im sinne von didaskalos vorkam.
Hephaestion 8, 3 nennt eine komödie Khoreuontes, welche ganz in anapaesten ge-
dichtet war. das gibt sich selbst als ausnahme. lyrische masse fehlen in den
bruchstücken ganz, wenn man von gänzlich ungewissen absieht. die Musen in dem
gleichnamigen stücke sind als chor in attischem sinne undenkbar.

Komödie.
nahm, deren begründer Phrynichos und Aischylos der könig Hieron an
seinen hof gezogen hatte. doch fehlte der chor, mochte auch hie und
da getanzt und gesungen werden 11). es hätte sich hieraus das moderne
lustspiel entwickeln können; allein die künstliche blüte verfiel, die posse
ward aus einem dramatischen gedichte wieder ein prosaischer mimus,
und nur dem interesse, welches Platon, der über vorurteile erhaben war,
an der realistischen kraft dieser volksspäſse nahm, als er um 390 in Syrakus
war, danken wir es, daſs die mimen des Sophron nach Athen und damit
auf die nachwelt kamen, wie ja auch das athenische litteraturgeschicht-
liche mehr als litterarische interesse den Epicharmos einzig erhalten hat.
die spätern Griechen fanden den Sophron nicht selbst genieſsbar, sondern
nur so wie ihn das theokritische raffinement salonfähig aufgestutzt hatte.
wir bewundern in den kümmerlichen resten eine unmittelbare lebens-
wahrheit oder besser wirklichkeit, wie man sie bei Hellenen sonst ver-
geblich sucht (denn sie stilisiren alle), aber wol bei den besten Italikern
findet. an Petron erinnert Sophron. es hat das seinen geschichtlichen
grund. denn späſse wie sie in Groſsgriechenland gäng und gebe waren,
haben zwar auch bei einigen stämmen dorischer abkunft oder doch cultur
im mutterlande analogien, aber nirgend ist auch nur ein ansatz zu künst-
lerischer ausbildung gemacht. dagegen war und ist die italische nation
geboren dazu das charakterische und namentlich das lächerliche scharf
und wahr aufzufassen und wiederzugeben. auf italischem untergrund ist
der mimus und seine künstlerische blüte, die epicharmische posse, er-
wachsen; ebenso später die rhinthonische. man kann nur dazwischen
schwanken, ob die mischung mit italischem blute die Groſsgriechen so
veranlagt hat, oder ob nicht vielmehr, was ungleich wahrscheinlicher ist,
die Italiker schon damals die commedia dell’ arte besaſsen und also auf

aber eine tradition von alten volksspäſsen und einem possenreiſser Susarion haben die
Megarer wirklich besessen, und das verdient um so mehr glauben, als ähnliche späſse
sich ja auch in andern dorischen orten, z. b. Sparta, finden. nur hat das selbst nach
der angabe der Megarerfreundlichen tradition nichts mit Dionysos, also nichts mit
den attischen κῶμοι zu tun. die attischen komiker des 5. jahrhunderts wenden
Μεγαρικὸν ᾆσμα, Μεγαρικὴ κωμῳδία, σκῶμμα Μεγαρόϑεν κεκλεμμένον durchaus
nur metaphorisch an: so wie wir noch heute ‘boeotisch’ und ‘attisch’ als gegensätze
brauchen (auch sie einzeln boeotisch, Kratin. inc. 152).
11) Pollux IX 41 bezeugt daſs χοραγός im sinne von διδάσκαλος vorkam.
Hephaestion 8, 3 nennt eine komödie Χορεύοντες, welche ganz in anapaesten ge-
dichtet war. das gibt sich selbst als ausnahme. lyrische maſse fehlen in den
bruchstücken ganz, wenn man von gänzlich ungewissen absieht. die Musen in dem
gleichnamigen stücke sind als chor in attischem sinne undenkbar.
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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_tragoedie_1889/73>, abgerufen am 19.04.2024.