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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889.

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Der Herakles des Euripides.
von den bekannten chören seiner tragödien sind mehr als zwei drittel
weiblich, und zwar macht es wenig aus, ob es jungfrauen oder frauen
sind, freie oder sclavinnen (ausnahmen wie die Hiketiden nicht gerechnet):
greisinnen sind es nie. die minderzahl der chöre sind männlich, so gut
wie immer ohne besondere charakteristik ausser dem lebensalter, diesem
nach sind es fast immer greise, oder es macht doch wenig aus, wenn
sie nicht als besonders hochbetagt geschildert werden; jünglinge sind sie
nie 41). mit anderen worten, Euripides hat im wesentlichen zwei typen,
von denen er in der weise gebrauch zu machen pflegt, dass er in einer
trilogie zwei chöre weiblich, einen männlich hält; da der satyrchor dazu-
kommt, ist das ganz begreiflich 42). wenn wir ihn also im Herakles den
chor aus greisen bilden sehen, so kann dazu in den andern stücken der
tetralogie der anlass gelegen haben; doch ist es nicht nötig, solche ver-
legenheitsausrede zu brauchen. der chor des Herakles führt sich als
geron aoidos wiederholt ein; Euripides hat ihm das geständnis in den

bakchen und die zuschauer wussten, woran sie waren. aber Oiax schrieb den un-
heilsbrief, den die wogen dem Nauplios bringen sollten (schol. Ar. Thesm. 771), und
so bereitete sich durch den schluss des Palamedes genau wie durch den prolog der
Troerinnen das vor, was wir nicht schauen, was wir aber in der zukunft sicher
voraussehen, der untergang der Hellenenflotte, der einen die von Troia heimzog, und
nicht minder der anderen, die nach Sicilien fahren sollte.
41) Dass die 17 erhaltenen dramen nur drei männliche chöre enthalten, ist ein
zufall, den man corrigirt, sobald man die zahlreichen sonst bekannten chöre zurechnet.
es sind 33 chöre zuverlässig bekannt, d. h. die hälfte aller den Alexandrinern
bekannten; die nebenchöre (Hipp. Hiket. Phaeth. Erechth. Alexandr. Antiop.) sind
dabei natürlich nicht gerechnet. wie verkehrt der einfall ist, den chor nach der
hauptperson bestimmt sein zu lassen, könnten zwar Phoenissen und Alkestis schon
lehren: aber wie sollten gar zu irgend einer person der Antiope Thebanische greise
oder zum Aiolos mädchen passen?
42) Wir kennen die disposition der trilogieen 1) Alexandros (Troische greise,
vertreter des volkes, an welche die mahnung Kassandras fgm. 929 allein gerichtet
sein kann, nebenchor hirten), Palamedes (Bakchen, vgl. anm. 40), Troades. 2) Kre-
terinnen, Alkmeon (mädchen 67) Telephos (Argeier, wie die Acharnerparodie lehrt)
und statt der satyrn der männliche chor der Alkestis. 3) Bakchen, Alkmeon (mädchen
75) Iphigeneia Aul. (mädchen): also alle drei weiblich, aber da hatte der jüngere
Euripides nicht mehr die wahl. 4) Medeia (frauen) Diktys (?) Philoktet (Lemnier): man
wird die klagende Danae des Diktys lieber neben frauen als neben Seriphier stellen.
5) Erechtheus (frauen, nebenchor soldaten), Hiketiden (greisinnen, nebenchor knaben).
6) Helene und Andromeda, beide mit ähnlich gehaltenem weiblichem chor; hier
fehlen die dritten stücke: in dem letzten falle wird man an eine abwechselung glauben,
also keinen weiblichen chor, wie in der Iphigeneia etwa, wahrscheinlich finden.
weitere gesicherte beispiele von bekannten und zusammengehörigen chören sind
bisher nicht ermittelt.

Der Herakles des Euripides.
von den bekannten chören seiner tragödien sind mehr als zwei drittel
weiblich, und zwar macht es wenig aus, ob es jungfrauen oder frauen
sind, freie oder sclavinnen (ausnahmen wie die Hiketiden nicht gerechnet):
greisinnen sind es nie. die minderzahl der chöre sind männlich, so gut
wie immer ohne besondere charakteristik auſser dem lebensalter, diesem
nach sind es fast immer greise, oder es macht doch wenig aus, wenn
sie nicht als besonders hochbetagt geschildert werden; jünglinge sind sie
nie 41). mit anderen worten, Euripides hat im wesentlichen zwei typen,
von denen er in der weise gebrauch zu machen pflegt, daſs er in einer
trilogie zwei chöre weiblich, einen männlich hält; da der satyrchor dazu-
kommt, ist das ganz begreiflich 42). wenn wir ihn also im Herakles den
chor aus greisen bilden sehen, so kann dazu in den andern stücken der
tetralogie der anlaſs gelegen haben; doch ist es nicht nötig, solche ver-
legenheitsausrede zu brauchen. der chor des Herakles führt sich als
γέρων ἀοιδός wiederholt ein; Euripides hat ihm das geständnis in den

bakchen und die zuschauer wuſsten, woran sie waren. aber Oiax schrieb den un-
heilsbrief, den die wogen dem Nauplios bringen sollten (schol. Ar. Thesm. 771), und
so bereitete sich durch den schluſs des Palamedes genau wie durch den prolog der
Troerinnen das vor, was wir nicht schauen, was wir aber in der zukunft sicher
voraussehen, der untergang der Hellenenflotte, der einen die von Troia heimzog, und
nicht minder der anderen, die nach Sicilien fahren sollte.
41) Daſs die 17 erhaltenen dramen nur drei männliche chöre enthalten, ist ein
zufall, den man corrigirt, sobald man die zahlreichen sonst bekannten chöre zurechnet.
es sind 33 chöre zuverlässig bekannt, d. h. die hälfte aller den Alexandrinern
bekannten; die nebenchöre (Hipp. Hiket. Phaeth. Erechth. Alexandr. Antiop.) sind
dabei natürlich nicht gerechnet. wie verkehrt der einfall ist, den chor nach der
hauptperson bestimmt sein zu lassen, könnten zwar Phoenissen und Alkestis schon
lehren: aber wie sollten gar zu irgend einer person der Antiope Thebanische greise
oder zum Aiolos mädchen passen?
42) Wir kennen die disposition der trilogieen 1) Alexandros (Troische greise,
vertreter des volkes, an welche die mahnung Kassandras fgm. 929 allein gerichtet
sein kann, nebenchor hirten), Palamedes (Bakchen, vgl. anm. 40), Troades. 2) Kre-
terinnen, Alkmeon (mädchen 67) Telephos (Argeier, wie die Acharnerparodie lehrt)
und statt der satyrn der männliche chor der Alkestis. 3) Bakchen, Alkmeon (mädchen
75) Iphigeneia Aul. (mädchen): also alle drei weiblich, aber da hatte der jüngere
Euripides nicht mehr die wahl. 4) Medeia (frauen) Diktys (?) Philoktet (Lemnier): man
wird die klagende Danae des Diktys lieber neben frauen als neben Seriphier stellen.
5) Erechtheus (frauen, nebenchor soldaten), Hiketiden (greisinnen, nebenchor knaben).
6) Helene und Andromeda, beide mit ähnlich gehaltenem weiblichem chor; hier
fehlen die dritten stücke: in dem letzten falle wird man an eine abwechselung glauben,
also keinen weiblichen chor, wie in der Iphigeneia etwa, wahrscheinlich finden.
weitere gesicherte beispiele von bekannten und zusammengehörigen chören sind
bisher nicht ermittelt.
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[364/0384] Der Herakles des Euripides. von den bekannten chören seiner tragödien sind mehr als zwei drittel weiblich, und zwar macht es wenig aus, ob es jungfrauen oder frauen sind, freie oder sclavinnen (ausnahmen wie die Hiketiden nicht gerechnet): greisinnen sind es nie. die minderzahl der chöre sind männlich, so gut wie immer ohne besondere charakteristik auſser dem lebensalter, diesem nach sind es fast immer greise, oder es macht doch wenig aus, wenn sie nicht als besonders hochbetagt geschildert werden; jünglinge sind sie nie 41). mit anderen worten, Euripides hat im wesentlichen zwei typen, von denen er in der weise gebrauch zu machen pflegt, daſs er in einer trilogie zwei chöre weiblich, einen männlich hält; da der satyrchor dazu- kommt, ist das ganz begreiflich 42). wenn wir ihn also im Herakles den chor aus greisen bilden sehen, so kann dazu in den andern stücken der tetralogie der anlaſs gelegen haben; doch ist es nicht nötig, solche ver- legenheitsausrede zu brauchen. der chor des Herakles führt sich als γέρων ἀοιδός wiederholt ein; Euripides hat ihm das geständnis in den 40) 41) Daſs die 17 erhaltenen dramen nur drei männliche chöre enthalten, ist ein zufall, den man corrigirt, sobald man die zahlreichen sonst bekannten chöre zurechnet. es sind 33 chöre zuverlässig bekannt, d. h. die hälfte aller den Alexandrinern bekannten; die nebenchöre (Hipp. Hiket. Phaeth. Erechth. Alexandr. Antiop.) sind dabei natürlich nicht gerechnet. wie verkehrt der einfall ist, den chor nach der hauptperson bestimmt sein zu lassen, könnten zwar Phoenissen und Alkestis schon lehren: aber wie sollten gar zu irgend einer person der Antiope Thebanische greise oder zum Aiolos mädchen passen? 42) Wir kennen die disposition der trilogieen 1) Alexandros (Troische greise, vertreter des volkes, an welche die mahnung Kassandras fgm. 929 allein gerichtet sein kann, nebenchor hirten), Palamedes (Bakchen, vgl. anm. 40), Troades. 2) Kre- terinnen, Alkmeon (mädchen 67) Telephos (Argeier, wie die Acharnerparodie lehrt) und statt der satyrn der männliche chor der Alkestis. 3) Bakchen, Alkmeon (mädchen 75) Iphigeneia Aul. (mädchen): also alle drei weiblich, aber da hatte der jüngere Euripides nicht mehr die wahl. 4) Medeia (frauen) Diktys (?) Philoktet (Lemnier): man wird die klagende Danae des Diktys lieber neben frauen als neben Seriphier stellen. 5) Erechtheus (frauen, nebenchor soldaten), Hiketiden (greisinnen, nebenchor knaben). 6) Helene und Andromeda, beide mit ähnlich gehaltenem weiblichem chor; hier fehlen die dritten stücke: in dem letzten falle wird man an eine abwechselung glauben, also keinen weiblichen chor, wie in der Iphigeneia etwa, wahrscheinlich finden. weitere gesicherte beispiele von bekannten und zusammengehörigen chören sind bisher nicht ermittelt. 40) bakchen und die zuschauer wuſsten, woran sie waren. aber Oiax schrieb den un- heilsbrief, den die wogen dem Nauplios bringen sollten (schol. Ar. Thesm. 771), und so bereitete sich durch den schluſs des Palamedes genau wie durch den prolog der Troerinnen das vor, was wir nicht schauen, was wir aber in der zukunft sicher voraussehen, der untergang der Hellenenflotte, der einen die von Troia heimzog, und nicht minder der anderen, die nach Sicilien fahren sollte.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889, S. 364. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_tragoedie_1889/384>, abgerufen am 28.03.2024.