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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889.

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Der Herakles der sage.
kydes, durch welchen er sich in der besseren mythographischen über-
lieferung gehalten hat, und man darf ihn als ursprünglich ansehen, weil
es so nahe lag, ihn durch anderes zu ersetzen, mag auch die kunde, die
wir von den älteren dichterischen bearbeitungen besitzen, für diesen punkt
versagen. besonders bedeutsam ist, dass die verbrennung noch zu Alexanders
zeit in Grossgriechenland galt, wie ein gemälde des tarentinischen oder
paestaner malers Assteas lehrt, der sehr anschaulich darstellt, wie Herakles
allerhand hausrat zusammengeworfen und angezündet hat, und eben einen
knaben in dieses feuer zu werfen im begriff ist 111). die poesie hat sich
früh dieser geschichte bemächtigt. Nestor erzählte sie mit anderen sagen,
die gleichfalls nur dem griechischen festlande angehören, dem Menelaos in
den Kyprien. hier wird der wahnsinn des Herakles zuerst ausdrücklich
erwähnt, den aber jedermann mit zum notwendigen rechnen wird. da er
an die Kyprien anknüpfte, hat der dichter der homerischen Nekyia Megara
dem Odysseus vorgeführt. deshalb wieder hat sie Polygnotos auf seinem
bilde der Nekyia in Delphi gemalt und erscheint Megara mit den kindern
auf den apulischen unterweltsvasen 112). es ist das eine stark wirkende
gruppe, da ja der gegenstand dieser gemälde die heraufholung des Kerberos
aus der unterwelt ist, und der maler hat ohne zweifel beabsichtigt, dem
helden die opfer seines eignen wahnsinns vorzuführen. neben ihren
kindern kann Megara auch nur als mit ihnen getötet erscheinen: darin
offenbar sich aber nur der einfluss des Euripides. denn Polygnot hat
Megara allein gemalt, und der bericht der Nekyia verbietet an ihren tod
durch den gatten zu denken 113). auch Stesichoros und Panyassis hatten

wie sie bei einem Eoeendichter ihn nannte, der den Alexandriner angeregt haben
mag. was dieser aber bezweckte, war nur in zweiter linie, den leidenden Herakles als
solchen darzustellen, obwol dazu die breite ausführung des kindermordes dient. es
ist sein, wie überhaupt der besseren hellenistischen poeten, zweck, die allbekannten
alten stoffe dadurch zu erneuern, dass er das licht auf andere personen fallen lässt.
für die sage sind mutter und gattin des helden nur relativ bedeutsam, so weit sie
für ihn in betracht kommen: hier wird mutter und gattin hell beleuchtet, und die
sage hat nur noch den relativen wert, diesen typen individuelle persönlichkeit zu
verleihen. das gedicht ist nicht hervorragend, aber mit den balladen unserer roman-
tiker darf es ohne zu verlieren verglichen werden.
111) Monum. dell' Instit. VIII 10. Alkmene und Iolaos schauen zu, Megara
entflieht in ein zimmer aus dem peristyl, wo das feuer brennt. man darf schliessen,
dass der maler die mutter, weil der ort Theben ist, Iolaos, weil er später Megaras
gatte ward, dargestellt hat. ausserdem ist Mania anwesend: sie allein kann ja dem
beschauer sagen, dass Her. wahnsinnig ist.
112) Z. b. auf der von Altamura, Neapel 3222.
113) Wie könnte es sonst von ihr bloss heissen ten ekhen Amphitruonos uos
menos aien ateires, l 270, zumal sie als schatten erscheint.

Der Herakles der sage.
kydes, durch welchen er sich in der besseren mythographischen über-
lieferung gehalten hat, und man darf ihn als ursprünglich ansehen, weil
es so nahe lag, ihn durch anderes zu ersetzen, mag auch die kunde, die
wir von den älteren dichterischen bearbeitungen besitzen, für diesen punkt
versagen. besonders bedeutsam ist, daſs die verbrennung noch zu Alexanders
zeit in Groſsgriechenland galt, wie ein gemälde des tarentinischen oder
paestaner malers Assteas lehrt, der sehr anschaulich darstellt, wie Herakles
allerhand hausrat zusammengeworfen und angezündet hat, und eben einen
knaben in dieses feuer zu werfen im begriff ist 111). die poesie hat sich
früh dieser geschichte bemächtigt. Nestor erzählte sie mit anderen sagen,
die gleichfalls nur dem griechischen festlande angehören, dem Menelaos in
den Kyprien. hier wird der wahnsinn des Herakles zuerst ausdrücklich
erwähnt, den aber jedermann mit zum notwendigen rechnen wird. da er
an die Kyprien anknüpfte, hat der dichter der homerischen Nekyia Megara
dem Odysseus vorgeführt. deshalb wieder hat sie Polygnotos auf seinem
bilde der Nekyia in Delphi gemalt und erscheint Megara mit den kindern
auf den apulischen unterweltsvasen 112). es ist das eine stark wirkende
gruppe, da ja der gegenstand dieser gemälde die heraufholung des Kerberos
aus der unterwelt ist, und der maler hat ohne zweifel beabsichtigt, dem
helden die opfer seines eignen wahnsinns vorzuführen. neben ihren
kindern kann Megara auch nur als mit ihnen getötet erscheinen: darin
offenbar sich aber nur der einfluſs des Euripides. denn Polygnot hat
Megara allein gemalt, und der bericht der Nekyia verbietet an ihren tod
durch den gatten zu denken 113). auch Stesichoros und Panyassis hatten

wie sie bei einem Eoeendichter ihn nannte, der den Alexandriner angeregt haben
mag. was dieser aber bezweckte, war nur in zweiter linie, den leidenden Herakles als
solchen darzustellen, obwol dazu die breite ausführung des kindermordes dient. es
ist sein, wie überhaupt der besseren hellenistischen poeten, zweck, die allbekannten
alten stoffe dadurch zu erneuern, daſs er das licht auf andere personen fallen läſst.
für die sage sind mutter und gattin des helden nur relativ bedeutsam, so weit sie
für ihn in betracht kommen: hier wird mutter und gattin hell beleuchtet, und die
sage hat nur noch den relativen wert, diesen typen individuelle persönlichkeit zu
verleihen. das gedicht ist nicht hervorragend, aber mit den balladen unserer roman-
tiker darf es ohne zu verlieren verglichen werden.
111) Monum. dell’ Instit. VIII 10. Alkmene und Iolaos schauen zu, Megara
entflieht in ein zimmer aus dem peristyl, wo das feuer brennt. man darf schlieſsen,
daſs der maler die mutter, weil der ort Theben ist, Iolaos, weil er später Megaras
gatte ward, dargestellt hat. auſserdem ist Μανία anwesend: sie allein kann ja dem
beschauer sagen, daſs Her. wahnsinnig ist.
112) Z. b. auf der von Altamura, Neapel 3222.
113) Wie könnte es sonst von ihr bloſs heiſsen τὴν ἔχεν Ἀμφιτρύωνος ὑὸς
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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889, S. 324. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_tragoedie_1889/344>, abgerufen am 25.04.2024.