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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889.

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Die Herakleen. Kreophylos.
und dessen wichtigstes stück, die selbstverbrennung des siechen Herakles,
die oberhand gewonnen hat, so dass der ausgang des dodekathlos, so viel
höher er an innerem gehalte auch steht, ganz und gar in vergessenheit
geraten ist.

Es kann und soll hier der untersuchung nicht vorgegriffen werden,
ob es schon der Homeride gewesen ist, den man meist Kreophylos von
Samos nennt, der dichter der Erakleia oder Oikhalias alosis, oder
ob erst Sophokles in den Trachinierinnen die geschichten von Deianeira
Omphale Iole in einen engen und sinnreichen zusammenhang gebracht
hat. wol aber muss hervorgehoben werden, dass allen diesen sagen eine
behandlung gemeinsam ist, welche sie von der herben folgerichtigkeit des
dodekathlos eben so weit entfernt, wie sie der menschlich heldenhaften
aber liebenswürdig lässlichen weise Homers angenähert werden. erst
nach beseitigung dieser anmutigen und poetisch höchst wirksamen neu-
bildungen tritt das alte Heraklesbild hervor, das dann freilich die züge
gemeinsamer abstammung mit dem des Dodekathlos nicht verleugnet. und
in einem ist der oetäische Herakles sogar altertümlicher: seine waffe
ist durchgehends der bogen. es hat eben die cultur der peloponnesischen
adelsstaaten auf das bergland des Oeta nicht gewirkt, und die homerische
poesie hat dem helden, den sie übernahm, seine charakteristische aus-
stattung gelassen.

Um diesen sagenkreis überhaupt verstehen zu können, muss vorab
eines beseitigt werden, was von aussen zugetan ist und alles verwirrt,
das lydische local der Omphalesage. dass das sich noch allgemein be-
hauptet, liegt nicht etwa an irgendwie guter begründung, sondern lediglich
daran, dass seltsamer weise O. Müller in diesem punkte den orientali-
sirenden tendenzen entgegengekommen ist. gewiss ist die üppige frau
in der löwenhaut mit der keule neben dem helden im weiberrock mit
der kunkel in der hand ein hübsches bild, und Priap als dritter im bunde
gibt ihm einen besonders pikanten zug. Simson und Delila, Antonius
und Kleopatra, Rinaldo und Armida, August der starke und die Königs-
marck zeigen, wie fabel und geschichte an diesem motive gefallen haben.
aber so hübsch es sein mag: dass es ernsthaft genommen werden könnte
als ein zug der Heraklessage irgendwie ernster zeit, davon ist keine rede.
es existirt einfach nicht vor der hellenistischen zeit, derselben die auch
Priapos unter ihre götter einreiht, und wer es ernsthaft nimmt, kann
mit demselben rechte den Eurystheus zum eromenos des Herakles machen.
zwei ionische dichter des 5. jahrhunderts, Ion und Achaios, haben sich
allerdings schon des dankbaren motives bedient, den plumpen Dorer

Die Herakleen. Kreophylos.
und dessen wichtigstes stück, die selbstverbrennung des siechen Herakles,
die oberhand gewonnen hat, so daſs der ausgang des dodekathlos, so viel
höher er an innerem gehalte auch steht, ganz und gar in vergessenheit
geraten ist.

Es kann und soll hier der untersuchung nicht vorgegriffen werden,
ob es schon der Homeride gewesen ist, den man meist Kreophylos von
Samos nennt, der dichter der Ἡρακλεία oder Οἰχαλίας ἅλωσις, oder
ob erst Sophokles in den Trachinierinnen die geschichten von Deianeira
Omphale Iole in einen engen und sinnreichen zusammenhang gebracht
hat. wol aber muſs hervorgehoben werden, daſs allen diesen sagen eine
behandlung gemeinsam ist, welche sie von der herben folgerichtigkeit des
dodekathlos eben so weit entfernt, wie sie der menschlich heldenhaften
aber liebenswürdig läſslichen weise Homers angenähert werden. erst
nach beseitigung dieser anmutigen und poetisch höchst wirksamen neu-
bildungen tritt das alte Heraklesbild hervor, das dann freilich die züge
gemeinsamer abstammung mit dem des Dodekathlos nicht verleugnet. und
in einem ist der oetäische Herakles sogar altertümlicher: seine waffe
ist durchgehends der bogen. es hat eben die cultur der peloponnesischen
adelsstaaten auf das bergland des Oeta nicht gewirkt, und die homerische
poesie hat dem helden, den sie übernahm, seine charakteristische aus-
stattung gelassen.

Um diesen sagenkreis überhaupt verstehen zu können, muſs vorab
eines beseitigt werden, was von auſsen zugetan ist und alles verwirrt,
das lydische local der Omphalesage. daſs das sich noch allgemein be-
hauptet, liegt nicht etwa an irgendwie guter begründung, sondern lediglich
daran, daſs seltsamer weise O. Müller in diesem punkte den orientali-
sirenden tendenzen entgegengekommen ist. gewiſs ist die üppige frau
in der löwenhaut mit der keule neben dem helden im weiberrock mit
der kunkel in der hand ein hübsches bild, und Priap als dritter im bunde
gibt ihm einen besonders pikanten zug. Simson und Delila, Antonius
und Kleopatra, Rinaldo und Armida, August der starke und die Königs-
marck zeigen, wie fabel und geschichte an diesem motive gefallen haben.
aber so hübsch es sein mag: daſs es ernsthaft genommen werden könnte
als ein zug der Heraklessage irgendwie ernster zeit, davon ist keine rede.
es existirt einfach nicht vor der hellenistischen zeit, derselben die auch
Priapos unter ihre götter einreiht, und wer es ernsthaft nimmt, kann
mit demselben rechte den Eurystheus zum ἐρώμενος des Herakles machen.
zwei ionische dichter des 5. jahrhunderts, Ion und Achaios, haben sich
allerdings schon des dankbaren motives bedient, den plumpen Dorer

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[313/0333] Die Herakleen. Kreophylos. und dessen wichtigstes stück, die selbstverbrennung des siechen Herakles, die oberhand gewonnen hat, so daſs der ausgang des dodekathlos, so viel höher er an innerem gehalte auch steht, ganz und gar in vergessenheit geraten ist. Es kann und soll hier der untersuchung nicht vorgegriffen werden, ob es schon der Homeride gewesen ist, den man meist Kreophylos von Samos nennt, der dichter der Ἡρακλεία oder Οἰχαλίας ἅλωσις, oder ob erst Sophokles in den Trachinierinnen die geschichten von Deianeira Omphale Iole in einen engen und sinnreichen zusammenhang gebracht hat. wol aber muſs hervorgehoben werden, daſs allen diesen sagen eine behandlung gemeinsam ist, welche sie von der herben folgerichtigkeit des dodekathlos eben so weit entfernt, wie sie der menschlich heldenhaften aber liebenswürdig läſslichen weise Homers angenähert werden. erst nach beseitigung dieser anmutigen und poetisch höchst wirksamen neu- bildungen tritt das alte Heraklesbild hervor, das dann freilich die züge gemeinsamer abstammung mit dem des Dodekathlos nicht verleugnet. und in einem ist der oetäische Herakles sogar altertümlicher: seine waffe ist durchgehends der bogen. es hat eben die cultur der peloponnesischen adelsstaaten auf das bergland des Oeta nicht gewirkt, und die homerische poesie hat dem helden, den sie übernahm, seine charakteristische aus- stattung gelassen. Um diesen sagenkreis überhaupt verstehen zu können, muſs vorab eines beseitigt werden, was von auſsen zugetan ist und alles verwirrt, das lydische local der Omphalesage. daſs das sich noch allgemein be- hauptet, liegt nicht etwa an irgendwie guter begründung, sondern lediglich daran, daſs seltsamer weise O. Müller in diesem punkte den orientali- sirenden tendenzen entgegengekommen ist. gewiſs ist die üppige frau in der löwenhaut mit der keule neben dem helden im weiberrock mit der kunkel in der hand ein hübsches bild, und Priap als dritter im bunde gibt ihm einen besonders pikanten zug. Simson und Delila, Antonius und Kleopatra, Rinaldo und Armida, August der starke und die Königs- marck zeigen, wie fabel und geschichte an diesem motive gefallen haben. aber so hübsch es sein mag: daſs es ernsthaft genommen werden könnte als ein zug der Heraklessage irgendwie ernster zeit, davon ist keine rede. es existirt einfach nicht vor der hellenistischen zeit, derselben die auch Priapos unter ihre götter einreiht, und wer es ernsthaft nimmt, kann mit demselben rechte den Eurystheus zum ἐρώμενος des Herakles machen. zwei ionische dichter des 5. jahrhunderts, Ion und Achaios, haben sich allerdings schon des dankbaren motives bedient, den plumpen Dorer

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_tragoedie_1889/333>, abgerufen am 29.03.2024.