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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889.

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Der dodekathlos.
schlägt er nieder, als es ihn heimtückisch in die grube locken will: er
ist kein blinder Faust, den die Lemuren äffen. und den tod sucht er
sich selber auf in seiner höhle: die götter, auf die der Peloponnesier
bei schwerem werke vertraut, Hermes der geleiter auf gefahrvoller bahn
und vermittler des himmlischen willens, Athana 64), die gewappnete jung-
frau des himmels, zu der der Dorer vom Hellenen beten gelernt hat,
stehn dem Herakles bei. er steigt bei Tainaron hinab in die hölle, bei
Hermion empor mit dem höllenhunde, der vom lichte geblendet heulend
entflieht durch die Kynadra von Argos: er wird dem sieger über den tod
nimmer nahen. und nun geht der weg westwärts nach dem götter-
garten, Triton und Helios werden bezwungen, der Ladondrache erschlagen,
die schicksalsjungfrau bricht selbst den apfel der unsterblichkeit, Athana
führt den verklärten in den göttersaal, und Hera verlobt ihm ihre tochter,
die ewige jugend 65).

Die bedeutung der einzelnen sagen ist eine verschiedene. hydra und
vögel haben niemals eine andere gehabt als die urbarmachung der ver-
sumpften niederung, in welcher die bestien hausen. dem lernäischen
sumpfe gilt daneben auch eine fassung der Danaidensage, und noch wer
die nachwachsenden köpfe und das ausbrennen zugefügt hat, hat die
Heraklessage verstanden. neben der vertreibung der stymphalischen vögel
steht die einfache angabe, dass Herakles das barathron des stymphalischen
sees angelegt habe, schon bei Hellanikos: also auch dies abenteuer ist ver-
standen worden. dagegen ist die hirschkuh frühzeitig in ungemessene ferne
gejagt, weil der held sie im laufe einzuholen hatte, und wenn Artemis als
beschützerin des wildes genommen ward, verschob sich ihr verhältnis zu
dem jäger. der eber ist schwerlich ursprünglich von Herakles gejagt

64) Zu den vasenbildern stimmen die Homerstellen H 367, l 623; allerdings
ungenügende zeugnisse für die altargolische sage, da sie der allerjüngsten schicht
angehören. indessen liegt in dem wesen und der landschaftlichen geltung der götter
nichts, was verböte, die verbindung dem altpeloponnesischen glauben zuzusprechen.
65) Vgl. zu v. 637. Eba die person ist erwachsen aus dem wesen Heras, die
jedes frühjahr wieder jungfräulich wird, und die bildende kunst lehrt am besten,
dass sie zu Hera gehört wie Peitho zu Aphrodite und Nike zu Zeus und Athena.
wenn Hebe den göttern bei Homer die himmelsspeise kredenzt, so ist das zwar nur
ein ausdruck dafür, dass die götter durch diese speise ewige jugend haben, aber
die jungfräuliche dienerin, die in ihrer mutter hause dienstbereit ist, ist doch die
argolische gestalt. ihre vermählung mit Herakles ist deutlich der argolische aus-
druck für die erhebung in den himmel; die äpfel haben damals also schon von ihrer
vollen bedeutung etwas verloren. kinder aus der ehe hervorgehen zu lassen, ist
widersinnige mythographenfaselei. die ehe mit Hebe aber ist im attischen und
koischen culte gesichert.

Der dodekathlos.
schlägt er nieder, als es ihn heimtückisch in die grube locken will: er
ist kein blinder Faust, den die Lemuren äffen. und den tod sucht er
sich selber auf in seiner höhle: die götter, auf die der Peloponnesier
bei schwerem werke vertraut, Hermes der geleiter auf gefahrvoller bahn
und vermittler des himmlischen willens, Athana 64), die gewappnete jung-
frau des himmels, zu der der Dorer vom Hellenen beten gelernt hat,
stehn dem Herakles bei. er steigt bei Tainaron hinab in die hölle, bei
Hermion empor mit dem höllenhunde, der vom lichte geblendet heulend
entflieht durch die Kynadra von Argos: er wird dem sieger über den tod
nimmer nahen. und nun geht der weg westwärts nach dem götter-
garten, Triton und Helios werden bezwungen, der Ladondrache erschlagen,
die schicksalsjungfrau bricht selbst den apfel der unsterblichkeit, Athana
führt den verklärten in den göttersaal, und Hera verlobt ihm ihre tochter,
die ewige jugend 65).

Die bedeutung der einzelnen sagen ist eine verschiedene. hydra und
vögel haben niemals eine andere gehabt als die urbarmachung der ver-
sumpften niederung, in welcher die bestien hausen. dem lernäischen
sumpfe gilt daneben auch eine fassung der Danaidensage, und noch wer
die nachwachsenden köpfe und das ausbrennen zugefügt hat, hat die
Heraklessage verstanden. neben der vertreibung der stymphalischen vögel
steht die einfache angabe, daſs Herakles das βάραϑρον des stymphalischen
sees angelegt habe, schon bei Hellanikos: also auch dies abenteuer ist ver-
standen worden. dagegen ist die hirschkuh frühzeitig in ungemessene ferne
gejagt, weil der held sie im laufe einzuholen hatte, und wenn Artemis als
beschützerin des wildes genommen ward, verschob sich ihr verhältnis zu
dem jäger. der eber ist schwerlich ursprünglich von Herakles gejagt

64) Zu den vasenbildern stimmen die Homerstellen H 367, λ 623; allerdings
ungenügende zeugnisse für die altargolische sage, da sie der allerjüngsten schicht
angehören. indessen liegt in dem wesen und der landschaftlichen geltung der götter
nichts, was verböte, die verbindung dem altpeloponnesischen glauben zuzusprechen.
65) Vgl. zu v. 637. Ἥβα die person ist erwachsen aus dem wesen Heras, die
jedes frühjahr wieder jungfräulich wird, und die bildende kunst lehrt am besten,
daſs sie zu Hera gehört wie Peitho zu Aphrodite und Nike zu Zeus und Athena.
wenn Hebe den göttern bei Homer die himmelsspeise kredenzt, so ist das zwar nur
ein ausdruck dafür, daſs die götter durch diese speise ewige jugend haben, aber
die jungfräuliche dienerin, die in ihrer mutter hause dienstbereit ist, ist doch die
argolische gestalt. ihre vermählung mit Herakles ist deutlich der argolische aus-
druck für die erhebung in den himmel; die äpfel haben damals also schon von ihrer
vollen bedeutung etwas verloren. kinder aus der ehe hervorgehen zu lassen, ist
widersinnige mythographenfaselei. die ehe mit Hebe aber ist im attischen und
koischen culte gesichert.
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[301/0321] Der dodekathlos. schlägt er nieder, als es ihn heimtückisch in die grube locken will: er ist kein blinder Faust, den die Lemuren äffen. und den tod sucht er sich selber auf in seiner höhle: die götter, auf die der Peloponnesier bei schwerem werke vertraut, Hermes der geleiter auf gefahrvoller bahn und vermittler des himmlischen willens, Athana 64), die gewappnete jung- frau des himmels, zu der der Dorer vom Hellenen beten gelernt hat, stehn dem Herakles bei. er steigt bei Tainaron hinab in die hölle, bei Hermion empor mit dem höllenhunde, der vom lichte geblendet heulend entflieht durch die Kynadra von Argos: er wird dem sieger über den tod nimmer nahen. und nun geht der weg westwärts nach dem götter- garten, Triton und Helios werden bezwungen, der Ladondrache erschlagen, die schicksalsjungfrau bricht selbst den apfel der unsterblichkeit, Athana führt den verklärten in den göttersaal, und Hera verlobt ihm ihre tochter, die ewige jugend 65). Die bedeutung der einzelnen sagen ist eine verschiedene. hydra und vögel haben niemals eine andere gehabt als die urbarmachung der ver- sumpften niederung, in welcher die bestien hausen. dem lernäischen sumpfe gilt daneben auch eine fassung der Danaidensage, und noch wer die nachwachsenden köpfe und das ausbrennen zugefügt hat, hat die Heraklessage verstanden. neben der vertreibung der stymphalischen vögel steht die einfache angabe, daſs Herakles das βάραϑρον des stymphalischen sees angelegt habe, schon bei Hellanikos: also auch dies abenteuer ist ver- standen worden. dagegen ist die hirschkuh frühzeitig in ungemessene ferne gejagt, weil der held sie im laufe einzuholen hatte, und wenn Artemis als beschützerin des wildes genommen ward, verschob sich ihr verhältnis zu dem jäger. der eber ist schwerlich ursprünglich von Herakles gejagt 64) Zu den vasenbildern stimmen die Homerstellen H 367, λ 623; allerdings ungenügende zeugnisse für die altargolische sage, da sie der allerjüngsten schicht angehören. indessen liegt in dem wesen und der landschaftlichen geltung der götter nichts, was verböte, die verbindung dem altpeloponnesischen glauben zuzusprechen. 65) Vgl. zu v. 637. Ἥβα die person ist erwachsen aus dem wesen Heras, die jedes frühjahr wieder jungfräulich wird, und die bildende kunst lehrt am besten, daſs sie zu Hera gehört wie Peitho zu Aphrodite und Nike zu Zeus und Athena. wenn Hebe den göttern bei Homer die himmelsspeise kredenzt, so ist das zwar nur ein ausdruck dafür, daſs die götter durch diese speise ewige jugend haben, aber die jungfräuliche dienerin, die in ihrer mutter hause dienstbereit ist, ist doch die argolische gestalt. ihre vermählung mit Herakles ist deutlich der argolische aus- druck für die erhebung in den himmel; die äpfel haben damals also schon von ihrer vollen bedeutung etwas verloren. kinder aus der ehe hervorgehen zu lassen, ist widersinnige mythographenfaselei. die ehe mit Hebe aber ist im attischen und koischen culte gesichert.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889, S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_tragoedie_1889/321>, abgerufen am 20.04.2024.