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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889.

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Der Herakles der sage.
Aineias war ja längst der vertreter erst der geretteten Troer, dann der
feindlichen völkerschaften geworden, in denen die Hellenen ihre troischen
gegner wiederfanden 38). die Dorer rechneten zuversichtlicher darauf, die
Elymer zu bezwingen. sie beanspruchten den berg Eryx, weil ihr Herakles
seinen eponymos (einen Poseidonsohn, wie so viele frevler) im ringkampfe
überwunden hätte, als ihr erbe. das motiv des ringkampfes ist ein geborgtes,
von den dorischen Kyrenaeern ebenso in der Antaiossage verwandtes.
mit den in dieser sage ausgesprochenen rechtsansprüchen verlockten um
505 die seher einen spartiatischen königssohn Dorieus zu einem zuge
wider die Elymer. der zug mislang, Dorieus fiel, und niemals hat die
geschichte diese erfindung der begehrlichkeit zur wahrheit gemacht. nichts
desto weniger dauerte die sage, die nun einmal verbreitung gefunden
hatte, und Timaios, der die schliesslich massgebende darstellung der west-
griechischen Heraklesabenteuer gegeben hat, reihte sie mit besonderen
hilfsmotiven in den rückzug von Erytheia ein.

Die weit überwiegende mehrzahl der Heraklessagen hat einen solchen
geschichtlichen sinn. sie sind leicht verständlich, sobald man die con-
creten verhältnisse erfassen kann, welche sie wiederspiegeln; aber auch
wo das nicht mehr möglich ist, sieht man es einer Heraklestat bald an,
ob sie einen geschichtlichen inhalt hat oder nicht. nicht zu allen öffnet
dieser schlüssel das verständnis. im gegenteil, die sagen, in denen Herakles
nur der vertreter des Dorertums ist, fordern selbst als eine vorbedingung
ihrer entstehung eine Heraklesgeschichte, in welcher er mehr war. zunächst
ist er in jeder einzelnen mit nichten ein vertreter des ganzen Dorertums,
sondern nur eines ganz bestimmten stammes, der Selinuntier, Rhodier,
Korinther. erst wir wenden uns an die übergeordnete gemeinschaft, von
welcher diese stämme alle nur teile sind, weil sie sich alle denselben helden
als mythischen vertreter gewählt haben. das könnten sie nicht, wenn sie
nicht an ihn geglaubt hätten, als sie noch eine einheit waren: wir haben
also den ursprünglichen Herakles in der zeit zu suchen, wo das volk, von
dem Thessaler Boeoter Dorer teile sind, noch vereinigt war und tief in den
bergen Makedoniens sass, und wir dürfen sein ursprüngliches wesen nur
aus dem erklären, was sich auf diese urzeit zurückführen lässt und in allen
diesen später erwachsenen sagen vorausgesetzt wird. sie setzen eine er-

des verhängnisvollen bündnisses der beiden völker, von den gemeinsamen gegnern
ersonnen. und die Argo haben doch wol auch die korinthischen Syrakusaner in
ihre gewässer geführt.
38) So ist das auftreten des Aineias in Ainos, Aineia, auf Kreta und in Epirus
leicht erklärlich.

Der Herakles der sage.
Aineias war ja längst der vertreter erst der geretteten Troer, dann der
feindlichen völkerschaften geworden, in denen die Hellenen ihre troischen
gegner wiederfanden 38). die Dorer rechneten zuversichtlicher darauf, die
Elymer zu bezwingen. sie beanspruchten den berg Eryx, weil ihr Herakles
seinen eponymos (einen Poseidonsohn, wie so viele frevler) im ringkampfe
überwunden hätte, als ihr erbe. das motiv des ringkampfes ist ein geborgtes,
von den dorischen Kyrenaeern ebenso in der Antaiossage verwandtes.
mit den in dieser sage ausgesprochenen rechtsansprüchen verlockten um
505 die seher einen spartiatischen königssohn Dorieus zu einem zuge
wider die Elymer. der zug mislang, Dorieus fiel, und niemals hat die
geschichte diese erfindung der begehrlichkeit zur wahrheit gemacht. nichts
desto weniger dauerte die sage, die nun einmal verbreitung gefunden
hatte, und Timaios, der die schlieſslich maſsgebende darstellung der west-
griechischen Heraklesabenteuer gegeben hat, reihte sie mit besonderen
hilfsmotiven in den rückzug von Erytheia ein.

Die weit überwiegende mehrzahl der Heraklessagen hat einen solchen
geschichtlichen sinn. sie sind leicht verständlich, sobald man die con-
creten verhältnisse erfassen kann, welche sie wiederspiegeln; aber auch
wo das nicht mehr möglich ist, sieht man es einer Heraklestat bald an,
ob sie einen geschichtlichen inhalt hat oder nicht. nicht zu allen öffnet
dieser schlüssel das verständnis. im gegenteil, die sagen, in denen Herakles
nur der vertreter des Dorertums ist, fordern selbst als eine vorbedingung
ihrer entstehung eine Heraklesgeschichte, in welcher er mehr war. zunächst
ist er in jeder einzelnen mit nichten ein vertreter des ganzen Dorertums,
sondern nur eines ganz bestimmten stammes, der Selinuntier, Rhodier,
Korinther. erst wir wenden uns an die übergeordnete gemeinschaft, von
welcher diese stämme alle nur teile sind, weil sie sich alle denselben helden
als mythischen vertreter gewählt haben. das könnten sie nicht, wenn sie
nicht an ihn geglaubt hätten, als sie noch eine einheit waren: wir haben
also den ursprünglichen Herakles in der zeit zu suchen, wo das volk, von
dem Thessaler Boeoter Dorer teile sind, noch vereinigt war und tief in den
bergen Makedoniens saſs, und wir dürfen sein ursprüngliches wesen nur
aus dem erklären, was sich auf diese urzeit zurückführen läſst und in allen
diesen später erwachsenen sagen vorausgesetzt wird. sie setzen eine er-

des verhängnisvollen bündnisses der beiden völker, von den gemeinsamen gegnern
ersonnen. und die Argo haben doch wol auch die korinthischen Syrakusaner in
ihre gewässer geführt.
38) So ist das auftreten des Aineias in Ainos, Aineia, auf Kreta und in Epirus
leicht erklärlich.
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[282/0302] Der Herakles der sage. Aineias war ja längst der vertreter erst der geretteten Troer, dann der feindlichen völkerschaften geworden, in denen die Hellenen ihre troischen gegner wiederfanden 38). die Dorer rechneten zuversichtlicher darauf, die Elymer zu bezwingen. sie beanspruchten den berg Eryx, weil ihr Herakles seinen eponymos (einen Poseidonsohn, wie so viele frevler) im ringkampfe überwunden hätte, als ihr erbe. das motiv des ringkampfes ist ein geborgtes, von den dorischen Kyrenaeern ebenso in der Antaiossage verwandtes. mit den in dieser sage ausgesprochenen rechtsansprüchen verlockten um 505 die seher einen spartiatischen königssohn Dorieus zu einem zuge wider die Elymer. der zug mislang, Dorieus fiel, und niemals hat die geschichte diese erfindung der begehrlichkeit zur wahrheit gemacht. nichts desto weniger dauerte die sage, die nun einmal verbreitung gefunden hatte, und Timaios, der die schlieſslich maſsgebende darstellung der west- griechischen Heraklesabenteuer gegeben hat, reihte sie mit besonderen hilfsmotiven in den rückzug von Erytheia ein. Die weit überwiegende mehrzahl der Heraklessagen hat einen solchen geschichtlichen sinn. sie sind leicht verständlich, sobald man die con- creten verhältnisse erfassen kann, welche sie wiederspiegeln; aber auch wo das nicht mehr möglich ist, sieht man es einer Heraklestat bald an, ob sie einen geschichtlichen inhalt hat oder nicht. nicht zu allen öffnet dieser schlüssel das verständnis. im gegenteil, die sagen, in denen Herakles nur der vertreter des Dorertums ist, fordern selbst als eine vorbedingung ihrer entstehung eine Heraklesgeschichte, in welcher er mehr war. zunächst ist er in jeder einzelnen mit nichten ein vertreter des ganzen Dorertums, sondern nur eines ganz bestimmten stammes, der Selinuntier, Rhodier, Korinther. erst wir wenden uns an die übergeordnete gemeinschaft, von welcher diese stämme alle nur teile sind, weil sie sich alle denselben helden als mythischen vertreter gewählt haben. das könnten sie nicht, wenn sie nicht an ihn geglaubt hätten, als sie noch eine einheit waren: wir haben also den ursprünglichen Herakles in der zeit zu suchen, wo das volk, von dem Thessaler Boeoter Dorer teile sind, noch vereinigt war und tief in den bergen Makedoniens saſs, und wir dürfen sein ursprüngliches wesen nur aus dem erklären, was sich auf diese urzeit zurückführen läſst und in allen diesen später erwachsenen sagen vorausgesetzt wird. sie setzen eine er- 37) 38) So ist das auftreten des Aineias in Ainos, Aineia, auf Kreta und in Epirus leicht erklärlich. 37) des verhängnisvollen bündnisses der beiden völker, von den gemeinsamen gegnern ersonnen. und die Argo haben doch wol auch die korinthischen Syrakusaner in ihre gewässer geführt.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_tragoedie_1889/302>, abgerufen am 18.04.2024.