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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889.

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H. in Grossgriechenland; in Rom. H. bei den barbaren.
ist deshalb Herakles zum allgemein griechischen vorkämpfer geworden,
und es ist bezeichnend, dass in Himera, einer ionischen stadt mit stark
dorischer mischung, um 600 der dichter aufstand, der seinen abenteuern
zuerst die ungemessene weite der welt zum schauplatz gegeben hat.

Von diesen auswanderern in Grossgriechenland ist Herakles zu denH. in Rom.
Italikern gelangt, bei denen er, wenn auch in starker umbildung und
so, dass der ursprüngliche inhalt der religion ganz vergessen ward, einen
überaus starken cultus fand, verflochten in die ältesten sagen Roms,
verehrt bis in die innersten Abruzzentäler. es haben sich natürlich ver-
einzelt italische sagen an den fremden heros geheftet, und die Italiker
haben dem körper, den sie übernahmen, den odem ihrer eigenen seele
eingeblasen: aber wie der name ist die gestalt des Hercules hellenischer
import. die versuche, eine urverwandte oder auch durch zufällige namens-
ähnlichkeit identificirte italische gottheit in ihm zu sehen, sind zum glücke
fast allgemein aufgegeben 23).

Verhältnismässig unbedeutend, meist jung und ganz durchsichtigH. bei den
barbaren.

sind die trotz aller vielgestaltigkeit eintönigen erscheinungen, in welchen
fremde gottheiten von den Griechen mit ihrem Herakles identificirt worden
sind. es ist das ja mit allen möglichen gottheiten geschehen. was Caesar
und Tacitus mit den germanischen göttern tun, hat schon Homer mit den
teukrischen getan. die Artemis von Perge, von Ephesos, von der taurischen
Chersones, die Athena vom libyschen Triton, vom mons Garganus, von
Sais, Dionysos Civa, Dionysos Jahwe, Dionysos Osiris weiss man auch
ohne weiteres richtig zu beurteilen; auch wenn die gewährsmänner
Herodots die abstammung der Skythen auf Herakles und Echidna zurück-
führen, macht man aus Herakles keinen Skythen. aber weil die Hellenen
den stadtgott von Tyros oder besser den in den verschiedensten formen

23) Die lage der ara maxima in Rom würde allein den fremden gott erweisen;
doch führt die untersuchung von jedem ausgangspunkt zu demselben ergebnis. die
geschichte von Cacus ist, wie wir sie haben, so gut eine griechische dichtung wie
die Romulussage, und deshalb lässt sich das epichorische element, für das der name
und die scalae Caci zeugen, nicht aussondern. der interessante versuch von Reiffer-
scheid (Annali dell' instituto 39) operirt mit einem materiale, das immer vieldeutig,
nicht selten sicherlich fremdartig ist. doch ist selbstverständlich, dass die herkunft
des cultes und des namens nicht im mindesten darüber entscheidet, was die Italiker
in Herclus empfanden und glaubten. nur hat das was davon italisch ist mit Herakles
eben nichts zu tun. übrigens folgt aus der entlehnung, dass es unerlaubt ist, die
vorstellungen, welche der Latiner mit Herclus verbindet, ohne weiteres auf den Cam-
paner Samniten Brettier zu übertragen, vielmehr wird nur die differenziirung ein
wissenschaftlich haltbares ergebnis liefern.
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H. in Groſsgriechenland; in Rom. H. bei den barbaren.
ist deshalb Herakles zum allgemein griechischen vorkämpfer geworden,
und es ist bezeichnend, daſs in Himera, einer ionischen stadt mit stark
dorischer mischung, um 600 der dichter aufstand, der seinen abenteuern
zuerst die ungemessene weite der welt zum schauplatz gegeben hat.

Von diesen auswanderern in Groſsgriechenland ist Herakles zu denH. in Rom.
Italikern gelangt, bei denen er, wenn auch in starker umbildung und
so, daſs der ursprüngliche inhalt der religion ganz vergessen ward, einen
überaus starken cultus fand, verflochten in die ältesten sagen Roms,
verehrt bis in die innersten Abruzzentäler. es haben sich natürlich ver-
einzelt italische sagen an den fremden heros geheftet, und die Italiker
haben dem körper, den sie übernahmen, den odem ihrer eigenen seele
eingeblasen: aber wie der name ist die gestalt des Hercules hellenischer
import. die versuche, eine urverwandte oder auch durch zufällige namens-
ähnlichkeit identificirte italische gottheit in ihm zu sehen, sind zum glücke
fast allgemein aufgegeben 23).

Verhältnismäſsig unbedeutend, meist jung und ganz durchsichtigH. bei den
barbaren.

sind die trotz aller vielgestaltigkeit eintönigen erscheinungen, in welchen
fremde gottheiten von den Griechen mit ihrem Herakles identificirt worden
sind. es ist das ja mit allen möglichen gottheiten geschehen. was Caesar
und Tacitus mit den germanischen göttern tun, hat schon Homer mit den
teukrischen getan. die Artemis von Perge, von Ephesos, von der taurischen
Chersones, die Athena vom libyschen Triton, vom mons Garganus, von
Sais, Dionysos Civa, Dionysos Jahwe, Dionysos Osiris weiſs man auch
ohne weiteres richtig zu beurteilen; auch wenn die gewährsmänner
Herodots die abstammung der Skythen auf Herakles und Echidna zurück-
führen, macht man aus Herakles keinen Skythen. aber weil die Hellenen
den stadtgott von Tyros oder besser den in den verschiedensten formen

23) Die lage der ara maxima in Rom würde allein den fremden gott erweisen;
doch führt die untersuchung von jedem ausgangspunkt zu demselben ergebnis. die
geschichte von Cacus ist, wie wir sie haben, so gut eine griechische dichtung wie
die Romulussage, und deshalb läſst sich das epichorische element, für das der name
und die scalae Caci zeugen, nicht aussondern. der interessante versuch von Reiffer-
scheid (Annali dell’ instituto 39) operirt mit einem materiale, das immer vieldeutig,
nicht selten sicherlich fremdartig ist. doch ist selbstverständlich, daſs die herkunft
des cultes und des namens nicht im mindesten darüber entscheidet, was die Italiker
in Herclus empfanden und glaubten. nur hat das was davon italisch ist mit Herakles
eben nichts zu tun. übrigens folgt aus der entlehnung, daſs es unerlaubt ist, die
vorstellungen, welche der Latiner mit Herclus verbindet, ohne weiteres auf den Cam-
paner Samniten Brettier zu übertragen, vielmehr wird nur die differenziirung ein
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[275/0295] H. in Groſsgriechenland; in Rom. H. bei den barbaren. ist deshalb Herakles zum allgemein griechischen vorkämpfer geworden, und es ist bezeichnend, daſs in Himera, einer ionischen stadt mit stark dorischer mischung, um 600 der dichter aufstand, der seinen abenteuern zuerst die ungemessene weite der welt zum schauplatz gegeben hat. Von diesen auswanderern in Groſsgriechenland ist Herakles zu den Italikern gelangt, bei denen er, wenn auch in starker umbildung und so, daſs der ursprüngliche inhalt der religion ganz vergessen ward, einen überaus starken cultus fand, verflochten in die ältesten sagen Roms, verehrt bis in die innersten Abruzzentäler. es haben sich natürlich ver- einzelt italische sagen an den fremden heros geheftet, und die Italiker haben dem körper, den sie übernahmen, den odem ihrer eigenen seele eingeblasen: aber wie der name ist die gestalt des Hercules hellenischer import. die versuche, eine urverwandte oder auch durch zufällige namens- ähnlichkeit identificirte italische gottheit in ihm zu sehen, sind zum glücke fast allgemein aufgegeben 23). H. in Rom. Verhältnismäſsig unbedeutend, meist jung und ganz durchsichtig sind die trotz aller vielgestaltigkeit eintönigen erscheinungen, in welchen fremde gottheiten von den Griechen mit ihrem Herakles identificirt worden sind. es ist das ja mit allen möglichen gottheiten geschehen. was Caesar und Tacitus mit den germanischen göttern tun, hat schon Homer mit den teukrischen getan. die Artemis von Perge, von Ephesos, von der taurischen Chersones, die Athena vom libyschen Triton, vom mons Garganus, von Sais, Dionysos Civa, Dionysos Jahwe, Dionysos Osiris weiſs man auch ohne weiteres richtig zu beurteilen; auch wenn die gewährsmänner Herodots die abstammung der Skythen auf Herakles und Echidna zurück- führen, macht man aus Herakles keinen Skythen. aber weil die Hellenen den stadtgott von Tyros oder besser den in den verschiedensten formen H. bei den barbaren. 23) Die lage der ara maxima in Rom würde allein den fremden gott erweisen; doch führt die untersuchung von jedem ausgangspunkt zu demselben ergebnis. die geschichte von Cacus ist, wie wir sie haben, so gut eine griechische dichtung wie die Romulussage, und deshalb läſst sich das epichorische element, für das der name und die scalae Caci zeugen, nicht aussondern. der interessante versuch von Reiffer- scheid (Annali dell’ instituto 39) operirt mit einem materiale, das immer vieldeutig, nicht selten sicherlich fremdartig ist. doch ist selbstverständlich, daſs die herkunft des cultes und des namens nicht im mindesten darüber entscheidet, was die Italiker in Herclus empfanden und glaubten. nur hat das was davon italisch ist mit Herakles eben nichts zu tun. übrigens folgt aus der entlehnung, daſs es unerlaubt ist, die vorstellungen, welche der Latiner mit Herclus verbindet, ohne weiteres auf den Cam- paner Samniten Brettier zu übertragen, vielmehr wird nur die differenziirung ein wissenschaftlich haltbares ergebnis liefern. 18*

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_tragoedie_1889/295>, abgerufen am 24.04.2024.