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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889.

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Herakles ein Dorer. H. fehlt den Hellenen; Eleern.
ein. diese tatsache ist notorisch. sie wird nicht im mindesten dadurch
beeinträchtigt, dass der cult des Herakles sich auch bei Ioniern verbreitet
hat, als die politische vormacht und die gesellschaftliche führung bei den
Dorern stand. so haben naturgemäss die Hellenen, die sich auf dem
festlande hielten, von ihren nachbarn gelernt den Herakles zu verehren,
also die bewohner von Attika und Euboia in erster linie. es ist aber auch
nicht zu verwundern, dass unsere trümmerhafte kenntnis an einzelnen
orten zwar einen alten Heraklescult nachweisen kann, aber keine alt-
dorische bevölkerung. besondere aufmerksamkeit verdienen diese aus-
nahmen, allein mit ihnen wird so leicht niemand wagen die regel zu
bestreiten 15).

Auch der westlichen gruppe der einwanderer ist der ursprünglicheH. fehlt den
Eleern.

besitz des Herakles abzusprechen, und leicht lösen sich die scheinbar
widerstrebenden instanzen auf. die sage von Herakles bei Augeias mit
allem was daran hängt, geht höchstens die hellenischen vorgänger der
Eleer, die Epeer, an, und sieht die heimat des Herakles in Argos 16). die

15) Es handelt sich einmal um die Heraklessagen an der thrakischen küste,
in Habdera (colonie von Opuntiern und leuten dieser von einwanderern durchsetzten
gegend) Sithonia, Torone, Thasos u. s. w. diese weisen auf die inseln zurück, wo
Her. jedoch kaum vorkommt; denn dass er auf Tenos die Boreaden züchtigt, braucht
keine tenische sage zu sein. eine gute erklärung steht noch aus: die verbreitete
annahme, den Heraklescult von Thasos, der doch von der nachbarschaft nicht getrennt
werden darf, auf Phoenikier zu beziehen, ist von Furtwängler (Roschers mythol.
lex. 2142) gut zurückgewiesen, doch bleibt noch unerklärt, wieso Thasos bruder des
Phoinix sein kann. -- der einzige auf altertum anspruch erhebende asiatische
Heraklescult ist in Erythrai, und auch über ihn handelt Furtwängler (s. 2137) sehr
gut. Erythrais name kehrt im südlichen Thessalien wieder und in Boeotien, von
Thessalien sind notwendig auch Boeoter mit den Aeolern ausgewandert, sonst ist die
anwesenheit von Peneleos und Leitos vor Ilios ganz unerklärlich: ein vereinzeltes
Heraklesheiligtum in der gegend, wo Aeoler und Ionier sich kreuzen, ist also nicht
mehr befremdlich als jene epische singularität: wir bilden des Thukydides schluss,
dass Boeoter vor der Boeotischen einwanderung in Boeotien gesessen haben müssten
(I 12) nur ein wenig um. eine grosse bedeutung wird diesem vorgeschobenen posten
des Heraklescultes notwendigerweise beigelegt werden müssen.
16) Der Heliossohn Augeias mit den sonnenrindern, die Molioniden, eine der
merkwürdigsten formen des vordorischen Dioskurenpares (vgl. zu vers 29), der ent-
wässerungscanal, dessen reste noch heute sichtbar sind (Curtius Peloponnes II 34)
gehen alle die Eleer nichts an. der zug des Herakles gegen Elis gehört vielmehr
in eine reihe mit denen gegen Neleus und die Pylier, Eurytos, den herrn des mes-
senischen Oichalia, Hippokoon von Sparta: es ist ersichtlich argolische sage und
spiegelt die versuche wieder, welche die argolischen Dorer machten, sich die supre-
matie im Peloponnes zu erringen. eine andere frage ist, ob sie in Elis noch die

Herakles ein Dorer. H. fehlt den Hellenen; Eleern.
ein. diese tatsache ist notorisch. sie wird nicht im mindesten dadurch
beeinträchtigt, daſs der cult des Herakles sich auch bei Ioniern verbreitet
hat, als die politische vormacht und die gesellschaftliche führung bei den
Dorern stand. so haben naturgemäſs die Hellenen, die sich auf dem
festlande hielten, von ihren nachbarn gelernt den Herakles zu verehren,
also die bewohner von Attika und Euboia in erster linie. es ist aber auch
nicht zu verwundern, daſs unsere trümmerhafte kenntnis an einzelnen
orten zwar einen alten Heraklescult nachweisen kann, aber keine alt-
dorische bevölkerung. besondere aufmerksamkeit verdienen diese aus-
nahmen, allein mit ihnen wird so leicht niemand wagen die regel zu
bestreiten 15).

Auch der westlichen gruppe der einwanderer ist der ursprünglicheH. fehlt den
Eleern.

besitz des Herakles abzusprechen, und leicht lösen sich die scheinbar
widerstrebenden instanzen auf. die sage von Herakles bei Augeias mit
allem was daran hängt, geht höchstens die hellenischen vorgänger der
Eleer, die Epeer, an, und sieht die heimat des Herakles in Argos 16). die

15) Es handelt sich einmal um die Heraklessagen an der thrakischen küste,
in Habdera (colonie von Opuntiern und leuten dieser von einwanderern durchsetzten
gegend) Sithonia, Torone, Thasos u. s. w. diese weisen auf die inseln zurück, wo
Her. jedoch kaum vorkommt; denn daſs er auf Tenos die Boreaden züchtigt, braucht
keine tenische sage zu sein. eine gute erklärung steht noch aus: die verbreitete
annahme, den Heraklescult von Thasos, der doch von der nachbarschaft nicht getrennt
werden darf, auf Phoenikier zu beziehen, ist von Furtwängler (Roschers mythol.
lex. 2142) gut zurückgewiesen, doch bleibt noch unerklärt, wieso Thasos bruder des
Phoinix sein kann. — der einzige auf altertum anspruch erhebende asiatische
Heraklescult ist in Erythrai, und auch über ihn handelt Furtwängler (s. 2137) sehr
gut. Erythrais name kehrt im südlichen Thessalien wieder und in Boeotien, von
Thessalien sind notwendig auch Boeoter mit den Aeolern ausgewandert, sonst ist die
anwesenheit von Peneleos und Leitos vor Ilios ganz unerklärlich: ein vereinzeltes
Heraklesheiligtum in der gegend, wo Aeoler und Ionier sich kreuzen, ist also nicht
mehr befremdlich als jene epische singularität: wir bilden des Thukydides schluſs,
daſs Boeoter vor der Boeotischen einwanderung in Boeotien gesessen haben müſsten
(I 12) nur ein wenig um. eine groſse bedeutung wird diesem vorgeschobenen posten
des Heraklescultes notwendigerweise beigelegt werden müssen.
16) Der Heliossohn Augeias mit den sonnenrindern, die Molioniden, eine der
merkwürdigsten formen des vordorischen Dioskurenpares (vgl. zu vers 29), der ent-
wässerungscanal, dessen reste noch heute sichtbar sind (Curtius Peloponnes II 34)
gehen alle die Eleer nichts an. der zug des Herakles gegen Elis gehört vielmehr
in eine reihe mit denen gegen Neleus und die Pylier, Eurytos, den herrn des mes-
senischen Oichalia, Hippokoon von Sparta: es ist ersichtlich argolische sage und
spiegelt die versuche wieder, welche die argolischen Dorer machten, sich die supre-
matie im Peloponnes zu erringen. eine andere frage ist, ob sie in Elis noch die
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[271/0291] Herakles ein Dorer. H. fehlt den Hellenen; Eleern. ein. diese tatsache ist notorisch. sie wird nicht im mindesten dadurch beeinträchtigt, daſs der cult des Herakles sich auch bei Ioniern verbreitet hat, als die politische vormacht und die gesellschaftliche führung bei den Dorern stand. so haben naturgemäſs die Hellenen, die sich auf dem festlande hielten, von ihren nachbarn gelernt den Herakles zu verehren, also die bewohner von Attika und Euboia in erster linie. es ist aber auch nicht zu verwundern, daſs unsere trümmerhafte kenntnis an einzelnen orten zwar einen alten Heraklescult nachweisen kann, aber keine alt- dorische bevölkerung. besondere aufmerksamkeit verdienen diese aus- nahmen, allein mit ihnen wird so leicht niemand wagen die regel zu bestreiten 15). Auch der westlichen gruppe der einwanderer ist der ursprüngliche besitz des Herakles abzusprechen, und leicht lösen sich die scheinbar widerstrebenden instanzen auf. die sage von Herakles bei Augeias mit allem was daran hängt, geht höchstens die hellenischen vorgänger der Eleer, die Epeer, an, und sieht die heimat des Herakles in Argos 16). die H. fehlt den Eleern. 15) Es handelt sich einmal um die Heraklessagen an der thrakischen küste, in Habdera (colonie von Opuntiern und leuten dieser von einwanderern durchsetzten gegend) Sithonia, Torone, Thasos u. s. w. diese weisen auf die inseln zurück, wo Her. jedoch kaum vorkommt; denn daſs er auf Tenos die Boreaden züchtigt, braucht keine tenische sage zu sein. eine gute erklärung steht noch aus: die verbreitete annahme, den Heraklescult von Thasos, der doch von der nachbarschaft nicht getrennt werden darf, auf Phoenikier zu beziehen, ist von Furtwängler (Roschers mythol. lex. 2142) gut zurückgewiesen, doch bleibt noch unerklärt, wieso Thasos bruder des Phoinix sein kann. — der einzige auf altertum anspruch erhebende asiatische Heraklescult ist in Erythrai, und auch über ihn handelt Furtwängler (s. 2137) sehr gut. Erythrais name kehrt im südlichen Thessalien wieder und in Boeotien, von Thessalien sind notwendig auch Boeoter mit den Aeolern ausgewandert, sonst ist die anwesenheit von Peneleos und Leitos vor Ilios ganz unerklärlich: ein vereinzeltes Heraklesheiligtum in der gegend, wo Aeoler und Ionier sich kreuzen, ist also nicht mehr befremdlich als jene epische singularität: wir bilden des Thukydides schluſs, daſs Boeoter vor der Boeotischen einwanderung in Boeotien gesessen haben müſsten (I 12) nur ein wenig um. eine groſse bedeutung wird diesem vorgeschobenen posten des Heraklescultes notwendigerweise beigelegt werden müssen. 16) Der Heliossohn Augeias mit den sonnenrindern, die Molioniden, eine der merkwürdigsten formen des vordorischen Dioskurenpares (vgl. zu vers 29), der ent- wässerungscanal, dessen reste noch heute sichtbar sind (Curtius Peloponnes II 34) gehen alle die Eleer nichts an. der zug des Herakles gegen Elis gehört vielmehr in eine reihe mit denen gegen Neleus und die Pylier, Eurytos, den herrn des mes- senischen Oichalia, Hippokoon von Sparta: es ist ersichtlich argolische sage und spiegelt die versuche wieder, welche die argolischen Dorer machten, sich die supre- matie im Peloponnes zu erringen. eine andere frage ist, ob sie in Elis noch die

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_tragoedie_1889/291>, abgerufen am 20.04.2024.