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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889.

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Der Herakles der sage.
und liegen wie nirgend; am längsten hielt sich Larisa-Argos, welches
schliesslich der hauptsitz des peloponnesischen Dorertums geworden ist.
ein anderer seekönig, dessen name verschollen ist, den aber die sage um
so bezeichnender den 'ellenden ritter' nennt (Aletes Ippotou), landete im
innersten winkel des saronischen busens und bezwang von der küste aus
den schlüssel zum Peloponnes, wo er eine neue stadt, Korinthos, gründete,
die berufen ward, der zweite hauptort des Dorertums zu werden. doch
ist diese eroberung erst gemacht, als das Dorertum in der Argolis schon
festen fuss gefasst hatte, also wol viel später als wenigstens einem starken
schwarme der direkte übergang an der schmalsten stelle des Korinthischen
busens geglückt war, wie die überlieferung berichtet, weil von den west-
lichen auswanderern zuzug gekommen war, die späteren Eleer unter ihrem
könig 'Führer' (Oxulos12). aber so glücklich wie diese hatten die Dorer
es nicht. sie mussten lange irren, ehe sie im oberen Eurotastale eine
dauernde stätte fanden, und immer hat ihr gemeinwesen die spuren davon
bewahrt, dass ein kriegerischer, unstäter haufe sich für sein lagerleben
diese formen geschaffen hatte. in den kämpfen, welche viele ihrer ge-
schlechter mit den hellenischen einwohnern zu bestehen hatten, sind
die Spartiaten erstarkt; zu einer wirklich grossen macht wurden sie jedoch
erst, als der letzte act dieses kampfes ihnen die ungleich gesegnetere
landschaft Messenien überantwortete. denn es lässt sich bis zur vollen
evidenz bringen, dass der s. g. erste messenische krieg nicht, wie die
sowol von Sparta wie von Argos aus getrübte überlieferung will, ein
dorischer bruderkrieg war, sondern den Spartiaten die arkadische und
pylische Hellenenbevölkerung erlag, welche gleichzeitig von den südwärts
vorstossenden Eleern bedrängt ward13). gegen ende des achten jahr-
hunderts ist das Hellenentum des Peloponneses, an welches die Ella-
nodikai in Olympia die zulassung zu den Zeusspielen binden, ein anderes,
dorisches; die alten angestammten träger des namens sind teils geknechtet,
teils in die berge gejagt, wo sie fast allerorten in bedeutungslosigkeit
sinken, teils ausgewandert, wie die Pylier nach Athen und von dort nach
Ionien14). jetzt beginnt der antagonismus zwischen Argos, dem schon

12) Das nur in der vocalisation unwesentlich abweichende Axulos erscheint
nicht nur bei Homer Z 12, sondern wird mit dem bewusstsein seiner bedeutung
vom dichter gebraucht. xulon hat in Oxulos der herakleotische epiker Pherenikos
gesehen, Athen. 78b: das ist spielerei.
13) Der nachweis muss einer besonderen untersuchung vorbehalten bleiben:
täusche ich mich nicht, so ist hier der punkt gefunden, wo man den hebel ansetzen
kann, um die chronologie des epos einzurenken.
14) Diese ereignisse sind das geschichtliche, was der s. g. ionischen wanderung

Der Herakles der sage.
und liegen wie nirgend; am längsten hielt sich Larisa-Argos, welches
schlieſslich der hauptsitz des peloponnesischen Dorertums geworden ist.
ein anderer seekönig, dessen name verschollen ist, den aber die sage um
so bezeichnender den ‘ellenden ritter’ nennt (Ἀλήτης Ἱππότου), landete im
innersten winkel des saronischen busens und bezwang von der küste aus
den schlüssel zum Peloponnes, wo er eine neue stadt, Korinthos, gründete,
die berufen ward, der zweite hauptort des Dorertums zu werden. doch
ist diese eroberung erst gemacht, als das Dorertum in der Argolis schon
festen fuſs gefaſst hatte, also wol viel später als wenigstens einem starken
schwarme der direkte übergang an der schmalsten stelle des Korinthischen
busens geglückt war, wie die überlieferung berichtet, weil von den west-
lichen auswanderern zuzug gekommen war, die späteren Eleer unter ihrem
könig ‘Führer’ (Ὄξυλος12). aber so glücklich wie diese hatten die Dorer
es nicht. sie muſsten lange irren, ehe sie im oberen Eurotastale eine
dauernde stätte fanden, und immer hat ihr gemeinwesen die spuren davon
bewahrt, daſs ein kriegerischer, unstäter haufe sich für sein lagerleben
diese formen geschaffen hatte. in den kämpfen, welche viele ihrer ge-
schlechter mit den hellenischen einwohnern zu bestehen hatten, sind
die Spartiaten erstarkt; zu einer wirklich groſsen macht wurden sie jedoch
erst, als der letzte act dieses kampfes ihnen die ungleich gesegnetere
landschaft Messenien überantwortete. denn es läſst sich bis zur vollen
evidenz bringen, daſs der s. g. erste messenische krieg nicht, wie die
sowol von Sparta wie von Argos aus getrübte überlieferung will, ein
dorischer bruderkrieg war, sondern den Spartiaten die arkadische und
pylische Hellenenbevölkerung erlag, welche gleichzeitig von den südwärts
vorstoſsenden Eleern bedrängt ward13). gegen ende des achten jahr-
hunderts ist das Hellenentum des Peloponneses, an welches die Ἑλλα-
νοδίκαι in Olympia die zulassung zu den Zeusspielen binden, ein anderes,
dorisches; die alten angestammten träger des namens sind teils geknechtet,
teils in die berge gejagt, wo sie fast allerorten in bedeutungslosigkeit
sinken, teils ausgewandert, wie die Pylier nach Athen und von dort nach
Ionien14). jetzt beginnt der antagonismus zwischen Argos, dem schon

12) Das nur in der vocalisation unwesentlich abweichende Ἄξυλος erscheint
nicht nur bei Homer Z 12, sondern wird mit dem bewuſstsein seiner bedeutung
vom dichter gebraucht. ξύλον hat in Ὄξυλος der herakleotische epiker Pherenikos
gesehen, Athen. 78b: das ist spielerei.
13) Der nachweis muſs einer besonderen untersuchung vorbehalten bleiben:
täusche ich mich nicht, so ist hier der punkt gefunden, wo man den hebel ansetzen
kann, um die chronologie des epos einzurenken.
14) Diese ereignisse sind das geschichtliche, was der s. g. ionischen wanderung
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[268/0288] Der Herakles der sage. und liegen wie nirgend; am längsten hielt sich Larisa-Argos, welches schlieſslich der hauptsitz des peloponnesischen Dorertums geworden ist. ein anderer seekönig, dessen name verschollen ist, den aber die sage um so bezeichnender den ‘ellenden ritter’ nennt (Ἀλήτης Ἱππότου), landete im innersten winkel des saronischen busens und bezwang von der küste aus den schlüssel zum Peloponnes, wo er eine neue stadt, Korinthos, gründete, die berufen ward, der zweite hauptort des Dorertums zu werden. doch ist diese eroberung erst gemacht, als das Dorertum in der Argolis schon festen fuſs gefaſst hatte, also wol viel später als wenigstens einem starken schwarme der direkte übergang an der schmalsten stelle des Korinthischen busens geglückt war, wie die überlieferung berichtet, weil von den west- lichen auswanderern zuzug gekommen war, die späteren Eleer unter ihrem könig ‘Führer’ (Ὄξυλος 12). aber so glücklich wie diese hatten die Dorer es nicht. sie muſsten lange irren, ehe sie im oberen Eurotastale eine dauernde stätte fanden, und immer hat ihr gemeinwesen die spuren davon bewahrt, daſs ein kriegerischer, unstäter haufe sich für sein lagerleben diese formen geschaffen hatte. in den kämpfen, welche viele ihrer ge- schlechter mit den hellenischen einwohnern zu bestehen hatten, sind die Spartiaten erstarkt; zu einer wirklich groſsen macht wurden sie jedoch erst, als der letzte act dieses kampfes ihnen die ungleich gesegnetere landschaft Messenien überantwortete. denn es läſst sich bis zur vollen evidenz bringen, daſs der s. g. erste messenische krieg nicht, wie die sowol von Sparta wie von Argos aus getrübte überlieferung will, ein dorischer bruderkrieg war, sondern den Spartiaten die arkadische und pylische Hellenenbevölkerung erlag, welche gleichzeitig von den südwärts vorstoſsenden Eleern bedrängt ward 13). gegen ende des achten jahr- hunderts ist das Hellenentum des Peloponneses, an welches die Ἑλλα- νοδίκαι in Olympia die zulassung zu den Zeusspielen binden, ein anderes, dorisches; die alten angestammten träger des namens sind teils geknechtet, teils in die berge gejagt, wo sie fast allerorten in bedeutungslosigkeit sinken, teils ausgewandert, wie die Pylier nach Athen und von dort nach Ionien 14). jetzt beginnt der antagonismus zwischen Argos, dem schon 12) Das nur in der vocalisation unwesentlich abweichende Ἄξυλος erscheint nicht nur bei Homer Z 12, sondern wird mit dem bewuſstsein seiner bedeutung vom dichter gebraucht. ξύλον hat in Ὄξυλος der herakleotische epiker Pherenikos gesehen, Athen. 78b: das ist spielerei. 13) Der nachweis muſs einer besonderen untersuchung vorbehalten bleiben: täusche ich mich nicht, so ist hier der punkt gefunden, wo man den hebel ansetzen kann, um die chronologie des epos einzurenken. 14) Diese ereignisse sind das geschichtliche, was der s. g. ionischen wanderung

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_tragoedie_1889/288>, abgerufen am 24.04.2024.