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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889.

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Dorer. Einwanderung in den Peloponnes.
nennt man sie im süden und westen; im norden und osten vertreten
sie einzelne heroen, wie die oben genannten Aetoler, oder geschlechter,
wie vor allem die Amythaoniden. die geschichtliche bedeutung dieser
vordorischen zuwanderung tritt aller orten stark zu tage, und man
kann sie nicht leicht zu hoch schätzen. dadurch war nun aber die
widerstandskraft der an sich schwer zugänglichen insel der Peloper be-
deutend gekräftigt, und die Dorer sassen am meere, sahen drüben die
ersehnte küste, aber konnten nicht hinüber. sie waren kein seevolk,
die Hellenen selbst waren erst durch die not auf die see gedrängt. aber
die not zwang nun auch die Dorer. es hat sich damals ein ereignis
abgespielt, das sein analogon in den zügen hat, welche die Skythen des
Dexippos, d. h. die Germanen. im 3. jahrhundert n. Chr. unternommen
haben. das gedächtnis daran ist in späterer zeit verkümmert, weil man die
tatsachen zu Ephoros zeit wirklich nicht mehr begreifen konnte, aber die
spuren sind unverloren, dass man bis dahin die geschichtliche überlieferung
noch bewahrte. in Naupaktos haben die Dorer schiffe, kielschiffe, naes,
gebaut: zum überschreiten der meerenge zwischen den Rhia brauchten
sie keine. die ältesten dorischen ansiedelungen liegen nicht auf dem
Peloponnes, sondern um ihn, auf den inseln Thera Melos und namentlich
Kreta. es konnte nicht fehlen, dass zu der zeit, wo der Peloponnes eine
dorische insel geworden war, diese besiedelung angesehen ward als von
ihm aus vollzogen, und ein anschluss der meisten dorischen inseln an
Sparta war damals eine politische notwendigkeit. aber es ist ganz un-
denkbar, dass z. b. Kreta nicht früher von Dorern besetzt wäre, als Spartas
dorische macht sich bis an die südküste des Peloponnes erstreckte:
und wie wären die Pamphylier, die den namen einer dorischen tribus
führen, von Sparta aus an die südküste Kleinasiens gesandt, sie, die
wirklich jeden zusammenhang mit Griechenland verloren haben? aber
nicht für solche fahrten in nebelhafte ferne bauten die Dorer ihre schiffe,
sondern um die einnahme des Peloponnes durch irgend welche hinter-
pforte zu erzwingen, weil der frontangriff aussichtslos war. von der see
kam ein könig, dessen wirklicher name sich durch einen ortsnamen und
durch den cult erhalten hat, Temenos11), an die argolische küste. es
gelang ihm sich zunächst am strande festzusetzen, unter harten kämpfen
wurden erst einzelne burgen erobert, die in der Argolis so dicht lagen

11) Der name verwuchs so sehr mit dem volksbegriffe von Argos, dass neben
den Herakliden ein sohn des Pelasgos Temenos trat, der den cult der Hera in Stym-
phalos gründete (Pausan. 8, 22): was nichts bedeutet, als die erinnerung daran, dass
dieser dienst aus Argos übernommen war.

Dorer. Einwanderung in den Peloponnes.
nennt man sie im süden und westen; im norden und osten vertreten
sie einzelne heroen, wie die oben genannten Aetoler, oder geschlechter,
wie vor allem die Amythaoniden. die geschichtliche bedeutung dieser
vordorischen zuwanderung tritt aller orten stark zu tage, und man
kann sie nicht leicht zu hoch schätzen. dadurch war nun aber die
widerstandskraft der an sich schwer zugänglichen insel der Peloper be-
deutend gekräftigt, und die Dorer saſsen am meere, sahen drüben die
ersehnte küste, aber konnten nicht hinüber. sie waren kein seevolk,
die Hellenen selbst waren erst durch die not auf die see gedrängt. aber
die not zwang nun auch die Dorer. es hat sich damals ein ereignis
abgespielt, das sein analogon in den zügen hat, welche die Skythen des
Dexippos, d. h. die Germanen. im 3. jahrhundert n. Chr. unternommen
haben. das gedächtnis daran ist in späterer zeit verkümmert, weil man die
tatsachen zu Ephoros zeit wirklich nicht mehr begreifen konnte, aber die
spuren sind unverloren, daſs man bis dahin die geschichtliche überlieferung
noch bewahrte. in Naupaktos haben die Dorer schiffe, kielschiffe, νᾶες,
gebaut: zum überschreiten der meerenge zwischen den Rhia brauchten
sie keine. die ältesten dorischen ansiedelungen liegen nicht auf dem
Peloponnes, sondern um ihn, auf den inseln Thera Melos und namentlich
Kreta. es konnte nicht fehlen, daſs zu der zeit, wo der Peloponnes eine
dorische insel geworden war, diese besiedelung angesehen ward als von
ihm aus vollzogen, und ein anschluſs der meisten dorischen inseln an
Sparta war damals eine politische notwendigkeit. aber es ist ganz un-
denkbar, daſs z. b. Kreta nicht früher von Dorern besetzt wäre, als Spartas
dorische macht sich bis an die südküste des Peloponnes erstreckte:
und wie wären die Pamphylier, die den namen einer dorischen tribus
führen, von Sparta aus an die südküste Kleinasiens gesandt, sie, die
wirklich jeden zusammenhang mit Griechenland verloren haben? aber
nicht für solche fahrten in nebelhafte ferne bauten die Dorer ihre schiffe,
sondern um die einnahme des Peloponnes durch irgend welche hinter-
pforte zu erzwingen, weil der frontangriff aussichtslos war. von der see
kam ein könig, dessen wirklicher name sich durch einen ortsnamen und
durch den cult erhalten hat, Temenos11), an die argolische küste. es
gelang ihm sich zunächst am strande festzusetzen, unter harten kämpfen
wurden erst einzelne burgen erobert, die in der Argolis so dicht lagen

11) Der name verwuchs so sehr mit dem volksbegriffe von Argos, daſs neben
den Herakliden ein sohn des Pelasgos Temenos trat, der den cult der Hera in Stym-
phalos gründete (Pausan. 8, 22): was nichts bedeutet, als die erinnerung daran, daſs
dieser dienst aus Argos übernommen war.
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[267/0287] Dorer. Einwanderung in den Peloponnes. nennt man sie im süden und westen; im norden und osten vertreten sie einzelne heroen, wie die oben genannten Aetoler, oder geschlechter, wie vor allem die Amythaoniden. die geschichtliche bedeutung dieser vordorischen zuwanderung tritt aller orten stark zu tage, und man kann sie nicht leicht zu hoch schätzen. dadurch war nun aber die widerstandskraft der an sich schwer zugänglichen insel der Peloper be- deutend gekräftigt, und die Dorer saſsen am meere, sahen drüben die ersehnte küste, aber konnten nicht hinüber. sie waren kein seevolk, die Hellenen selbst waren erst durch die not auf die see gedrängt. aber die not zwang nun auch die Dorer. es hat sich damals ein ereignis abgespielt, das sein analogon in den zügen hat, welche die Skythen des Dexippos, d. h. die Germanen. im 3. jahrhundert n. Chr. unternommen haben. das gedächtnis daran ist in späterer zeit verkümmert, weil man die tatsachen zu Ephoros zeit wirklich nicht mehr begreifen konnte, aber die spuren sind unverloren, daſs man bis dahin die geschichtliche überlieferung noch bewahrte. in Naupaktos haben die Dorer schiffe, kielschiffe, νᾶες, gebaut: zum überschreiten der meerenge zwischen den Rhia brauchten sie keine. die ältesten dorischen ansiedelungen liegen nicht auf dem Peloponnes, sondern um ihn, auf den inseln Thera Melos und namentlich Kreta. es konnte nicht fehlen, daſs zu der zeit, wo der Peloponnes eine dorische insel geworden war, diese besiedelung angesehen ward als von ihm aus vollzogen, und ein anschluſs der meisten dorischen inseln an Sparta war damals eine politische notwendigkeit. aber es ist ganz un- denkbar, daſs z. b. Kreta nicht früher von Dorern besetzt wäre, als Spartas dorische macht sich bis an die südküste des Peloponnes erstreckte: und wie wären die Pamphylier, die den namen einer dorischen tribus führen, von Sparta aus an die südküste Kleinasiens gesandt, sie, die wirklich jeden zusammenhang mit Griechenland verloren haben? aber nicht für solche fahrten in nebelhafte ferne bauten die Dorer ihre schiffe, sondern um die einnahme des Peloponnes durch irgend welche hinter- pforte zu erzwingen, weil der frontangriff aussichtslos war. von der see kam ein könig, dessen wirklicher name sich durch einen ortsnamen und durch den cult erhalten hat, Temenos 11), an die argolische küste. es gelang ihm sich zunächst am strande festzusetzen, unter harten kämpfen wurden erst einzelne burgen erobert, die in der Argolis so dicht lagen 11) Der name verwuchs so sehr mit dem volksbegriffe von Argos, daſs neben den Herakliden ein sohn des Pelasgos Temenos trat, der den cult der Hera in Stym- phalos gründete (Pausan. 8, 22): was nichts bedeutet, als die erinnerung daran, daſs dieser dienst aus Argos übernommen war.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_tragoedie_1889/287>, abgerufen am 20.04.2024.