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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889.

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Die einwanderer in Epirus Aetolien Messapien Elis.
letztere vorwiegen, obwol griechische cultur mit viel grösserer leichtigkeit
eingang fand als bei barbarischen stämmen festen volkstums, z. b. den
Italikern. die hellenische urbevölkerung ist in Epirus fast spurlos ver-
nichtet; nur das heiligtum von Dodona wusste sich zu behaupten. südlich
davon, am flusse Oropos, hatte der stamm der Graer gesessen, der seinen
und seines flusses namen mit an den Euripos nahm, wo er zwischen Boeotern
Euboeern und Athenern sich verlor. aber die einwanderer nannten in
Epirus nach dem kleinen stamme das ganze Hellenenvolk, und da sie nach
Italien übersiedelten, trugen sie diese bezeichnung mit hinüber, über-
mittelten sie den Italikern und durch sie auch uns. weit mächtiger als
bei Graern und Sellern war in Aetolien die hellenische cultur erblüht.
die trümmerstätten von Kalydon und Pleuron, umrankt von den ge-
feiertsten sagen, legten zeugnis davon ab, dass dort, wo bis zum vierten
jahrhundert ein ungeschlacht wildes, in einzelne stämme gespaltenes, feste
wohnstätten und selbst das braten des fleisches verschmähendes volk
hauste, einst stolze burgen und blühende weingärten gestanden hatten.
nach harten kämpfen, deren gedächtnis in dem heldenbilde des Meleagros
dauerte, wichen die Hellenen, teils nach dem Peloponnes, teils weiter
übers meer bis nach Chios. der flüchtige Diomedes, der flüchtige Oineus
bewahren davon das gedächtnis: ihr feind, Agrios, ist der eponym des
stammes der Agrianer. dem lande war der alte name Aetolien geblieben,
und als im vierten jahrhundert die einwanderer sich zu einem volke und
staate zusammenschlossen, nahmen sie selbst den Aetolernamen auf und
erbten auch den alten sagenruhm: sie prägten mit dem bilde Atalantes7).

Auch nach dem Peloponnes hat eine welle dieser flut hinübergeschlagen.in Elis.
ein nicht eben zahlreicher stamm, der das gedächtnis seiner herkunft nie
verloren hat, besetzte zunächst das obere Peneiostal und nannte sich nach
dieser walis (vallis) waleioi. auch er erbte alten sagenruhm, und zwar
schon früh, den der selbst verschwindenden Epeer. es ist den eindring-

7) In der sage von der heimkehr des Neoptolemos und des Odysseus ist viel-
leicht noch ein nachhall an das alte Hellenentum von Epirus erhalten, aber da die
epen verloren sind, ist die entscheidung schwer. der ruhm der Aeakiden kann von
Thessalien hinübergebracht sein: um 470 heisst ein Molotterfürst Admetos nach
einem altthessalischen heros. die aufnahme heroischer namen in dem makedonischen
adel zu Philipps zeit ist keinesweges bloss durch genealogische verbindungen, wie
bei Neoptolemos und Pyrrhos von Epeiros, eingegeben. man wählt die litterarisch
berühmten Hellenennamen seit alter zeit und jetzt nur mehr, entsprechend der
steigenden bekanntschaft mit der litteratur. Alexandros Kassandros Menelaos
Meleagros Poludamas Arsinoe Telephos Tlepolemos Eurudike sind solche namen,
welche lediglich für die sucht der eltern zeugen, mit griechischer bildung zu prunken:
selbst Ptolemaios kommt in der Ilias vor.

Die einwanderer in Epirus Aetolien Messapien Elis.
letztere vorwiegen, obwol griechische cultur mit viel gröſserer leichtigkeit
eingang fand als bei barbarischen stämmen festen volkstums, z. b. den
Italikern. die hellenische urbevölkerung ist in Epirus fast spurlos ver-
nichtet; nur das heiligtum von Dodona wuſste sich zu behaupten. südlich
davon, am flusse Oropos, hatte der stamm der Graer gesessen, der seinen
und seines flusses namen mit an den Euripos nahm, wo er zwischen Boeotern
Euboeern und Athenern sich verlor. aber die einwanderer nannten in
Epirus nach dem kleinen stamme das ganze Hellenenvolk, und da sie nach
Italien übersiedelten, trugen sie diese bezeichnung mit hinüber, über-
mittelten sie den Italikern und durch sie auch uns. weit mächtiger als
bei Graern und Sellern war in Aetolien die hellenische cultur erblüht.
die trümmerstätten von Kalydon und Pleuron, umrankt von den ge-
feiertsten sagen, legten zeugnis davon ab, daſs dort, wo bis zum vierten
jahrhundert ein ungeschlacht wildes, in einzelne stämme gespaltenes, feste
wohnstätten und selbst das braten des fleisches verschmähendes volk
hauste, einst stolze burgen und blühende weingärten gestanden hatten.
nach harten kämpfen, deren gedächtnis in dem heldenbilde des Meleagros
dauerte, wichen die Hellenen, teils nach dem Peloponnes, teils weiter
übers meer bis nach Chios. der flüchtige Diomedes, der flüchtige Oineus
bewahren davon das gedächtnis: ihr feind, Agrios, ist der eponym des
stammes der Agrianer. dem lande war der alte name Aetolien geblieben,
und als im vierten jahrhundert die einwanderer sich zu einem volke und
staate zusammenschlossen, nahmen sie selbst den Aetolernamen auf und
erbten auch den alten sagenruhm: sie prägten mit dem bilde Atalantes7).

Auch nach dem Peloponnes hat eine welle dieser flut hinübergeschlagen.in Elis.
ein nicht eben zahlreicher stamm, der das gedächtnis seiner herkunft nie
verloren hat, besetzte zunächst das obere Peneiostal und nannte sich nach
dieser ϝᾶλις (vallis) ϝαλεῖοι. auch er erbte alten sagenruhm, und zwar
schon früh, den der selbst verschwindenden Epeer. es ist den eindring-

7) In der sage von der heimkehr des Neoptolemos und des Odysseus ist viel-
leicht noch ein nachhall an das alte Hellenentum von Epirus erhalten, aber da die
epen verloren sind, ist die entscheidung schwer. der ruhm der Aeakiden kann von
Thessalien hinübergebracht sein: um 470 heiſst ein Molotterfürst Admetos nach
einem altthessalischen heros. die aufnahme heroischer namen in dem makedonischen
adel zu Philipps zeit ist keinesweges bloſs durch genealogische verbindungen, wie
bei Neoptolemos und Pyrrhos von Epeiros, eingegeben. man wählt die litterarisch
berühmten Hellenennamen seit alter zeit und jetzt nur mehr, entsprechend der
steigenden bekanntschaft mit der litteratur. Ἀλέξανδρος Κάσσανδρος Μενέλαος
Μελέαγρος Πολυδάμας Ἀρσινόη Τήλεφος Τληπόλεμος Εὐρυδίκη sind solche namen,
welche lediglich für die sucht der eltern zeugen, mit griechischer bildung zu prunken:
selbst Πτολεμαῖος kommt in der Ilias vor.
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[263/0283] Die einwanderer in Epirus Aetolien Messapien Elis. letztere vorwiegen, obwol griechische cultur mit viel gröſserer leichtigkeit eingang fand als bei barbarischen stämmen festen volkstums, z. b. den Italikern. die hellenische urbevölkerung ist in Epirus fast spurlos ver- nichtet; nur das heiligtum von Dodona wuſste sich zu behaupten. südlich davon, am flusse Oropos, hatte der stamm der Graer gesessen, der seinen und seines flusses namen mit an den Euripos nahm, wo er zwischen Boeotern Euboeern und Athenern sich verlor. aber die einwanderer nannten in Epirus nach dem kleinen stamme das ganze Hellenenvolk, und da sie nach Italien übersiedelten, trugen sie diese bezeichnung mit hinüber, über- mittelten sie den Italikern und durch sie auch uns. weit mächtiger als bei Graern und Sellern war in Aetolien die hellenische cultur erblüht. die trümmerstätten von Kalydon und Pleuron, umrankt von den ge- feiertsten sagen, legten zeugnis davon ab, daſs dort, wo bis zum vierten jahrhundert ein ungeschlacht wildes, in einzelne stämme gespaltenes, feste wohnstätten und selbst das braten des fleisches verschmähendes volk hauste, einst stolze burgen und blühende weingärten gestanden hatten. nach harten kämpfen, deren gedächtnis in dem heldenbilde des Meleagros dauerte, wichen die Hellenen, teils nach dem Peloponnes, teils weiter übers meer bis nach Chios. der flüchtige Diomedes, der flüchtige Oineus bewahren davon das gedächtnis: ihr feind, Agrios, ist der eponym des stammes der Agrianer. dem lande war der alte name Aetolien geblieben, und als im vierten jahrhundert die einwanderer sich zu einem volke und staate zusammenschlossen, nahmen sie selbst den Aetolernamen auf und erbten auch den alten sagenruhm: sie prägten mit dem bilde Atalantes 7). Auch nach dem Peloponnes hat eine welle dieser flut hinübergeschlagen. ein nicht eben zahlreicher stamm, der das gedächtnis seiner herkunft nie verloren hat, besetzte zunächst das obere Peneiostal und nannte sich nach dieser ϝᾶλις (vallis) ϝαλεῖοι. auch er erbte alten sagenruhm, und zwar schon früh, den der selbst verschwindenden Epeer. es ist den eindring- in Elis. 7) In der sage von der heimkehr des Neoptolemos und des Odysseus ist viel- leicht noch ein nachhall an das alte Hellenentum von Epirus erhalten, aber da die epen verloren sind, ist die entscheidung schwer. der ruhm der Aeakiden kann von Thessalien hinübergebracht sein: um 470 heiſst ein Molotterfürst Admetos nach einem altthessalischen heros. die aufnahme heroischer namen in dem makedonischen adel zu Philipps zeit ist keinesweges bloſs durch genealogische verbindungen, wie bei Neoptolemos und Pyrrhos von Epeiros, eingegeben. man wählt die litterarisch berühmten Hellenennamen seit alter zeit und jetzt nur mehr, entsprechend der steigenden bekanntschaft mit der litteratur. Ἀλέξανδρος Κάσσανδρος Μενέλαος Μελέαγρος Πολυδάμας Ἀρσινόη Τήλεφος Τληπόλεμος Εὐρυδίκη sind solche namen, welche lediglich für die sucht der eltern zeugen, mit griechischer bildung zu prunken: selbst Πτολεμαῖος kommt in der Ilias vor.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_tragoedie_1889/283>, abgerufen am 28.03.2024.