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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889.

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Der Herakles der sage.
das meer hin. so scheint der erste stoss der einwandernden die arischen,
aber von den Hellenen fernab stehenden stämme im norden der halb-
insel getroffen zu haben, die wir unter dem collectivnamen Thraker be-
greifen. starke züge von ihnen wichen über den Hellespont nach Asien
aus, und so finden wir in geschichtlicher zeit teile desselben volkes im
innern Makedoniens und in asiatischen gegenden; so die Bruges im süd-
lichen Thrakien, die Bebrukes bei Kyzikos, die Phruges am Sangarios
und Kaikos. die einwanderer, welche sich durch die Thraker durch-
schoben, besetzten die flusstäler des Axios Ludias Haliakmon, aber auch
das innere bergland. es ist unmöglich über jeden einzelnen der stämme,
die hier nicht minder zersplittert waren, als wir es in der umgegend von
Pindos Parnass und Oeta sehen, auch nur so viel auszusagen, ob sie
von ursprung griechisch, thrakisch oder, die westlichen, selbst illyrisch
gewesen sind. aufgegangen sind sie alle in das volk der Makedonen6),
welche am tiefsten im tale ansässig die cultur zuerst annahmen, und
zwar fällt die einigung der nation mit ihrer hellenisirung zusammen.

in Epirus
Aetolien
Messapien.

Ihnen verwandt waren, wie es scheint, die einwanderer, welche sich
auf der westseite nach süden schoben und Epirus, Akarnanien (die Akar-
nanes sind ein stamm von ihnen), Aetolien besetzten, überall eine helle-
nische bevölkerung verjagend. der strom muss sehr stark gewesen sein,
denn er flutete selbst nach Italien hinüber, wo er sehr breite striche in
besitz nahm: Khaones wohnen in Epirus, Khones bei Kroton; die Mes-
sapier Oinotrer Iapygier haben so die heimat gefunden, welche sich nach
ihnen nennt. wie die makedonischen stämme schwer von den Thrakern,
so sind diese von den Illyriern schwer zu sondern. denn die Illyrier
blieben in Epirus ihre nördlichen nachbarn, und dass sich illyrische stämme
bei der schiebung nach süden und übers meer stark beteiligt haben, ist
nicht zu verwundern. als dann später colonisten aus Hellas an die epi-
rotische und italiotische küste kamen, giengen diesen selbst die züge der
urverwandtschaft und der barbarei durcheinander, und in Italien mussten

6) Für die einwanderung der Makedonen sind die splitter versprengter stämme
besonders bezeichnend, welche hie und da an dem rande haften blieben, ihrem
volkstum nach schon den gelehrten des 5. und 4. jahrhunderts, bis in welche zeit
sich reste von ihnen erhielten, unrubricirbar. es sind die 'gottlosen' Thoer vom Athos,
die Doloper von Eion und Skyros, die Pelasger von Krestone, die Sintier von Lemnos,
welche erst von den Athenern Pelasger genannt wurden. diese letzten schreiben das
phrygische alphabet und können nur für Thraker gehalten werden, was wol auch
die andern waren. Imbros ist noch karisch. so berühren sich hier die unhellenischen
völker, und da sie zunächst nur für uns collective sind, wesentlich durch den gegen-
satz zu den ebenso collectivischen Hellenen bestimmt, ist die sonderung schwierig.

Der Herakles der sage.
das meer hin. so scheint der erste stoſs der einwandernden die arischen,
aber von den Hellenen fernab stehenden stämme im norden der halb-
insel getroffen zu haben, die wir unter dem collectivnamen Thraker be-
greifen. starke züge von ihnen wichen über den Hellespont nach Asien
aus, und so finden wir in geschichtlicher zeit teile desselben volkes im
innern Makedoniens und in asiatischen gegenden; so die Βρύγες im süd-
lichen Thrakien, die Βέβρυκες bei Kyzikos, die Φρύγες am Sangarios
und Kaikos. die einwanderer, welche sich durch die Thraker durch-
schoben, besetzten die fluſstäler des Axios Ludias Haliakmon, aber auch
das innere bergland. es ist unmöglich über jeden einzelnen der stämme,
die hier nicht minder zersplittert waren, als wir es in der umgegend von
Pindos Parnass und Oeta sehen, auch nur so viel auszusagen, ob sie
von ursprung griechisch, thrakisch oder, die westlichen, selbst illyrisch
gewesen sind. aufgegangen sind sie alle in das volk der Makedonen6),
welche am tiefsten im tale ansässig die cultur zuerst annahmen, und
zwar fällt die einigung der nation mit ihrer hellenisirung zusammen.

in Epirus
Aetolien
Messapien.

Ihnen verwandt waren, wie es scheint, die einwanderer, welche sich
auf der westseite nach süden schoben und Epirus, Akarnanien (die Ἀκαρ-
νᾶνες sind ein stamm von ihnen), Aetolien besetzten, überall eine helle-
nische bevölkerung verjagend. der strom muſs sehr stark gewesen sein,
denn er flutete selbst nach Italien hinüber, wo er sehr breite striche in
besitz nahm: Χάονες wohnen in Epirus, Χῶνες bei Kroton; die Mes-
sapier Oinotrer Iapygier haben so die heimat gefunden, welche sich nach
ihnen nennt. wie die makedonischen stämme schwer von den Thrakern,
so sind diese von den Illyriern schwer zu sondern. denn die Illyrier
blieben in Epirus ihre nördlichen nachbarn, und daſs sich illyrische stämme
bei der schiebung nach süden und übers meer stark beteiligt haben, ist
nicht zu verwundern. als dann später colonisten aus Hellas an die epi-
rotische und italiotische küste kamen, giengen diesen selbst die züge der
urverwandtschaft und der barbarei durcheinander, und in Italien muſsten

6) Für die einwanderung der Makedonen sind die splitter versprengter stämme
besonders bezeichnend, welche hie und da an dem rande haften blieben, ihrem
volkstum nach schon den gelehrten des 5. und 4. jahrhunderts, bis in welche zeit
sich reste von ihnen erhielten, unrubricirbar. es sind die ‘gottlosen’ Thoer vom Athos,
die Doloper von Eion und Skyros, die Pelasger von Krestone, die Sintier von Lemnos,
welche erst von den Athenern Pelasger genannt wurden. diese letzten schreiben das
phrygische alphabet und können nur für Thraker gehalten werden, was wol auch
die andern waren. Imbros ist noch karisch. so berühren sich hier die unhellenischen
völker, und da sie zunächst nur für uns collective sind, wesentlich durch den gegen-
satz zu den ebenso collectivischen Hellenen bestimmt, ist die sonderung schwierig.
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[262/0282] Der Herakles der sage. das meer hin. so scheint der erste stoſs der einwandernden die arischen, aber von den Hellenen fernab stehenden stämme im norden der halb- insel getroffen zu haben, die wir unter dem collectivnamen Thraker be- greifen. starke züge von ihnen wichen über den Hellespont nach Asien aus, und so finden wir in geschichtlicher zeit teile desselben volkes im innern Makedoniens und in asiatischen gegenden; so die Βρύγες im süd- lichen Thrakien, die Βέβρυκες bei Kyzikos, die Φρύγες am Sangarios und Kaikos. die einwanderer, welche sich durch die Thraker durch- schoben, besetzten die fluſstäler des Axios Ludias Haliakmon, aber auch das innere bergland. es ist unmöglich über jeden einzelnen der stämme, die hier nicht minder zersplittert waren, als wir es in der umgegend von Pindos Parnass und Oeta sehen, auch nur so viel auszusagen, ob sie von ursprung griechisch, thrakisch oder, die westlichen, selbst illyrisch gewesen sind. aufgegangen sind sie alle in das volk der Makedonen 6), welche am tiefsten im tale ansässig die cultur zuerst annahmen, und zwar fällt die einigung der nation mit ihrer hellenisirung zusammen. Ihnen verwandt waren, wie es scheint, die einwanderer, welche sich auf der westseite nach süden schoben und Epirus, Akarnanien (die Ἀκαρ- νᾶνες sind ein stamm von ihnen), Aetolien besetzten, überall eine helle- nische bevölkerung verjagend. der strom muſs sehr stark gewesen sein, denn er flutete selbst nach Italien hinüber, wo er sehr breite striche in besitz nahm: Χάονες wohnen in Epirus, Χῶνες bei Kroton; die Mes- sapier Oinotrer Iapygier haben so die heimat gefunden, welche sich nach ihnen nennt. wie die makedonischen stämme schwer von den Thrakern, so sind diese von den Illyriern schwer zu sondern. denn die Illyrier blieben in Epirus ihre nördlichen nachbarn, und daſs sich illyrische stämme bei der schiebung nach süden und übers meer stark beteiligt haben, ist nicht zu verwundern. als dann später colonisten aus Hellas an die epi- rotische und italiotische küste kamen, giengen diesen selbst die züge der urverwandtschaft und der barbarei durcheinander, und in Italien muſsten 6) Für die einwanderung der Makedonen sind die splitter versprengter stämme besonders bezeichnend, welche hie und da an dem rande haften blieben, ihrem volkstum nach schon den gelehrten des 5. und 4. jahrhunderts, bis in welche zeit sich reste von ihnen erhielten, unrubricirbar. es sind die ‘gottlosen’ Thoer vom Athos, die Doloper von Eion und Skyros, die Pelasger von Krestone, die Sintier von Lemnos, welche erst von den Athenern Pelasger genannt wurden. diese letzten schreiben das phrygische alphabet und können nur für Thraker gehalten werden, was wol auch die andern waren. Imbros ist noch karisch. so berühren sich hier die unhellenischen völker, und da sie zunächst nur für uns collective sind, wesentlich durch den gegen- satz zu den ebenso collectivischen Hellenen bestimmt, ist die sonderung schwierig.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_tragoedie_1889/282>, abgerufen am 19.04.2024.