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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889.

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Mythographie.
stark in betracht 96). man kennt auch ein par namen von sammlern,
wie Lysimachos, der für die Euripidesscholien stark benutzt ist, und den
bisher sehr dunklen Kyklographen Dionysios. aber die forschung, welche
erst vor kurzem begonnen hat, durch die bearbeitung dieses gebietes für
die mythographie ein fundament zu schaffen, kann sich bisher nicht mit
namen oder festen zeitbestimmungen hervorwagen. nur das allgemeine
ist ausser allem zweifel, dass schon im zweiten jahrhundert v. Chr. die
sammelarbeit begonnen, im folgenden fortgesetzt ist, und dass die zeit
der Didymos und Theon mit der überführung der gelehrsamkeit in die
commentare und handbücher beginnt, auch wol noch zusätze macht,
aber seit 100 n. Chr. fast nur noch epitomirt wird. entsprechend der
bildung der zeit, welche den grund legte, ist die classische tragödie, die
damals noch den leuten geläufig war, wenig berücksichtigt; dagegen wird
die ganz entlegene litteratur, nicht oder nachclassische tragiker, sogar
dithyrambiker, herangezogen (was dann zuerst beseitigt wird), aber Ale-
xandriner sehr spärlich 97), vor allem aber die masse der epen, welche
nicht mehr als echt homerisch und echt hesiodisch galten, und die eigent-
lichen mythographen. somit lernen wir nicht so viel für die verlornen
dramen wie wir möchten, wol aber das beste was uns zugänglich ist für
die archaische litteratur, mittelbar also für die quellen der tragiker. sehr
viel weniger wert hat die darstellung der sagengeschichte, zu welcher
als wie zu einem texte die varianten hinzugestellt wurden, wie wir sie
bei Diodor, dann in den compendien und jüngeren scholien lesen:
hier wird gegeben, was wirklich die vulgäre fassung war. dies sind
upotheseis vergleichbar den tales from Shakespeare oder Schwabs Sagen
des classischen altertums. uns kann eine erzählung der Argonauten
nach Apollonios, der Oedipussage nach Sophokles König Oedipus und
Euripides Phoenissen wenig helfen: aber wo uns die originale fehlen,
nehmen wir doch auch hiervon mit dank kenntnis, und als gradmesser
für die popularität der gedichte wird es sogar sehr bedeutend: nur wenige
dramen haben so wie die eben genannten und z. b. Antiope Bakchen
Hippolytos Iphigeneia Andromeda durchgeschlagen. z. b. sind die Ante-
und Posthomerica immer auf grund von auszügen der homerischen epen,

96) Oder de Antonino Liberali (Bonn 1886) p. 26.
97) Diese bestandteile werden diakritische bedeutung erhalten, denn es gibt
partien, welche von ihnen so gut wie ganz frei sind, während andere voll davon
sind. ein haupt- und grundwerk, Apollodoros peri theon, hat die jungen dichter,
selbst Nikandros, nachweislich benutzt; von Lysimachos ist es unwahrscheinlich.
ähnlich wird man in den glossenerklärungen operiren können.

Mythographie.
stark in betracht 96). man kennt auch ein par namen von sammlern,
wie Lysimachos, der für die Euripidesscholien stark benutzt ist, und den
bisher sehr dunklen Kyklographen Dionysios. aber die forschung, welche
erst vor kurzem begonnen hat, durch die bearbeitung dieses gebietes für
die mythographie ein fundament zu schaffen, kann sich bisher nicht mit
namen oder festen zeitbestimmungen hervorwagen. nur das allgemeine
ist auſser allem zweifel, daſs schon im zweiten jahrhundert v. Chr. die
sammelarbeit begonnen, im folgenden fortgesetzt ist, und daſs die zeit
der Didymos und Theon mit der überführung der gelehrsamkeit in die
commentare und handbücher beginnt, auch wol noch zusätze macht,
aber seit 100 n. Chr. fast nur noch epitomirt wird. entsprechend der
bildung der zeit, welche den grund legte, ist die classische tragödie, die
damals noch den leuten geläufig war, wenig berücksichtigt; dagegen wird
die ganz entlegene litteratur, nicht oder nachclassische tragiker, sogar
dithyrambiker, herangezogen (was dann zuerst beseitigt wird), aber Ale-
xandriner sehr spärlich 97), vor allem aber die masse der epen, welche
nicht mehr als echt homerisch und echt hesiodisch galten, und die eigent-
lichen mythographen. somit lernen wir nicht so viel für die verlornen
dramen wie wir möchten, wol aber das beste was uns zugänglich ist für
die archaische litteratur, mittelbar also für die quellen der tragiker. sehr
viel weniger wert hat die darstellung der sagengeschichte, zu welcher
als wie zu einem texte die varianten hinzugestellt wurden, wie wir sie
bei Diodor, dann in den compendien und jüngeren scholien lesen:
hier wird gegeben, was wirklich die vulgäre fassung war. dies sind
ὑποϑέσεις vergleichbar den tales from Shakespeare oder Schwabs Sagen
des classischen altertums. uns kann eine erzählung der Argonauten
nach Apollonios, der Oedipussage nach Sophokles König Oedipus und
Euripides Phoenissen wenig helfen: aber wo uns die originale fehlen,
nehmen wir doch auch hiervon mit dank kenntnis, und als gradmesser
für die popularität der gedichte wird es sogar sehr bedeutend: nur wenige
dramen haben so wie die eben genannten und z. b. Antiope Bakchen
Hippolytos Iphigeneia Andromeda durchgeschlagen. z. b. sind die Ante-
und Posthomerica immer auf grund von auszügen der homerischen epen,

96) Oder de Antonino Liberali (Bonn 1886) p. 26.
97) Diese bestandteile werden diakritische bedeutung erhalten, denn es gibt
partien, welche von ihnen so gut wie ganz frei sind, während andere voll davon
sind. ein haupt- und grundwerk, Apollodoros περὶ ϑεῶν, hat die jungen dichter,
selbst Nikandros, nachweislich benutzt; von Lysimachos ist es unwahrscheinlich.
ähnlich wird man in den glossenerklärungen operiren können.
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[169/0189] Mythographie. stark in betracht 96). man kennt auch ein par namen von sammlern, wie Lysimachos, der für die Euripidesscholien stark benutzt ist, und den bisher sehr dunklen Kyklographen Dionysios. aber die forschung, welche erst vor kurzem begonnen hat, durch die bearbeitung dieses gebietes für die mythographie ein fundament zu schaffen, kann sich bisher nicht mit namen oder festen zeitbestimmungen hervorwagen. nur das allgemeine ist auſser allem zweifel, daſs schon im zweiten jahrhundert v. Chr. die sammelarbeit begonnen, im folgenden fortgesetzt ist, und daſs die zeit der Didymos und Theon mit der überführung der gelehrsamkeit in die commentare und handbücher beginnt, auch wol noch zusätze macht, aber seit 100 n. Chr. fast nur noch epitomirt wird. entsprechend der bildung der zeit, welche den grund legte, ist die classische tragödie, die damals noch den leuten geläufig war, wenig berücksichtigt; dagegen wird die ganz entlegene litteratur, nicht oder nachclassische tragiker, sogar dithyrambiker, herangezogen (was dann zuerst beseitigt wird), aber Ale- xandriner sehr spärlich 97), vor allem aber die masse der epen, welche nicht mehr als echt homerisch und echt hesiodisch galten, und die eigent- lichen mythographen. somit lernen wir nicht so viel für die verlornen dramen wie wir möchten, wol aber das beste was uns zugänglich ist für die archaische litteratur, mittelbar also für die quellen der tragiker. sehr viel weniger wert hat die darstellung der sagengeschichte, zu welcher als wie zu einem texte die varianten hinzugestellt wurden, wie wir sie bei Diodor, dann in den compendien und jüngeren scholien lesen: hier wird gegeben, was wirklich die vulgäre fassung war. dies sind ὑποϑέσεις vergleichbar den tales from Shakespeare oder Schwabs Sagen des classischen altertums. uns kann eine erzählung der Argonauten nach Apollonios, der Oedipussage nach Sophokles König Oedipus und Euripides Phoenissen wenig helfen: aber wo uns die originale fehlen, nehmen wir doch auch hiervon mit dank kenntnis, und als gradmesser für die popularität der gedichte wird es sogar sehr bedeutend: nur wenige dramen haben so wie die eben genannten und z. b. Antiope Bakchen Hippolytos Iphigeneia Andromeda durchgeschlagen. z. b. sind die Ante- und Posthomerica immer auf grund von auszügen der homerischen epen, 96) Oder de Antonino Liberali (Bonn 1886) p. 26. 97) Diese bestandteile werden diakritische bedeutung erhalten, denn es gibt partien, welche von ihnen so gut wie ganz frei sind, während andere voll davon sind. ein haupt- und grundwerk, Apollodoros περὶ ϑεῶν, hat die jungen dichter, selbst Nikandros, nachweislich benutzt; von Lysimachos ist es unwahrscheinlich. ähnlich wird man in den glossenerklärungen operiren können.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_tragoedie_1889/189>, abgerufen am 25.04.2024.