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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889.

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tragike lexis. scholien.
unbill, trotzdem dass der schreiber der handschrift lüderlich, Hesychius
ein gänzlich stupider geselle, und Diogenian ein blosser compilator ge-
wesen ist, unschätzbar. auch die tragike lexis des Didymos kann man
sich in ihrer ungeheuren glossenfülle nur nach den tragischen glossen
des Hesych vorstellen; die einzelnen aber muss man sich statt in hesy-
chischer magerkeit so stattlich denken, wie etwa Athenaeus eine glosse
abhandelt, oder wie eine probe des Didymos es tut, die sich zufällig bei
Macrobius (V 18) erhalten hat. nicht bloss den drei tragikern, und zwar allen
ihren dramen, galt das lexikon, es umfasste auch die andern namhafteren
des fünften jahrhunderts; jüngere allerdings nicht mehr. es erläuterte
ihren vocabelschatz so, dass keinesweges bloss die glossematischen worte
vorkamen, sondern auch leichtverständliche compositionen und ableitungen,
die nur eben der gewöhnlichen sprache fremd waren. es gab für sehr viele
einzelne verse die erklärung, so dass also der individuell gefärbten be-
deutung eines sonst geläufigen wortes gedacht ward. es zog gelehrsam-
keit aller art heran: natürlich aber all dies ohne consequenz, wie denn
eine erschöpfung des materiales über die kräfte nicht nur eines menschen
gegangen wäre. es ist nicht zu bezweifeln, dass auch hier, wie wir es
für die komödie beweisen können, im wesentlichen auszüge aus den vor-
handenen commentaren die bausteine waren, mit denen Didymos ein in
seiner art grossartiges und abschliessendes werk errichtet hatte. wir
aber besitzen nur den schatten, der uns lehrt was wir verloren haben.
die wörter, die noch den namen der tragödie oder wenigstens des dichters
tragen, reihen wir in die fragmentsammlung ein, ohne dass sie selbst
uns sehr viel hülfen, denn sätze sind nicht mehr viel erhalten. noch viel
mehr können wir als adespota tragica führen; aber dieser gewinn ist
dürftig. auf die erhaltenen dramen kann in einem werke, das mehrere
hundert berücksichtigte, ohne dass man eine bevorzugung einzelner wahr-
nähme, nicht sehr viel kommen; die torheiten derer, die die Hesych-
glossen mit gewalt in unsere texte interpoliren, überführt schon allein
die wahrscheinlichkeitsrechnung. fast überall bestätigt sich nur die über-
lieferung unserer handschriften, ein par mal wird sie berichtigt. was aber
der wiederholte epitomirungsprocess von der erklärung übrig gelassen
hat, ist selten noch geeignet uns etwas zu übermitteln, das wir nicht selbst
finden könnten. so sind die tragischen glossen des Hesych an praktischem
werte nicht entfernt mit den dialektischen zu vergleichen; aber von dem
werte der tragike lexis dürfen wir deshalb nicht gering denken: die
grösse kann man auch am schatten messen.

Hand in hand mit der lexikographie gieng die abfassung von com-Schollen.

τραγικὴ λέξις. scholien.
unbill, trotzdem daſs der schreiber der handschrift lüderlich, Hesychius
ein gänzlich stupider geselle, und Diogenian ein bloſser compilator ge-
wesen ist, unschätzbar. auch die τραγικὴ λέξις des Didymos kann man
sich in ihrer ungeheuren glossenfülle nur nach den tragischen glossen
des Hesych vorstellen; die einzelnen aber muſs man sich statt in hesy-
chischer magerkeit so stattlich denken, wie etwa Athenaeus eine glosse
abhandelt, oder wie eine probe des Didymos es tut, die sich zufällig bei
Macrobius (V 18) erhalten hat. nicht bloſs den drei tragikern, und zwar allen
ihren dramen, galt das lexikon, es umfaſste auch die andern namhafteren
des fünften jahrhunderts; jüngere allerdings nicht mehr. es erläuterte
ihren vocabelschatz so, daſs keinesweges bloſs die glossematischen worte
vorkamen, sondern auch leichtverständliche compositionen und ableitungen,
die nur eben der gewöhnlichen sprache fremd waren. es gab für sehr viele
einzelne verse die erklärung, so daſs also der individuell gefärbten be-
deutung eines sonst geläufigen wortes gedacht ward. es zog gelehrsam-
keit aller art heran: natürlich aber all dies ohne consequenz, wie denn
eine erschöpfung des materiales über die kräfte nicht nur eines menschen
gegangen wäre. es ist nicht zu bezweifeln, daſs auch hier, wie wir es
für die komödie beweisen können, im wesentlichen auszüge aus den vor-
handenen commentaren die bausteine waren, mit denen Didymos ein in
seiner art groſsartiges und abschlieſsendes werk errichtet hatte. wir
aber besitzen nur den schatten, der uns lehrt was wir verloren haben.
die wörter, die noch den namen der tragödie oder wenigstens des dichters
tragen, reihen wir in die fragmentsammlung ein, ohne daſs sie selbst
uns sehr viel hülfen, denn sätze sind nicht mehr viel erhalten. noch viel
mehr können wir als adespota tragica führen; aber dieser gewinn ist
dürftig. auf die erhaltenen dramen kann in einem werke, das mehrere
hundert berücksichtigte, ohne daſs man eine bevorzugung einzelner wahr-
nähme, nicht sehr viel kommen; die torheiten derer, die die Hesych-
glossen mit gewalt in unsere texte interpoliren, überführt schon allein
die wahrscheinlichkeitsrechnung. fast überall bestätigt sich nur die über-
lieferung unserer handschriften, ein par mal wird sie berichtigt. was aber
der wiederholte epitomirungsproceſs von der erklärung übrig gelassen
hat, ist selten noch geeignet uns etwas zu übermitteln, das wir nicht selbst
finden könnten. so sind die tragischen glossen des Hesych an praktischem
werte nicht entfernt mit den dialektischen zu vergleichen; aber von dem
werte der τραγικὴ λέξις dürfen wir deshalb nicht gering denken: die
gröſse kann man auch am schatten messen.

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[165/0185] τραγικὴ λέξις. scholien. unbill, trotzdem daſs der schreiber der handschrift lüderlich, Hesychius ein gänzlich stupider geselle, und Diogenian ein bloſser compilator ge- wesen ist, unschätzbar. auch die τραγικὴ λέξις des Didymos kann man sich in ihrer ungeheuren glossenfülle nur nach den tragischen glossen des Hesych vorstellen; die einzelnen aber muſs man sich statt in hesy- chischer magerkeit so stattlich denken, wie etwa Athenaeus eine glosse abhandelt, oder wie eine probe des Didymos es tut, die sich zufällig bei Macrobius (V 18) erhalten hat. nicht bloſs den drei tragikern, und zwar allen ihren dramen, galt das lexikon, es umfaſste auch die andern namhafteren des fünften jahrhunderts; jüngere allerdings nicht mehr. es erläuterte ihren vocabelschatz so, daſs keinesweges bloſs die glossematischen worte vorkamen, sondern auch leichtverständliche compositionen und ableitungen, die nur eben der gewöhnlichen sprache fremd waren. es gab für sehr viele einzelne verse die erklärung, so daſs also der individuell gefärbten be- deutung eines sonst geläufigen wortes gedacht ward. es zog gelehrsam- keit aller art heran: natürlich aber all dies ohne consequenz, wie denn eine erschöpfung des materiales über die kräfte nicht nur eines menschen gegangen wäre. es ist nicht zu bezweifeln, daſs auch hier, wie wir es für die komödie beweisen können, im wesentlichen auszüge aus den vor- handenen commentaren die bausteine waren, mit denen Didymos ein in seiner art groſsartiges und abschlieſsendes werk errichtet hatte. wir aber besitzen nur den schatten, der uns lehrt was wir verloren haben. die wörter, die noch den namen der tragödie oder wenigstens des dichters tragen, reihen wir in die fragmentsammlung ein, ohne daſs sie selbst uns sehr viel hülfen, denn sätze sind nicht mehr viel erhalten. noch viel mehr können wir als adespota tragica führen; aber dieser gewinn ist dürftig. auf die erhaltenen dramen kann in einem werke, das mehrere hundert berücksichtigte, ohne daſs man eine bevorzugung einzelner wahr- nähme, nicht sehr viel kommen; die torheiten derer, die die Hesych- glossen mit gewalt in unsere texte interpoliren, überführt schon allein die wahrscheinlichkeitsrechnung. fast überall bestätigt sich nur die über- lieferung unserer handschriften, ein par mal wird sie berichtigt. was aber der wiederholte epitomirungsproceſs von der erklärung übrig gelassen hat, ist selten noch geeignet uns etwas zu übermitteln, das wir nicht selbst finden könnten. so sind die tragischen glossen des Hesych an praktischem werte nicht entfernt mit den dialektischen zu vergleichen; aber von dem werte der τραγικὴ λέξις dürfen wir deshalb nicht gering denken: die gröſse kann man auch am schatten messen. Hand in hand mit der lexikographie gieng die abfassung von com- Schollen.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_tragoedie_1889/185>, abgerufen am 18.04.2024.