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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889.

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Geschichte des tragikertextes.
Apollodor der weise seiner lehrer folgte. dazu tritt nun ein wichtiges
zeugnis. ein bücherkatalog aus Athen (CIA II 992) zählt unter anderem
euripideische tragödien auf; sie sind nach den anfangsbuchstaben der
namen geordnet, doch so, dass erst alle mit S, dann alle mit Th, D, P,
dann vier mit A, einige mit E anfangende auf einander folgen. wir
sehen also die ordnung kata stoikheion, wie sie auch die zahlreich er-
haltenen verzeichnisse von dramen zeigen, aber in der eigentümlichen
weise modificirt, dass die mit demselben buchstaben im titel beginnenden
dramen eine einheit bilden, diese einheiten aber nicht mehr die buch-
stabenfolge des alphabetes inne halten. den grund der anomalie vermag
man nicht wol zu erraten; so viel aber ist klar, dass die buchstaben nicht
die tomoi bilden konnten, sonst hätten mehrere tomoi nur eine tragödie
umfasst. und da von A, welches die meisten enthält, zwischen P und E
vier tragödien eingezwängt sind, so liegt auch hier die tetralogie zum
mindesten sehr nahe. und das musste sie von vorn herein für den heraus-
geber tun, der unter den aischyleischen dramen eine anzahl wirklich
inhaltlich zusammengehöriger und zugleich gegebener tetralogien vorfand,
von welchen z. b. der Prometheus 53) selbst nur den einen titel für die
drei tragödien bot. man mag vermuten, dass diese tetralogien zuerst
als ein tomos vereint blieben, wie sie wol zum teil auch überliefert
waren, und dann bei Euripides und auch Sophokles 54), wo der inner-
liche zusammenhang fortfiel oder zurücktrat, ein compromiss zwischen
dieser einteilung und der ordnung nach dem anfangsbuchstaben getroffen
ward. indessen bleibt das einzelne zunächst noch ganz unsicher; wichtig
aber ist die erkenntnis des einteilungsprincipes im ganzen, und sie wird
sich später noch in wichtigen folgen bewähren 55).

Erklärung.

Auch die reihe der commentatoren beginnt Aristophanes. daraus folgt,
dass er im Museion tragiker erklärt hat, ebenso wie auch epiker lyriker und
komiker. denn für die älteste grammatik gilt noch ebenso wie für die

53) Der erhaltene Prometheus stand in der ausgabe, für welche schol. 511
geschrieben ist, noch im verbande der trilogie, denn der luomenos heisst to exes
drama. angeführt wird auch das dritte stück, 94. auch die erhaltene Orestie dürfte
der veranstalter unserer auswahl nicht erst selbst zusammengestellt, sondern im
selben bande vereint gelesen haben.
54) Auch von diesem stehen einige mit gleichem buchstaben beginnende tragödien-
namen auf dem steine CIA II 992.
55) Zwei notizen scheinen darauf zu führen, dass die tragödien auch eine
laufende nummer führten, in der hypothesis der Alkestis to drama epoiethe iz,
und in der der Antigone lelektai de to drama touto triakoston deuteron: aber
sie haben sich bisher jeder deutung entzogen.

Geschichte des tragikertextes.
Apollodor der weise seiner lehrer folgte. dazu tritt nun ein wichtiges
zeugnis. ein bücherkatalog aus Athen (CIA II 992) zählt unter anderem
euripideische tragödien auf; sie sind nach den anfangsbuchstaben der
namen geordnet, doch so, daſs erst alle mit Σ, dann alle mit Θ, Δ, Π,
dann vier mit Α, einige mit Ε anfangende auf einander folgen. wir
sehen also die ordnung κατὰ στοιχεῖον, wie sie auch die zahlreich er-
haltenen verzeichnisse von dramen zeigen, aber in der eigentümlichen
weise modificirt, daſs die mit demselben buchstaben im titel beginnenden
dramen eine einheit bilden, diese einheiten aber nicht mehr die buch-
stabenfolge des alphabetes inne halten. den grund der anomalie vermag
man nicht wol zu erraten; so viel aber ist klar, daſs die buchstaben nicht
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mindesten sehr nahe. und das muſste sie von vorn herein für den heraus-
geber tun, der unter den aischyleischen dramen eine anzahl wirklich
inhaltlich zusammengehöriger und zugleich gegebener tetralogien vorfand,
von welchen z. b. der Prometheus 53) selbst nur den einen titel für die
drei tragödien bot. man mag vermuten, daſs diese tetralogien zuerst
als ein τόμος vereint blieben, wie sie wol zum teil auch überliefert
waren, und dann bei Euripides und auch Sophokles 54), wo der inner-
liche zusammenhang fortfiel oder zurücktrat, ein compromiſs zwischen
dieser einteilung und der ordnung nach dem anfangsbuchstaben getroffen
ward. indessen bleibt das einzelne zunächst noch ganz unsicher; wichtig
aber ist die erkenntnis des einteilungsprincipes im ganzen, und sie wird
sich später noch in wichtigen folgen bewähren 55).

Erklärung.

Auch die reihe der commentatoren beginnt Aristophanes. daraus folgt,
daſs er im Museion tragiker erklärt hat, ebenso wie auch epiker lyriker und
komiker. denn für die älteste grammatik gilt noch ebenso wie für die

53) Der erhaltene Prometheus stand in der ausgabe, für welche schol. 511
geschrieben ist, noch im verbande der trilogie, denn der λυόμενος heiſst τὀ ἑξῆς
δρᾶμα. angeführt wird auch das dritte stück, 94. auch die erhaltene Orestie dürfte
der veranstalter unserer auswahl nicht erst selbst zusammengestellt, sondern im
selben bande vereint gelesen haben.
54) Auch von diesem stehen einige mit gleichem buchstaben beginnende tragödien-
namen auf dem steine CIA II 992.
55) Zwei notizen scheinen darauf zu führen, daſs die tragödien auch eine
laufende nummer führten, in der hypothesis der Alkestis τὸ δρᾶμα ἐποιήϑη ιζ΄,
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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_tragoedie_1889/170>, abgerufen am 20.04.2024.