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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889.

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Aristophanes von Byzanz. ausgabe des Pindar.
d. h. epe, kann demnach auf diese classikerausgaben gar nicht angewandt
sein. sie hatte aber auch keinen zweck, denn der umfang ward ja fest-
gestellt um schreiberlohn und buchpreis zu bestimmen. für gewöhnliche
schrift reichte dazu die feststellung der buchstabenzahl (wie auch für die
steinschrift), später die der sylbenzahl aus 30): in den dichterausgaben waren
bestimmte zeilen inne zu halten, lesezeichen zu setzen u. dgl. m., so dass
die blosse zählung der elemente ihre bedeutung verlor.

Es war also eine tiefgreifende neuerung, dass die dichtertexte nach
metrischen regeln abgeteilt wurden. es war das für die leser eine notwendig-
keit geworden, aber ein sachverständiger gelehrter war allerdings dazu nötig.
in wie weit die leser in älterer zeit die lyrischen als prosa geschriebenen
verse richtig gelesen haben, stehe dahin; da sie rhythmus und versglieder
auch in der prosa hörten, und zwar dieselben wie in der poesie, so werden
sie jedenfalls einen rhythmischen genuss gefunden haben. aber um 200
war die sprache des lebens schon stark verändert, die kenntnis der metrik
sehr zusammengeschrumpft, da fast ausschliesslich nur noch die stichisch
gebrauchten masse in der praxis fortbestanden. der leser bedurfte also
einer hülfe. da stand nun der herausgeber vor einer entscheidung. Aristo-
phanes hat die abteilung nach den gliedern gewählt, nach dem, was man
für die elemente der rhythmischen kunstwerke hielt, befangen in der
rhetorischen lehre, die an der prosa namentlich durch die peripatetiker
ausgebildet war, die metrik war durch diese nicht zu einer eignen wissen-
schaft ausgebildet, und so ist sie immer zwischen musik und rhetorik
ohne halt herumgeworfen. bald nach Aristophanes zeit ist die grund-
lage der uns überlieferten metrik festgestellt worden, doch kennt man
die massgebenden personen nicht. dass Aristophanes das kolizein an
den lyrikertexten durchgeführt hat, ist bezeugt 31). er hat damit die praxis

30) Die subscriptionen der zeilensummen erfüllen also ihren zweck sehr wol
auch in büchern welche die normalzeile selbst aufgegeben haben. da ausserdem die
hunderte am rande bezeichnet wurden, so blieben selbst die citate nach zeilen
brauchbar. dass unsere handschriften von Pindar und den scenikern keine sticho-
metrischen angaben führen, ist somit begreiflich: die hinter dem Sophokles im Lauren-
tianus sind nicht antik, wie die form zeigt, und sind sinnlos.
31) Dionysios de comp. verb. 22. 26 (p. 156. 221 R.). natürlich ward nicht bis
auf die kleinsten einheiten zurückgegangen, die man jetzt podes oder gar emipodes
nannte; auch mehrere kleine kola, deren vereinigung fest stand, liess man zusammen.
für die lyriker helfen uns ausser dem unschätzbaren blatte Alkman die nachbildungen
der Römer und deren praxis, die häufig durch die ganz äusserliche abteilung der
texte bedingt ist, wie sie z. b. die sapphische und aeolische strophe als vier perioden
behandeln, während es drei sind, weil sie so abgesetzt waren, und auf solche ver-
kehrtheiten kamen wie Horaz I 8, II 18.

Aristophanes von Byzanz. ausgabe des Pindar.
d. h. ἔπη, kann demnach auf diese classikerausgaben gar nicht angewandt
sein. sie hatte aber auch keinen zweck, denn der umfang ward ja fest-
gestellt um schreiberlohn und buchpreis zu bestimmen. für gewöhnliche
schrift reichte dazu die feststellung der buchstabenzahl (wie auch für die
steinschrift), später die der sylbenzahl aus 30): in den dichterausgaben waren
bestimmte zeilen inne zu halten, lesezeichen zu setzen u. dgl. m., so daſs
die bloſse zählung der elemente ihre bedeutung verlor.

Es war also eine tiefgreifende neuerung, daſs die dichtertexte nach
metrischen regeln abgeteilt wurden. es war das für die leser eine notwendig-
keit geworden, aber ein sachverständiger gelehrter war allerdings dazu nötig.
in wie weit die leser in älterer zeit die lyrischen als prosa geschriebenen
verse richtig gelesen haben, stehe dahin; da sie rhythmus und versglieder
auch in der prosa hörten, und zwar dieselben wie in der poesie, so werden
sie jedenfalls einen rhythmischen genuſs gefunden haben. aber um 200
war die sprache des lebens schon stark verändert, die kenntnis der metrik
sehr zusammengeschrumpft, da fast ausschlieſslich nur noch die stichisch
gebrauchten maſse in der praxis fortbestanden. der leser bedurfte also
einer hülfe. da stand nun der herausgeber vor einer entscheidung. Aristo-
phanes hat die abteilung nach den gliedern gewählt, nach dem, was man
für die elemente der rhythmischen kunstwerke hielt, befangen in der
rhetorischen lehre, die an der prosa namentlich durch die peripatetiker
ausgebildet war, die metrik war durch diese nicht zu einer eignen wissen-
schaft ausgebildet, und so ist sie immer zwischen musik und rhetorik
ohne halt herumgeworfen. bald nach Aristophanes zeit ist die grund-
lage der uns überlieferten metrik festgestellt worden, doch kennt man
die maſsgebenden personen nicht. daſs Aristophanes das κωλίζειν an
den lyrikertexten durchgeführt hat, ist bezeugt 31). er hat damit die praxis

30) Die subscriptionen der zeilensummen erfüllen also ihren zweck sehr wol
auch in büchern welche die normalzeile selbst aufgegeben haben. da auſserdem die
hunderte am rande bezeichnet wurden, so blieben selbst die citate nach zeilen
brauchbar. daſs unsere handschriften von Pindar und den scenikern keine sticho-
metrischen angaben führen, ist somit begreiflich: die hinter dem Sophokles im Lauren-
tianus sind nicht antik, wie die form zeigt, und sind sinnlos.
31) Dionysios de comp. verb. 22. 26 (p. 156. 221 R.). natürlich ward nicht bis
auf die kleinsten einheiten zurückgegangen, die man jetzt πόδες oder gar ἡμίποδες
nannte; auch mehrere kleine kola, deren vereinigung fest stand, lieſs man zusammen.
für die lyriker helfen uns auſser dem unschätzbaren blatte Alkman die nachbildungen
der Römer und deren praxis, die häufig durch die ganz äuſserliche abteilung der
texte bedingt ist, wie sie z. b. die sapphische und aeolische strophe als vier perioden
behandeln, während es drei sind, weil sie so abgesetzt waren, und auf solche ver-
kehrtheiten kamen wie Horaz I 8, II 18.
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[141/0161] Aristophanes von Byzanz. ausgabe des Pindar. d. h. ἔπη, kann demnach auf diese classikerausgaben gar nicht angewandt sein. sie hatte aber auch keinen zweck, denn der umfang ward ja fest- gestellt um schreiberlohn und buchpreis zu bestimmen. für gewöhnliche schrift reichte dazu die feststellung der buchstabenzahl (wie auch für die steinschrift), später die der sylbenzahl aus 30): in den dichterausgaben waren bestimmte zeilen inne zu halten, lesezeichen zu setzen u. dgl. m., so daſs die bloſse zählung der elemente ihre bedeutung verlor. Es war also eine tiefgreifende neuerung, daſs die dichtertexte nach metrischen regeln abgeteilt wurden. es war das für die leser eine notwendig- keit geworden, aber ein sachverständiger gelehrter war allerdings dazu nötig. in wie weit die leser in älterer zeit die lyrischen als prosa geschriebenen verse richtig gelesen haben, stehe dahin; da sie rhythmus und versglieder auch in der prosa hörten, und zwar dieselben wie in der poesie, so werden sie jedenfalls einen rhythmischen genuſs gefunden haben. aber um 200 war die sprache des lebens schon stark verändert, die kenntnis der metrik sehr zusammengeschrumpft, da fast ausschlieſslich nur noch die stichisch gebrauchten maſse in der praxis fortbestanden. der leser bedurfte also einer hülfe. da stand nun der herausgeber vor einer entscheidung. Aristo- phanes hat die abteilung nach den gliedern gewählt, nach dem, was man für die elemente der rhythmischen kunstwerke hielt, befangen in der rhetorischen lehre, die an der prosa namentlich durch die peripatetiker ausgebildet war, die metrik war durch diese nicht zu einer eignen wissen- schaft ausgebildet, und so ist sie immer zwischen musik und rhetorik ohne halt herumgeworfen. bald nach Aristophanes zeit ist die grund- lage der uns überlieferten metrik festgestellt worden, doch kennt man die maſsgebenden personen nicht. daſs Aristophanes das κωλίζειν an den lyrikertexten durchgeführt hat, ist bezeugt 31). er hat damit die praxis 30) Die subscriptionen der zeilensummen erfüllen also ihren zweck sehr wol auch in büchern welche die normalzeile selbst aufgegeben haben. da auſserdem die hunderte am rande bezeichnet wurden, so blieben selbst die citate nach zeilen brauchbar. daſs unsere handschriften von Pindar und den scenikern keine sticho- metrischen angaben führen, ist somit begreiflich: die hinter dem Sophokles im Lauren- tianus sind nicht antik, wie die form zeigt, und sind sinnlos. 31) Dionysios de comp. verb. 22. 26 (p. 156. 221 R.). natürlich ward nicht bis auf die kleinsten einheiten zurückgegangen, die man jetzt πόδες oder gar ἡμίποδες nannte; auch mehrere kleine kola, deren vereinigung fest stand, lieſs man zusammen. für die lyriker helfen uns auſser dem unschätzbaren blatte Alkman die nachbildungen der Römer und deren praxis, die häufig durch die ganz äuſserliche abteilung der texte bedingt ist, wie sie z. b. die sapphische und aeolische strophe als vier perioden behandeln, während es drei sind, weil sie so abgesetzt waren, und auf solche ver- kehrtheiten kamen wie Horaz I 8, II 18.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_tragoedie_1889/161>, abgerufen am 19.04.2024.