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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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collegen hatten, seit sie durch directe wahl bestellt wurden, eine über-
wiegende macht besessen; die wahlen selbst müssen den zwist der parteien
alljährlich brennend gemacht haben. nun griff man auf den solonischen
wahlmodus zurück, die erlosung aus einer durch wahl festgesetzten can-
didatenliste. diese wahl der candidaten ward den gemeinden überwiesen,
ähnlich wie es beim rate geschah; man fragt vergeblich, wie denn die 50
candidaten, die auf eine phyle kamen, auf die gemeinden verteilt wurden;
vermutlich ist die präsentation durch phylenwahl bald eingetreten, die der
später üblichen erlosung von 10 präsentanden in der phyle vorher-
gegangen sein muss. der erfolg der neuerung ist sofort ersichtlich. der
einfluss eines mannes, der sonst das volk bestimmt haben mochte,
konnte nun nicht einmal die phyle beherrschen. das amt, das so hoch
gehalten worden war, behielt den nimbus der höchsten stellung noch
lange, hatte damals natürlich noch viele wichtige geschäfte, vor allem
eröffnete es die dauernde teilnahme an der regierung allein, weil es die
stufe zum Areopage war; aber die führenden männer verschwinden mit
einem schlage aus der archontenliste, und wenn der polemarch Kalli-
machos bei Marathon noch eine wichtige person ist, so hört man schon
480 und 479 nichts mehr von dem polemarchen. der tag der strategen
Aenderung
der stra-
tegie.
und rhetoren ist angebrochen. die strategen mochten damals noch die
führung der zehn regimenter haben, obwol ihre verwendung als
flottenführer und als deputirte Athens im Hellenenrate schlecht damit
vereinbar ist. dann hat es doch nicht lange gewährt, bis man den fol-
genreichen schritt tat, die führung der regimenter der neugeschaffenen
charge der taxiarchen zu übertragen, die strategen aber zu den exe-
cutivbeamten des volkes zu machen.29) damit war eine magistratur ge-
schaffen, vergleichbar den consuln der römischen republik im zweiten
jahrhundert v. Chr., und die vornehmen männer, die sich nicht gern
mit den handwerkern in den rat der 500 setzen mochten, fanden eine
legitime art dem volke zu dienen und doch ihr standesgefühl zu be-
haupten.

483 stand Themistokles ohne rivalen da. er vollendete jetzt seine
pläne für die gründung einer flotte; es muss aber in dem jahrzehnt
seit seinem archontenjahre mancher schritt vorwärts getan sein. die
notwendigkeit hatte sich auch sehr bitter fühlbar gemacht, in einem un-
glücklichen kriege, den Athen mit Aegina geführt hatte. dass dieser den

29) Die reform ist immer noch nach unten nur durch die anführung der taxi-
archen bei Aischylos frgm. 186 begrenzt.

II. 3. Von Peisistratos bis Ephialtes.
collegen hatten, seit sie durch directe wahl bestellt wurden, eine über-
wiegende macht besessen; die wahlen selbst müssen den zwist der parteien
alljährlich brennend gemacht haben. nun griff man auf den solonischen
wahlmodus zurück, die erlosung aus einer durch wahl festgesetzten can-
didatenliste. diese wahl der candidaten ward den gemeinden überwiesen,
ähnlich wie es beim rate geschah; man fragt vergeblich, wie denn die 50
candidaten, die auf eine phyle kamen, auf die gemeinden verteilt wurden;
vermutlich ist die präsentation durch phylenwahl bald eingetreten, die der
später üblichen erlosung von 10 präsentanden in der phyle vorher-
gegangen sein muſs. der erfolg der neuerung ist sofort ersichtlich. der
einfluſs eines mannes, der sonst das volk bestimmt haben mochte,
konnte nun nicht einmal die phyle beherrschen. das amt, das so hoch
gehalten worden war, behielt den nimbus der höchsten stellung noch
lange, hatte damals natürlich noch viele wichtige geschäfte, vor allem
eröffnete es die dauernde teilnahme an der regierung allein, weil es die
stufe zum Areopage war; aber die führenden männer verschwinden mit
einem schlage aus der archontenliste, und wenn der polemarch Kalli-
machos bei Marathon noch eine wichtige person ist, so hört man schon
480 und 479 nichts mehr von dem polemarchen. der tag der strategen
Aenderung
der stra-
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und rhetoren ist angebrochen. die strategen mochten damals noch die
führung der zehn regimenter haben, obwol ihre verwendung als
flottenführer und als deputirte Athens im Hellenenrate schlecht damit
vereinbar ist. dann hat es doch nicht lange gewährt, bis man den fol-
genreichen schritt tat, die führung der regimenter der neugeschaffenen
charge der taxiarchen zu übertragen, die strategen aber zu den exe-
cutivbeamten des volkes zu machen.29) damit war eine magistratur ge-
schaffen, vergleichbar den consuln der römischen republik im zweiten
jahrhundert v. Chr., und die vornehmen männer, die sich nicht gern
mit den handwerkern in den rat der 500 setzen mochten, fanden eine
legitime art dem volke zu dienen und doch ihr standesgefühl zu be-
haupten.

483 stand Themistokles ohne rivalen da. er vollendete jetzt seine
pläne für die gründung einer flotte; es muſs aber in dem jahrzehnt
seit seinem archontenjahre mancher schritt vorwärts getan sein. die
notwendigkeit hatte sich auch sehr bitter fühlbar gemacht, in einem un-
glücklichen kriege, den Athen mit Aegina geführt hatte. daſs dieser den

29) Die reform ist immer noch nach unten nur durch die anführung der taxi-
archen bei Aischylos frgm. 186 begrenzt.
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[88/0098] II. 3. Von Peisistratos bis Ephialtes. collegen hatten, seit sie durch directe wahl bestellt wurden, eine über- wiegende macht besessen; die wahlen selbst müssen den zwist der parteien alljährlich brennend gemacht haben. nun griff man auf den solonischen wahlmodus zurück, die erlosung aus einer durch wahl festgesetzten can- didatenliste. diese wahl der candidaten ward den gemeinden überwiesen, ähnlich wie es beim rate geschah; man fragt vergeblich, wie denn die 50 candidaten, die auf eine phyle kamen, auf die gemeinden verteilt wurden; vermutlich ist die präsentation durch phylenwahl bald eingetreten, die der später üblichen erlosung von 10 präsentanden in der phyle vorher- gegangen sein muſs. der erfolg der neuerung ist sofort ersichtlich. der einfluſs eines mannes, der sonst das volk bestimmt haben mochte, konnte nun nicht einmal die phyle beherrschen. das amt, das so hoch gehalten worden war, behielt den nimbus der höchsten stellung noch lange, hatte damals natürlich noch viele wichtige geschäfte, vor allem eröffnete es die dauernde teilnahme an der regierung allein, weil es die stufe zum Areopage war; aber die führenden männer verschwinden mit einem schlage aus der archontenliste, und wenn der polemarch Kalli- machos bei Marathon noch eine wichtige person ist, so hört man schon 480 und 479 nichts mehr von dem polemarchen. der tag der strategen und rhetoren ist angebrochen. die strategen mochten damals noch die führung der zehn regimenter haben, obwol ihre verwendung als flottenführer und als deputirte Athens im Hellenenrate schlecht damit vereinbar ist. dann hat es doch nicht lange gewährt, bis man den fol- genreichen schritt tat, die führung der regimenter der neugeschaffenen charge der taxiarchen zu übertragen, die strategen aber zu den exe- cutivbeamten des volkes zu machen. 29) damit war eine magistratur ge- schaffen, vergleichbar den consuln der römischen republik im zweiten jahrhundert v. Chr., und die vornehmen männer, die sich nicht gern mit den handwerkern in den rat der 500 setzen mochten, fanden eine legitime art dem volke zu dienen und doch ihr standesgefühl zu be- haupten. Aenderung der stra- tegie. 483 stand Themistokles ohne rivalen da. er vollendete jetzt seine pläne für die gründung einer flotte; es muſs aber in dem jahrzehnt seit seinem archontenjahre mancher schritt vorwärts getan sein. die notwendigkeit hatte sich auch sehr bitter fühlbar gemacht, in einem un- glücklichen kriege, den Athen mit Aegina geführt hatte. daſs dieser den 29) Die reform ist immer noch nach unten nur durch die anführung der taxi- archen bei Aischylos frgm. 186 begrenzt.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/98>, abgerufen am 20.04.2024.