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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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II. 3. Von Peisistratos bis Ephialtes.
oder jener tyrann aufstieg oder fiel. aber das gieng alle an, dass die
Hellespontische gegend ganz und gar persisch ward, eine insel nach der
anderen unterworfen ward, feste zwingburgen in der satrapie Thrakien
sich erhoben, am Strymon, wo die Hellenen nie vermocht hatten, handels-
städte zu gründen. die erzeugnisse des Pontos erhielt Hellas fortan nur
durch die gnade der Perser11): zumal Athen musste diese veränderte sach-
lage bitter empfinden. der Philaide Miltiades war vasall des grossherrn so
gut wie Hippias. diese tyrannen empfanden das straffere regiment des
Dareios am peinlichsten, die tributzahlung auf grund einer landvermes-
sung durch königliche beamte, die ständige controlle durch die satrapen,
die nicht selten einzelne personen scharf treffende königliche allgewalt.
so machten sie den versuch, sich des steigenden nationalen bewusstseins
zu bedienen, das sie selbst nur heuchelten, und Aristagoras von Milet
kam selbst nach Europa um hilfe. Sparta, der vorort des bundes, wies
ihn ab. es verdient weder lob noch tadel, noch soll man nach andern
motiven suchen: Asien lag ganz ausserhalb seines gesichtskreises12): das
hat es noch nach Salamis bewiesen. aber die ionischen städte, Athen
und Eretria13), liessen sich verführen, und eine kleine schar ihrer bürger
beteiligte sich an der verbrennung von Sardes (wahrscheinlich 499). nach
der niederlage bei Ephesos gab Athen die sache Ioniens verloren und
glaubte wol, dass das unüberlegte vorgehen keine folgen haben würde.
die einsichtigen aber wussten nun, dass die existenz des staates auf des
messers schneide stand.

Die demokratische zeit leitet sich in der besten und vornehmsten
weise damit ein, dass die personen der führer hinter dem volke ver-
schwinden. die ersten glänzenden siege sind an keines feldherrn namen
geknüpft; von leitenden staatsmännern hört man nichts. für die ein-
sicht in die zeitgeschichte ist das bedauerlich, denn so wenig wie auch

11) Die anekdote (Herod. 7, 147) spricht das gut so aus, dass sie Xerxes die
getreideschiffe den Hellespont passiren lässt, weil sie in 'seine provinz' Hellas führen.
12) Vollends eine unmöglichkeit ist, dass die Skythen sich um seine beihilfe
bemüht haben sollen, Herod. 6, 84. die entstehung dieser fabel hat Nöldeke richtig
beurteilt (Gesch. Irans 36). sie richtet sich schon dadurch, dass sie in der erzählung
des Skythenkrieges selbst nicht berücksichtigt wird.
13) Eretria hat mindestens einen teil von Euboia beherrscht. die Perser
nehmen ja auch 490 zunächst Karystos, das durch den fall Eretrias frei wird und
sich gegen das attische Reich sträubt. aber auch die nächstliegenden Kykladen
werden unter Eretrias hoheit gestanden haben; Simonides hat zuerst für Eretrier
gedichtet. dass es mit Athen gegen Chalkis gestanden hat und einen teil von der
beute erhalten, ist eine ganz sichere folgerung.

II. 3. Von Peisistratos bis Ephialtes.
oder jener tyrann aufstieg oder fiel. aber das gieng alle an, daſs die
Hellespontische gegend ganz und gar persisch ward, eine insel nach der
anderen unterworfen ward, feste zwingburgen in der satrapie Thrakien
sich erhoben, am Strymon, wo die Hellenen nie vermocht hatten, handels-
städte zu gründen. die erzeugnisse des Pontos erhielt Hellas fortan nur
durch die gnade der Perser11): zumal Athen muſste diese veränderte sach-
lage bitter empfinden. der Philaide Miltiades war vasall des groſsherrn so
gut wie Hippias. diese tyrannen empfanden das straffere regiment des
Dareios am peinlichsten, die tributzahlung auf grund einer landvermes-
sung durch königliche beamte, die ständige controlle durch die satrapen,
die nicht selten einzelne personen scharf treffende königliche allgewalt.
so machten sie den versuch, sich des steigenden nationalen bewuſstseins
zu bedienen, das sie selbst nur heuchelten, und Aristagoras von Milet
kam selbst nach Europa um hilfe. Sparta, der vorort des bundes, wies
ihn ab. es verdient weder lob noch tadel, noch soll man nach andern
motiven suchen: Asien lag ganz auſserhalb seines gesichtskreises12): das
hat es noch nach Salamis bewiesen. aber die ionischen städte, Athen
und Eretria13), lieſsen sich verführen, und eine kleine schar ihrer bürger
beteiligte sich an der verbrennung von Sardes (wahrscheinlich 499). nach
der niederlage bei Ephesos gab Athen die sache Ioniens verloren und
glaubte wol, daſs das unüberlegte vorgehen keine folgen haben würde.
die einsichtigen aber wuſsten nun, daſs die existenz des staates auf des
messers schneide stand.

Die demokratische zeit leitet sich in der besten und vornehmsten
weise damit ein, daſs die personen der führer hinter dem volke ver-
schwinden. die ersten glänzenden siege sind an keines feldherrn namen
geknüpft; von leitenden staatsmännern hört man nichts. für die ein-
sicht in die zeitgeschichte ist das bedauerlich, denn so wenig wie auch

11) Die anekdote (Herod. 7, 147) spricht das gut so aus, daſs sie Xerxes die
getreideschiffe den Hellespont passiren läſst, weil sie in ‘seine provinz’ Hellas führen.
12) Vollends eine unmöglichkeit ist, daſs die Skythen sich um seine beihilfe
bemüht haben sollen, Herod. 6, 84. die entstehung dieser fabel hat Nöldeke richtig
beurteilt (Gesch. Irans 36). sie richtet sich schon dadurch, daſs sie in der erzählung
des Skythenkrieges selbst nicht berücksichtigt wird.
13) Eretria hat mindestens einen teil von Euboia beherrscht. die Perser
nehmen ja auch 490 zunächst Karystos, das durch den fall Eretrias frei wird und
sich gegen das attische Reich sträubt. aber auch die nächstliegenden Kykladen
werden unter Eretrias hoheit gestanden haben; Simonides hat zuerst für Eretrier
gedichtet. daſs es mit Athen gegen Chalkis gestanden hat und einen teil von der
beute erhalten, ist eine ganz sichere folgerung.
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[80/0090] II. 3. Von Peisistratos bis Ephialtes. oder jener tyrann aufstieg oder fiel. aber das gieng alle an, daſs die Hellespontische gegend ganz und gar persisch ward, eine insel nach der anderen unterworfen ward, feste zwingburgen in der satrapie Thrakien sich erhoben, am Strymon, wo die Hellenen nie vermocht hatten, handels- städte zu gründen. die erzeugnisse des Pontos erhielt Hellas fortan nur durch die gnade der Perser 11): zumal Athen muſste diese veränderte sach- lage bitter empfinden. der Philaide Miltiades war vasall des groſsherrn so gut wie Hippias. diese tyrannen empfanden das straffere regiment des Dareios am peinlichsten, die tributzahlung auf grund einer landvermes- sung durch königliche beamte, die ständige controlle durch die satrapen, die nicht selten einzelne personen scharf treffende königliche allgewalt. so machten sie den versuch, sich des steigenden nationalen bewuſstseins zu bedienen, das sie selbst nur heuchelten, und Aristagoras von Milet kam selbst nach Europa um hilfe. Sparta, der vorort des bundes, wies ihn ab. es verdient weder lob noch tadel, noch soll man nach andern motiven suchen: Asien lag ganz auſserhalb seines gesichtskreises 12): das hat es noch nach Salamis bewiesen. aber die ionischen städte, Athen und Eretria 13), lieſsen sich verführen, und eine kleine schar ihrer bürger beteiligte sich an der verbrennung von Sardes (wahrscheinlich 499). nach der niederlage bei Ephesos gab Athen die sache Ioniens verloren und glaubte wol, daſs das unüberlegte vorgehen keine folgen haben würde. die einsichtigen aber wuſsten nun, daſs die existenz des staates auf des messers schneide stand. Die demokratische zeit leitet sich in der besten und vornehmsten weise damit ein, daſs die personen der führer hinter dem volke ver- schwinden. die ersten glänzenden siege sind an keines feldherrn namen geknüpft; von leitenden staatsmännern hört man nichts. für die ein- sicht in die zeitgeschichte ist das bedauerlich, denn so wenig wie auch 11) Die anekdote (Herod. 7, 147) spricht das gut so aus, daſs sie Xerxes die getreideschiffe den Hellespont passiren läſst, weil sie in ‘seine provinz’ Hellas führen. 12) Vollends eine unmöglichkeit ist, daſs die Skythen sich um seine beihilfe bemüht haben sollen, Herod. 6, 84. die entstehung dieser fabel hat Nöldeke richtig beurteilt (Gesch. Irans 36). sie richtet sich schon dadurch, daſs sie in der erzählung des Skythenkrieges selbst nicht berücksichtigt wird. 13) Eretria hat mindestens einen teil von Euboia beherrscht. die Perser nehmen ja auch 490 zunächst Karystos, das durch den fall Eretrias frei wird und sich gegen das attische Reich sträubt. aber auch die nächstliegenden Kykladen werden unter Eretrias hoheit gestanden haben; Simonides hat zuerst für Eretrier gedichtet. daſs es mit Athen gegen Chalkis gestanden hat und einen teil von der beute erhalten, ist eine ganz sichere folgerung.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/90>, abgerufen am 28.03.2024.