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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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II. 3. Von Peisistratos bis Ephialtes.
mehr in Athen filialen der dortigen culte, schmücken diese reichlich
und erweisen so zwar den hochgeehrten göttern ihre ehrfurcht, aber
entziehen sich dem einflusse ihrer priester. Delphi hat es ihnen nicht
vergessen. aber offiziell sind die beziehungen zu dem peloponnesischen
staatenbunde durchaus freundlich. die tyrannen sind gastfreunde Spartas:
die proxenie war auch zwischen Athen und Dionysios, Athen und Phi-
lippos die form der offlciellen anerkennung, nicht mehr bedeutend, als
wenn die herrscher der alten monarchien einen Napoleon als bruder
angeredet haben.

Gestützt auf diese besonnene politik des friedens, glaubten die herren
Athens weder eines stehenden heeres (ausser einer leibwache) noch einer
kriegsflotte zu bedürfen. die sicherung der see, deren handel und industrie
um so mehr bedurfte, als die front Athens jetzt nach osten gerichtet
war, ward auf anderem wege erreicht. Athen, das doch Naxos und
Rheneia erobert hatte, behielt keine insel in besitz, sondern versicherte
sich des wolwollens des delischen Apollon und der seemächtigen staaten.
nur auf den wichtigsten punkt, den Hellespont, legten die tyrannen ihre
feste hand, auch das nicht unmittelbar, aber durch befreundete oder
verwandte herrscher. in Sigeion, dem vielumstrittenen, sass ein halb-
bruder des Hippias; ein schwiegersohn von ihm in Lampsakos, das sich
vorher lange mit allen mitteln der attischen colonisation der gegenüber-
liegenden halbinsel widersetzt hatte. der Chersones mit den nächsten thra-
kischen inseln gehörte dem Philaiden Miltiades, der Athener geblieben
war, mindestens in einvernehmen mit den tyrannen.

Die grossen
adels-
häuser.
Die Philaiden waren eines der uralten geschlechter Attikas, selbst
dazu zu vornehm, sich wie das alte königshaus und die Alkmeo-
niden auf die Pylischen heroen zurückzuführen, geschweige wie jeder
schuster auf die phylenheroen. mit dem adel des Peisistratos ist
es schwerlich weit her gewesen; wir kennen den namen des ge-
schlechtes nicht, denn die überlieferung des dialoges Hipparchos, die
es zu Philaiden macht, ist mit Herodot nicht vereinbar. ein Peisi-
stratos erscheint als archon von 669/68 in der chronik2): älter dürfte
der name nicht sein, da er aus dem späten epos stammt.3) jener Pei-

2) Pausan. II 24, 7 sicher ergänzt, da die olympiade durch ihren sieger
fixirt ist.
3) Es folgt daraus, dass vor 700 die Telemachie in Athen bekannt war. denn
ihr dichter hat diesen Nestorsohn erfunden und ihm den namen gegeben, weil der
vater epeise stratin. namen von Neleuskindern wie Peisidike Peisenor sind
erst nachbildungen dieses redenden namens; dessen erfinder schuf ein analogon zu
Telemakhos.

II. 3. Von Peisistratos bis Ephialtes.
mehr in Athen filialen der dortigen culte, schmücken diese reichlich
und erweisen so zwar den hochgeehrten göttern ihre ehrfurcht, aber
entziehen sich dem einflusse ihrer priester. Delphi hat es ihnen nicht
vergessen. aber offiziell sind die beziehungen zu dem peloponnesischen
staatenbunde durchaus freundlich. die tyrannen sind gastfreunde Spartas:
die proxenie war auch zwischen Athen und Dionysios, Athen und Phi-
lippos die form der offlciellen anerkennung, nicht mehr bedeutend, als
wenn die herrscher der alten monarchien einen Napoleon als bruder
angeredet haben.

Gestützt auf diese besonnene politik des friedens, glaubten die herren
Athens weder eines stehenden heeres (auſser einer leibwache) noch einer
kriegsflotte zu bedürfen. die sicherung der see, deren handel und industrie
um so mehr bedurfte, als die front Athens jetzt nach osten gerichtet
war, ward auf anderem wege erreicht. Athen, das doch Naxos und
Rheneia erobert hatte, behielt keine insel in besitz, sondern versicherte
sich des wolwollens des delischen Apollon und der seemächtigen staaten.
nur auf den wichtigsten punkt, den Hellespont, legten die tyrannen ihre
feste hand, auch das nicht unmittelbar, aber durch befreundete oder
verwandte herrscher. in Sigeion, dem vielumstrittenen, saſs ein halb-
bruder des Hippias; ein schwiegersohn von ihm in Lampsakos, das sich
vorher lange mit allen mitteln der attischen colonisation der gegenüber-
liegenden halbinsel widersetzt hatte. der Chersones mit den nächsten thra-
kischen inseln gehörte dem Philaiden Miltiades, der Athener geblieben
war, mindestens in einvernehmen mit den tyrannen.

Die groſsen
adels-
häuser.
Die Philaiden waren eines der uralten geschlechter Attikas, selbst
dazu zu vornehm, sich wie das alte königshaus und die Alkmeo-
niden auf die Pylischen heroen zurückzuführen, geschweige wie jeder
schuster auf die phylenheroen. mit dem adel des Peisistratos ist
es schwerlich weit her gewesen; wir kennen den namen des ge-
schlechtes nicht, denn die überlieferung des dialoges Hipparchos, die
es zu Philaiden macht, ist mit Herodot nicht vereinbar. ein Peisi-
stratos erscheint als archon von 669/68 in der chronik2): älter dürfte
der name nicht sein, da er aus dem späten epos stammt.3) jener Pei-

2) Pausan. II 24, 7 sicher ergänzt, da die olympiade durch ihren sieger
fixirt ist.
3) Es folgt daraus, daſs vor 700 die Telemachie in Athen bekannt war. denn
ihr dichter hat diesen Nestorsohn erfunden und ihm den namen gegeben, weil der
vater ἔπεισε στϱατίν. namen von Neleuskindern wie Πεισιδίκη Πεισήνωϱ sind
erst nachbildungen dieses redenden namens; dessen erfinder schuf ein analogon zu
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[72/0082] II. 3. Von Peisistratos bis Ephialtes. mehr in Athen filialen der dortigen culte, schmücken diese reichlich und erweisen so zwar den hochgeehrten göttern ihre ehrfurcht, aber entziehen sich dem einflusse ihrer priester. Delphi hat es ihnen nicht vergessen. aber offiziell sind die beziehungen zu dem peloponnesischen staatenbunde durchaus freundlich. die tyrannen sind gastfreunde Spartas: die proxenie war auch zwischen Athen und Dionysios, Athen und Phi- lippos die form der offlciellen anerkennung, nicht mehr bedeutend, als wenn die herrscher der alten monarchien einen Napoleon als bruder angeredet haben. Gestützt auf diese besonnene politik des friedens, glaubten die herren Athens weder eines stehenden heeres (auſser einer leibwache) noch einer kriegsflotte zu bedürfen. die sicherung der see, deren handel und industrie um so mehr bedurfte, als die front Athens jetzt nach osten gerichtet war, ward auf anderem wege erreicht. Athen, das doch Naxos und Rheneia erobert hatte, behielt keine insel in besitz, sondern versicherte sich des wolwollens des delischen Apollon und der seemächtigen staaten. nur auf den wichtigsten punkt, den Hellespont, legten die tyrannen ihre feste hand, auch das nicht unmittelbar, aber durch befreundete oder verwandte herrscher. in Sigeion, dem vielumstrittenen, saſs ein halb- bruder des Hippias; ein schwiegersohn von ihm in Lampsakos, das sich vorher lange mit allen mitteln der attischen colonisation der gegenüber- liegenden halbinsel widersetzt hatte. der Chersones mit den nächsten thra- kischen inseln gehörte dem Philaiden Miltiades, der Athener geblieben war, mindestens in einvernehmen mit den tyrannen. Die Philaiden waren eines der uralten geschlechter Attikas, selbst dazu zu vornehm, sich wie das alte königshaus und die Alkmeo- niden auf die Pylischen heroen zurückzuführen, geschweige wie jeder schuster auf die phylenheroen. mit dem adel des Peisistratos ist es schwerlich weit her gewesen; wir kennen den namen des ge- schlechtes nicht, denn die überlieferung des dialoges Hipparchos, die es zu Philaiden macht, ist mit Herodot nicht vereinbar. ein Peisi- stratos erscheint als archon von 669/68 in der chronik 2): älter dürfte der name nicht sein, da er aus dem späten epos stammt. 3) jener Pei- Die groſsen adels- häuser. 2) Pausan. II 24, 7 sicher ergänzt, da die olympiade durch ihren sieger fixirt ist. 3) Es folgt daraus, daſs vor 700 die Telemachie in Athen bekannt war. denn ihr dichter hat diesen Nestorsohn erfunden und ihm den namen gegeben, weil der vater ἔπεισε στϱατίν. namen von Neleuskindern wie Πεισιδίκη Πεισήνωϱ sind erst nachbildungen dieses redenden namens; dessen erfinder schuf ein analogon zu Τηλέμαχος.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/82>, abgerufen am 25.04.2024.