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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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II. 2. Von Kekrops bis Solon.
truppen einen geschickten führer: hier war man für einen krieg, der
neue landlose den bauernsöhnen schaffte, und die führer, Peisistratos
von Brauron und Miltiades der Philaide, haben sie ihnen auch verschafft.
wir wissen im einzelnen fast nichts über das menschenalter nach Solons
gesetzgebung, aber gerade soviel, um zu sagen, dass es um den innern
frieden traurig stand, und um den wolstand nicht besser als zuvor, bis
Peisistratos erst Salamis eroberte und dann sich zum herrn machte. und
das zweite wissen wir, dass Solon heimgekehrt ist und in Athen un-
behelligt und verehrt aber einflusslos bis 560/59 gelebt hat. er hat
noch gedichtet, sein volk gemahnt um Salamis zu kämpfen und vor
Peisistratos sich zu hüten; sie hörten wol seine verse, aber es waren
ihnen nur die verse eines dichters: politisch war Solon ein toter mann,
seit er dem Zeus soter am letzten skirophorion 593 das dankopfer
gebracht hatte.

Die götter verwöhnen ihre lieblinge nicht; der frühe tod ist der
preis, um den die schönste krone des heldentumes feil ist, für Kleobis
und Biton, für Achilleus und Alexandros. die krone der weisheit aber
erhält der greis für ein leben voller enttäuschung, und entsagung lehren
auch die weisesten, die das vollste menschenleben gelebt haben, Platon
und Goethe. als Solon zu sterben kam, war sein Athen in der hand
des tyrannen, und der stifter der demokratie hatte eingesehen, dass
seine Athener jeder einzeln ein schlauer fuchs, aber auf der pnyx eine
herde schafe wären. nach den wolken des demagogischen weihrauchs,
die ihm im vierten jahrhundert von denen gespendet wurden, die be-
sagte herde hüteten und schoren, wird den weisen wenig gelüstet haben;
dass er ein grosser staatsmann gewesen wäre, wird sein gewissen ver-
neint haben, so gut wie wir es verneinen müssen. und doch hat Ari-
stoteles ihn einen einzigen unter allen staatsmännern genannt, der allein
das wol des ganzen zur richtschnur sich genommen. und doch hat er
in der tat die demokratie Athens, wenn auch nur als vorläufer des
Kleisthenes, und die athenische poesie, wenn auch nur als vorläufer des
Aischylos begründet. dass er beides vermochte, dass seine person sowol
den Drakon wie den Peisistratos, ja noch den Kleisthenes in den schat-
ten gestellt hat, das dankt er der Muse. ihn allein von ihnen hörte
die nachwelt und hören auch wir noch. ein grosser dichter war er
nicht, aber ein weiser und frommer und guter mensch, was denn doch
mehr ist.

Verblasst ist sein bild gar bald in den büchern der geschichte; aber die
poesie ist ihm gerecht geworden. nicht daheim, aber in Ionien hat sie

II. 2. Von Kekrops bis Solon.
truppen einen geschickten führer: hier war man für einen krieg, der
neue landlose den bauernsöhnen schaffte, und die führer, Peisistratos
von Brauron und Miltiades der Philaide, haben sie ihnen auch verschafft.
wir wissen im einzelnen fast nichts über das menschenalter nach Solons
gesetzgebung, aber gerade soviel, um zu sagen, daſs es um den innern
frieden traurig stand, und um den wolstand nicht besser als zuvor, bis
Peisistratos erst Salamis eroberte und dann sich zum herrn machte. und
das zweite wissen wir, daſs Solon heimgekehrt ist und in Athen un-
behelligt und verehrt aber einfluſslos bis 560/59 gelebt hat. er hat
noch gedichtet, sein volk gemahnt um Salamis zu kämpfen und vor
Peisistratos sich zu hüten; sie hörten wol seine verse, aber es waren
ihnen nur die verse eines dichters: politisch war Solon ein toter mann,
seit er dem Zeus σωτήϱ am letzten skirophorion 593 das dankopfer
gebracht hatte.

Die götter verwöhnen ihre lieblinge nicht; der frühe tod ist der
preis, um den die schönste krone des heldentumes feil ist, für Kleobis
und Biton, für Achilleus und Alexandros. die krone der weisheit aber
erhält der greis für ein leben voller enttäuschung, und entsagung lehren
auch die weisesten, die das vollste menschenleben gelebt haben, Platon
und Goethe. als Solon zu sterben kam, war sein Athen in der hand
des tyrannen, und der stifter der demokratie hatte eingesehen, daſs
seine Athener jeder einzeln ein schlauer fuchs, aber auf der pnyx eine
herde schafe wären. nach den wolken des demagogischen weihrauchs,
die ihm im vierten jahrhundert von denen gespendet wurden, die be-
sagte herde hüteten und schoren, wird den weisen wenig gelüstet haben;
daſs er ein groſser staatsmann gewesen wäre, wird sein gewissen ver-
neint haben, so gut wie wir es verneinen müssen. und doch hat Ari-
stoteles ihn einen einzigen unter allen staatsmännern genannt, der allein
das wol des ganzen zur richtschnur sich genommen. und doch hat er
in der tat die demokratie Athens, wenn auch nur als vorläufer des
Kleisthenes, und die athenische poesie, wenn auch nur als vorläufer des
Aischylos begründet. daſs er beides vermochte, daſs seine person sowol
den Drakon wie den Peisistratos, ja noch den Kleisthenes in den schat-
ten gestellt hat, das dankt er der Muse. ihn allein von ihnen hörte
die nachwelt und hören auch wir noch. ein groſser dichter war er
nicht, aber ein weiser und frommer und guter mensch, was denn doch
mehr ist.

Verblaſst ist sein bild gar bald in den büchern der geschichte; aber die
poesie ist ihm gerecht geworden. nicht daheim, aber in Ionien hat sie

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[66/0076] II. 2. Von Kekrops bis Solon. truppen einen geschickten führer: hier war man für einen krieg, der neue landlose den bauernsöhnen schaffte, und die führer, Peisistratos von Brauron und Miltiades der Philaide, haben sie ihnen auch verschafft. wir wissen im einzelnen fast nichts über das menschenalter nach Solons gesetzgebung, aber gerade soviel, um zu sagen, daſs es um den innern frieden traurig stand, und um den wolstand nicht besser als zuvor, bis Peisistratos erst Salamis eroberte und dann sich zum herrn machte. und das zweite wissen wir, daſs Solon heimgekehrt ist und in Athen un- behelligt und verehrt aber einfluſslos bis 560/59 gelebt hat. er hat noch gedichtet, sein volk gemahnt um Salamis zu kämpfen und vor Peisistratos sich zu hüten; sie hörten wol seine verse, aber es waren ihnen nur die verse eines dichters: politisch war Solon ein toter mann, seit er dem Zeus σωτήϱ am letzten skirophorion 593 das dankopfer gebracht hatte. Die götter verwöhnen ihre lieblinge nicht; der frühe tod ist der preis, um den die schönste krone des heldentumes feil ist, für Kleobis und Biton, für Achilleus und Alexandros. die krone der weisheit aber erhält der greis für ein leben voller enttäuschung, und entsagung lehren auch die weisesten, die das vollste menschenleben gelebt haben, Platon und Goethe. als Solon zu sterben kam, war sein Athen in der hand des tyrannen, und der stifter der demokratie hatte eingesehen, daſs seine Athener jeder einzeln ein schlauer fuchs, aber auf der pnyx eine herde schafe wären. nach den wolken des demagogischen weihrauchs, die ihm im vierten jahrhundert von denen gespendet wurden, die be- sagte herde hüteten und schoren, wird den weisen wenig gelüstet haben; daſs er ein groſser staatsmann gewesen wäre, wird sein gewissen ver- neint haben, so gut wie wir es verneinen müssen. und doch hat Ari- stoteles ihn einen einzigen unter allen staatsmännern genannt, der allein das wol des ganzen zur richtschnur sich genommen. und doch hat er in der tat die demokratie Athens, wenn auch nur als vorläufer des Kleisthenes, und die athenische poesie, wenn auch nur als vorläufer des Aischylos begründet. daſs er beides vermochte, daſs seine person sowol den Drakon wie den Peisistratos, ja noch den Kleisthenes in den schat- ten gestellt hat, das dankt er der Muse. ihn allein von ihnen hörte die nachwelt und hören auch wir noch. ein groſser dichter war er nicht, aber ein weiser und frommer und guter mensch, was denn doch mehr ist. Verblaſst ist sein bild gar bald in den büchern der geschichte; aber die poesie ist ihm gerecht geworden. nicht daheim, aber in Ionien hat sie

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/76>, abgerufen am 18.04.2024.