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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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II. 2. Von Kekrops bis Solon.
grenzt, das volk und später dessen rat treten erst recht nicht hervor,
und die niederen beamten bleiben durch die dokimasie und nomophylakie
des Areopages bis auf Ephialtes in dessen händen. somit vermochte er
noch in der demokratie der grossen zeit wieder eine ausschlaggebende
rolle zu spielen. dass er das im siebenten und sechsten jahrhundert
nicht tat, ist eine folge seiner ergänzung aus den archonten. denn so
lange diese je nach der gerade überwiegenden parteirichtung gewählt
wurden, trugen sie die parteiungen des volkes in den rat hinein, zog
also eine katastrophe wie die der Alkmeoniden den rat in mitleiden-
schaft, machte ihn die tyrannis, die die wahlen beherrschte, zu ihrem
gefügigen werkzeuge. andererseits brachten die archontenwahlen 508--487
alle bedeutenden männer hinein. aber die schwäche des Areopages in
der zeit 683--594 ist allerdings die beste legitimation der bestrebungen,
die auf eine reform an haupt und gliedern hinzielten.

Die phylenEs war der souverän selbst, der demos, dessen organismus sich
überlebt hatte. der adel hat nur sinn, solange er ächt ist und auf
götterblut beruht. die adlichen sind theon paides (Eur. Med. 825).
iktar emenoi Dios (A. Eum. 977 vgl. Niob. 162), diogeneis. ich habe
stellen attischer dichter des fünften jahrhunderts angeführt, die allen
Athenern gelten. dieselbe zeit ist stolz auf ihr autochthonentum: alle
Athener sind kinder der Erde, die für sie allein im eigentlichen sinne
mutter ist, wie der platonische Menexenos rühmt. in der demokratie
sind alle Athener gleich, alle erdgeboren und alle gottgeboren. aber
das soll uns nicht darüber täuschen, dass einst die göttersöhne stolz auf
die terrae filii herabsahen, wie es die Römer immer getan haben. die
autochthonie ist durchaus nicht als adel erdacht. aber wir erreichen
die zeit nur in fernster ferne, wo wirklich götterblut die zugehörigkeit
zum demos bedingte, der staat aus ächten patriciern bestand. abgesehen
von den zuwanderungen fremder, vielleicht wirklich adlicher geschlechter
musste die einigung Athens, der staatsbegriff, die legitimation ausschliess-
lich durch das blut untergraben. so weit wir die attischen bruderschaften
kennen, ist ihnen sogar der begriff des namens bruderschaft fast ver-
loren, ihre namen sind nicht mehr alle gentilicisch, und cultverbände
(orgeones) stehn neben den geschlechtern. die cultgenossenschaft, eine
form der vereinigung die ebensowol eine gilde wie ein geschlecht um-
schliessen kann, ist ein ersatz des adels, wie der religiöse begriff der
Athenaioi ein ersatz des stammbegriffes der Kekroper. entsprechend
der ausdehnung des staates hat man einmal den künstlichen schema-
tismus der vier adelsphylen und ihrer drittelungen (trittues) eingeführt,

II. 2. Von Kekrops bis Solon.
grenzt, das volk und später dessen rat treten erst recht nicht hervor,
und die niederen beamten bleiben durch die dokimasie und nomophylakie
des Areopages bis auf Ephialtes in dessen händen. somit vermochte er
noch in der demokratie der groſsen zeit wieder eine ausschlaggebende
rolle zu spielen. daſs er das im siebenten und sechsten jahrhundert
nicht tat, ist eine folge seiner ergänzung aus den archonten. denn so
lange diese je nach der gerade überwiegenden parteirichtung gewählt
wurden, trugen sie die parteiungen des volkes in den rat hinein, zog
also eine katastrophe wie die der Alkmeoniden den rat in mitleiden-
schaft, machte ihn die tyrannis, die die wahlen beherrschte, zu ihrem
gefügigen werkzeuge. andererseits brachten die archontenwahlen 508—487
alle bedeutenden männer hinein. aber die schwäche des Areopages in
der zeit 683—594 ist allerdings die beste legitimation der bestrebungen,
die auf eine reform an haupt und gliedern hinzielten.

Die phylenEs war der souverän selbst, der δῆμος, dessen organismus sich
überlebt hatte. der adel hat nur sinn, solange er ächt ist und auf
götterblut beruht. die adlichen sind ϑεῶν παῖδες (Eur. Med. 825).
ἴκταϱ ήμενοι Διός (A. Eum. 977 vgl. Niob. 162), διογενεῖς. ich habe
stellen attischer dichter des fünften jahrhunderts angeführt, die allen
Athenern gelten. dieselbe zeit ist stolz auf ihr autochthonentum: alle
Athener sind kinder der Erde, die für sie allein im eigentlichen sinne
mutter ist, wie der platonische Menexenos rühmt. in der demokratie
sind alle Athener gleich, alle erdgeboren und alle gottgeboren. aber
das soll uns nicht darüber täuschen, daſs einst die göttersöhne stolz auf
die terrae filii herabsahen, wie es die Römer immer getan haben. die
autochthonie ist durchaus nicht als adel erdacht. aber wir erreichen
die zeit nur in fernster ferne, wo wirklich götterblut die zugehörigkeit
zum δῆμος bedingte, der staat aus ächten patriciern bestand. abgesehen
von den zuwanderungen fremder, vielleicht wirklich adlicher geschlechter
muſste die einigung Athens, der staatsbegriff, die legitimation ausschlieſs-
lich durch das blut untergraben. so weit wir die attischen bruderschaften
kennen, ist ihnen sogar der begriff des namens bruderschaft fast ver-
loren, ihre namen sind nicht mehr alle gentilicisch, und cultverbände
(ὀϱγεῶνες) stehn neben den geschlechtern. die cultgenossenschaft, eine
form der vereinigung die ebensowol eine gilde wie ein geschlecht um-
schlieſsen kann, ist ein ersatz des adels, wie der religiöse begriff der
Ἀϑηναῖοι ein ersatz des stammbegriffes der Kekroper. entsprechend
der ausdehnung des staates hat man einmal den künstlichen schema-
tismus der vier adelsphylen und ihrer drittelungen (τϱιττύες) eingeführt,

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[50/0060] II. 2. Von Kekrops bis Solon. grenzt, das volk und später dessen rat treten erst recht nicht hervor, und die niederen beamten bleiben durch die dokimasie und nomophylakie des Areopages bis auf Ephialtes in dessen händen. somit vermochte er noch in der demokratie der groſsen zeit wieder eine ausschlaggebende rolle zu spielen. daſs er das im siebenten und sechsten jahrhundert nicht tat, ist eine folge seiner ergänzung aus den archonten. denn so lange diese je nach der gerade überwiegenden parteirichtung gewählt wurden, trugen sie die parteiungen des volkes in den rat hinein, zog also eine katastrophe wie die der Alkmeoniden den rat in mitleiden- schaft, machte ihn die tyrannis, die die wahlen beherrschte, zu ihrem gefügigen werkzeuge. andererseits brachten die archontenwahlen 508—487 alle bedeutenden männer hinein. aber die schwäche des Areopages in der zeit 683—594 ist allerdings die beste legitimation der bestrebungen, die auf eine reform an haupt und gliedern hinzielten. Es war der souverän selbst, der δῆμος, dessen organismus sich überlebt hatte. der adel hat nur sinn, solange er ächt ist und auf götterblut beruht. die adlichen sind ϑεῶν παῖδες (Eur. Med. 825). ἴκταϱ ήμενοι Διός (A. Eum. 977 vgl. Niob. 162), διογενεῖς. ich habe stellen attischer dichter des fünften jahrhunderts angeführt, die allen Athenern gelten. dieselbe zeit ist stolz auf ihr autochthonentum: alle Athener sind kinder der Erde, die für sie allein im eigentlichen sinne mutter ist, wie der platonische Menexenos rühmt. in der demokratie sind alle Athener gleich, alle erdgeboren und alle gottgeboren. aber das soll uns nicht darüber täuschen, daſs einst die göttersöhne stolz auf die terrae filii herabsahen, wie es die Römer immer getan haben. die autochthonie ist durchaus nicht als adel erdacht. aber wir erreichen die zeit nur in fernster ferne, wo wirklich götterblut die zugehörigkeit zum δῆμος bedingte, der staat aus ächten patriciern bestand. abgesehen von den zuwanderungen fremder, vielleicht wirklich adlicher geschlechter muſste die einigung Athens, der staatsbegriff, die legitimation ausschlieſs- lich durch das blut untergraben. so weit wir die attischen bruderschaften kennen, ist ihnen sogar der begriff des namens bruderschaft fast ver- loren, ihre namen sind nicht mehr alle gentilicisch, und cultverbände (ὀϱγεῶνες) stehn neben den geschlechtern. die cultgenossenschaft, eine form der vereinigung die ebensowol eine gilde wie ein geschlecht um- schlieſsen kann, ist ein ersatz des adels, wie der religiöse begriff der Ἀϑηναῖοι ein ersatz des stammbegriffes der Kekroper. entsprechend der ausdehnung des staates hat man einmal den künstlichen schema- tismus der vier adelsphylen und ihrer drittelungen (τϱιττύες) eingeführt, Die phylen

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/60>, abgerufen am 25.04.2024.