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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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Die elegie an Eudemos.
um seiner freundschaft willen dem Platon einen altar gestiftet hat. er
sagt genau das was die biographen herausgelesen haben, die geradezu
bomon Aristoteles idrusato tonde Platonos überliefern. auch den
anstoss der modernen hat einer von ihnen genommen und sekon für
bomon eingesetzt, damit nicht der göttliche cultus des Platon darin
stünde. aber gerade der bleibt bestehn. weder die interpolation bringt
ihn fort noch die kümmerliche ausrede, 'das meint er nur metaphorisch'.
es ist ganz gleichgiltig, ob Eudemos oder Aristoteles selbst den altar
errichtet hat, das heisst steine dazu hauen lassen und eine inschrift hin-
einschneiden, oder ob wir das so metaphorisch fassen: 'er hat in Platon
einen gott verehrt'. gerade dies bleibt bestehn, ja es ist die pointe des
gedichtes, sonst hat es gar keine. so hoch steht doch wol das empfinden
jedes Platonikers, dass er dem gotte Platon nichts direct hat zu liebe
tun wollen, wenn er einen kranz auf den altar legte oder ein weihrauch-
kerzchen ansteckte: aber legen wir etwa keine kränze mehr zu den
füssen einer ehrenstatue oder um eine gedächtnistafel? ein gott, den
man um gutes wetter oder gute träume oder glückliche fahrt anflehte,
war Platon gewiss nicht; solche götter gab es für Eudemos und Aristoteles
überhaupt nicht mehr. aber ein gott war er doch: sie fühlten seine
macht, die befreiende und erhebende, in ihrer seele. darum widmeten
sie ihm eine verehrung in der form des cultus. die sitte hatte den
cult der abgeschiedenen seele längst geheiligt, und dieser teil der religion
hat auch dem wechsel der formen am zähesten widerstanden, und es
dürfte den zeloten von heute, den gottlosigkeitspfaffen, schwer werden
totencult und totenspenden zu beseitigen. aber der totencult war für
den Hellenen der gegensatz zu der gottesverehrung; ein gewesener
mensch blieb für den cultus mensch, das unreine des todes und der sterb-
lichkeit klebte ihm an. der tote kann keinen altar haben, bomos und
taphos sind unvereinbar. wenn Simonides den taphos der kämpfer von
Thermopylae einen bomos nennt, so sagt er, dass sie durch den tod
die athanatos arete gewonnen haben und götter geworden sind. und
wenn seine schüler dem Platon einen altar errichten, so erklären sie ihn
damit für einen gott. ob der mensch Platon den staubleib noch trägt,
da sie es tun, oder ob staub zu staub geworden ist, macht gar keinen
unterschied. gott und tod sind unvereinbare begriffe. die bedeutung
des gottesbegriffes und dieser verehrung, nicht des sterblichen Platon,
sondern der unvergänglichen göttlichkeit in ihm, ist dem nicht von fern
aufgegangen, der wähnt, es täte etwas davon oder dazu, ob Platon der
sterbliche noch am leben war. wer will, mag seiner empfindung nach

Die elegie an Eudemos.
um seiner freundschaft willen dem Platon einen altar gestiftet hat. er
sagt genau das was die biographen herausgelesen haben, die geradezu
βωμὸν Ἀϱιστοτέλης ἱδϱύσατο τόνδε Πλάτωνος überliefern. auch den
anstoſs der modernen hat einer von ihnen genommen und σηκόν für
βωμόν eingesetzt, damit nicht der göttliche cultus des Platon darin
stünde. aber gerade der bleibt bestehn. weder die interpolation bringt
ihn fort noch die kümmerliche ausrede, ‘das meint er nur metaphorisch’.
es ist ganz gleichgiltig, ob Eudemos oder Aristoteles selbst den altar
errichtet hat, das heiſst steine dazu hauen lassen und eine inschrift hin-
einschneiden, oder ob wir das so metaphorisch fassen: ‘er hat in Platon
einen gott verehrt’. gerade dies bleibt bestehn, ja es ist die pointe des
gedichtes, sonst hat es gar keine. so hoch steht doch wol das empfinden
jedes Platonikers, daſs er dem gotte Platon nichts direct hat zu liebe
tun wollen, wenn er einen kranz auf den altar legte oder ein weihrauch-
kerzchen ansteckte: aber legen wir etwa keine kränze mehr zu den
füſsen einer ehrenstatue oder um eine gedächtnistafel? ein gott, den
man um gutes wetter oder gute träume oder glückliche fahrt anflehte,
war Platon gewiſs nicht; solche götter gab es für Eudemos und Aristoteles
überhaupt nicht mehr. aber ein gott war er doch: sie fühlten seine
macht, die befreiende und erhebende, in ihrer seele. darum widmeten
sie ihm eine verehrung in der form des cultus. die sitte hatte den
cult der abgeschiedenen seele längst geheiligt, und dieser teil der religion
hat auch dem wechsel der formen am zähesten widerstanden, und es
dürfte den zeloten von heute, den gottlosigkeitspfaffen, schwer werden
totencult und totenspenden zu beseitigen. aber der totencult war für
den Hellenen der gegensatz zu der gottesverehrung; ein gewesener
mensch blieb für den cultus mensch, das unreine des todes und der sterb-
lichkeit klebte ihm an. der tote kann keinen altar haben, βωμός und
τάφος sind unvereinbar. wenn Simonides den τάφος der kämpfer von
Thermopylae einen βωμός nennt, so sagt er, daſs sie durch den tod
die ἀϑάνατος ἀϱετή gewonnen haben und götter geworden sind. und
wenn seine schüler dem Platon einen altar errichten, so erklären sie ihn
damit für einen gott. ob der mensch Platon den staubleib noch trägt,
da sie es tun, oder ob staub zu staub geworden ist, macht gar keinen
unterschied. gott und tod sind unvereinbare begriffe. die bedeutung
des gottesbegriffes und dieser verehrung, nicht des sterblichen Platon,
sondern der unvergänglichen göttlichkeit in ihm, ist dem nicht von fern
aufgegangen, der wähnt, es täte etwas davon oder dazu, ob Platon der
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[415/0425] Die elegie an Eudemos. um seiner freundschaft willen dem Platon einen altar gestiftet hat. er sagt genau das was die biographen herausgelesen haben, die geradezu βωμὸν Ἀϱιστοτέλης ἱδϱύσατο τόνδε Πλάτωνος überliefern. auch den anstoſs der modernen hat einer von ihnen genommen und σηκόν für βωμόν eingesetzt, damit nicht der göttliche cultus des Platon darin stünde. aber gerade der bleibt bestehn. weder die interpolation bringt ihn fort noch die kümmerliche ausrede, ‘das meint er nur metaphorisch’. es ist ganz gleichgiltig, ob Eudemos oder Aristoteles selbst den altar errichtet hat, das heiſst steine dazu hauen lassen und eine inschrift hin- einschneiden, oder ob wir das so metaphorisch fassen: ‘er hat in Platon einen gott verehrt’. gerade dies bleibt bestehn, ja es ist die pointe des gedichtes, sonst hat es gar keine. so hoch steht doch wol das empfinden jedes Platonikers, daſs er dem gotte Platon nichts direct hat zu liebe tun wollen, wenn er einen kranz auf den altar legte oder ein weihrauch- kerzchen ansteckte: aber legen wir etwa keine kränze mehr zu den füſsen einer ehrenstatue oder um eine gedächtnistafel? ein gott, den man um gutes wetter oder gute träume oder glückliche fahrt anflehte, war Platon gewiſs nicht; solche götter gab es für Eudemos und Aristoteles überhaupt nicht mehr. aber ein gott war er doch: sie fühlten seine macht, die befreiende und erhebende, in ihrer seele. darum widmeten sie ihm eine verehrung in der form des cultus. die sitte hatte den cult der abgeschiedenen seele längst geheiligt, und dieser teil der religion hat auch dem wechsel der formen am zähesten widerstanden, und es dürfte den zeloten von heute, den gottlosigkeitspfaffen, schwer werden totencult und totenspenden zu beseitigen. aber der totencult war für den Hellenen der gegensatz zu der gottesverehrung; ein gewesener mensch blieb für den cultus mensch, das unreine des todes und der sterb- lichkeit klebte ihm an. der tote kann keinen altar haben, βωμός und τάφος sind unvereinbar. wenn Simonides den τάφος der kämpfer von Thermopylae einen βωμός nennt, so sagt er, daſs sie durch den tod die ἀϑάνατος ἀϱετή gewonnen haben und götter geworden sind. und wenn seine schüler dem Platon einen altar errichten, so erklären sie ihn damit für einen gott. ob der mensch Platon den staubleib noch trägt, da sie es tun, oder ob staub zu staub geworden ist, macht gar keinen unterschied. gott und tod sind unvereinbare begriffe. die bedeutung des gottesbegriffes und dieser verehrung, nicht des sterblichen Platon, sondern der unvergänglichen göttlichkeit in ihm, ist dem nicht von fern aufgegangen, der wähnt, es täte etwas davon oder dazu, ob Platon der sterbliche noch am leben war. wer will, mag seiner empfindung nach

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 415. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/425>, abgerufen am 29.03.2024.