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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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Der hymnus auf die Tugend.

Das gedächtnisfest, das Aristoteles dem getöteten freunde ausgerichtetDer hymnus
auf die
Tugend.

hat, ist von dem lyrischen gedichte verherrlicht worden, das wir gleichfalls
dem Hermippos verdanken. für einen paean konnte es nur die verläumdung
erklären, die von Hermippos mit recht durch das fehlen des charakteri-
stischen ephymnions ie paian widerlegt wird. aber ein skolion, wie He-
mippos will, oder ein threnos ist es auch nicht, und die aufnahme des
verstorbenen in den kreis der heroen wird allerdings ausgesprochen; woran
denn die klage auf gottlosigkeit ansetzte. so sicher es ist, dass es dem
dichter eigentlich auf Hermias ankommt, gilt formell doch das lied nicht
ihm, sondern der Tugend, und so rückt es in die classe der rituellen
religiösen lieder. von der art der aufführung wissen wir nicht mehr,
als dass es ein chor vortrug; so viel zeigt das versmass und der stil.
aber man kann sich's sehr gut vorstellen, dass Aristoteles, etwa in My-
tilene, sich die musiker und sänger verschaffte (die composition kann
er sehr wol selbst gemacht haben), eine gedächtnisrede hielt 3) und mit
den feierlichen klängen seines liedes dem ganzen die religiöse weihe gab.
es war ein ersatz für die totenfeier, die dem Hermias entgangen war;
die sitte war der zeit nicht fremd, denn Philippos hat ein solches epi-
timan, wie der bezeichnende name ist, dem Platon angedeihen lassen. 4)

Da die Areta keine wirkliche gottheit ist, der man opfern, zu der
man beten könnte, so ist die rituelle form wiederum nichts als form.

3) Diese existirt nur in meiner vermutung, weil das lied selbst so wenig von
Hermias sagt. was Himerius in seiner sechsten rede den Philippensern erzählt, ist
seine eigene erfindung. Aristoteles wäre, von Alexander nach Persien berufen, in
Atarneus durchgereist (wie Himerius jetzt auf der durchreise in Philippi eine gast-
vorstellung gibt) und hätte die stadt und den Hermias mit einer kleinen schrift be-
grüsst. wer den rhetor gelesen hat, muss diese seine witze kennen. in eben dieser
rede erzählt er von Gorgias erst das allbekannte, dass er als gesandter der Leontiner
Athen entzückte, aber das reicht ihm nicht, weil es seiner eigenen situation noch
nicht ähnlich genug ist: er erfindet also flugs, Gorgias hätte auch auf der durchreise
Plataeae angeredet. von Hermias geht das was er wusste auch unmittelbar vor
seiner erfindung vorher, nämlich Aristoteles hätte ihn erzogen und zur tugend gebildet
kai elegeio ton thanaton monou ton gnorimon ekosmesen. so hat er geschrieben,
und so kann auch in dem römischen bekanntlich verstümmelten codex gestanden
haben, aus dem Wernsdorf nur thal -- -- tan bezeugt. die ergänzung thalamon
mono (monou verbessert er selbst) dürfte eben nichts als ergänzung sein. Dübners
ausgabe kann man nicht entbehren, aber allein benutzt führt sie irre. wenn der
tatbestand der überlieferung ihnen bekannt gewesen wäre, hätten die gelehrten viel-
leicht eher das simpele und wahre gefunden, das notwendigerweise auch gegen die
überlieferung hergestellt werden müsste.
4) Diog. 3, 40 aus Theopomp. Schaefer Dem. II 40.
Der hymnus auf die Tugend.

Das gedächtnisfest, das Aristoteles dem getöteten freunde ausgerichtetDer hymnus
auf die
Tugend.

hat, ist von dem lyrischen gedichte verherrlicht worden, das wir gleichfalls
dem Hermippos verdanken. für einen paean konnte es nur die verläumdung
erklären, die von Hermippos mit recht durch das fehlen des charakteri-
stischen ephymnions ἰὴ παιάν widerlegt wird. aber ein skolion, wie He-
mippos will, oder ein ϑϱῆνος ist es auch nicht, und die aufnahme des
verstorbenen in den kreis der heroen wird allerdings ausgesprochen; woran
denn die klage auf gottlosigkeit ansetzte. so sicher es ist, daſs es dem
dichter eigentlich auf Hermias ankommt, gilt formell doch das lied nicht
ihm, sondern der Tugend, und so rückt es in die classe der rituellen
religiösen lieder. von der art der aufführung wissen wir nicht mehr,
als daſs es ein chor vortrug; so viel zeigt das versmaſs und der stil.
aber man kann sich’s sehr gut vorstellen, daſs Aristoteles, etwa in My-
tilene, sich die musiker und sänger verschaffte (die composition kann
er sehr wol selbst gemacht haben), eine gedächtnisrede hielt 3) und mit
den feierlichen klängen seines liedes dem ganzen die religiöse weihe gab.
es war ein ersatz für die totenfeier, die dem Hermias entgangen war;
die sitte war der zeit nicht fremd, denn Philippos hat ein solches ἐπι-
τιμᾶν, wie der bezeichnende name ist, dem Platon angedeihen lassen. 4)

Da die Areta keine wirkliche gottheit ist, der man opfern, zu der
man beten könnte, so ist die rituelle form wiederum nichts als form.

3) Diese existirt nur in meiner vermutung, weil das lied selbst so wenig von
Hermias sagt. was Himerius in seiner sechsten rede den Philippensern erzählt, ist
seine eigene erfindung. Aristoteles wäre, von Alexander nach Persien berufen, in
Atarneus durchgereist (wie Himerius jetzt auf der durchreise in Philippi eine gast-
vorstellung gibt) und hätte die stadt und den Hermias mit einer kleinen schrift be-
grüſst. wer den rhetor gelesen hat, muſs diese seine witze kennen. in eben dieser
rede erzählt er von Gorgias erst das allbekannte, daſs er als gesandter der Leontiner
Athen entzückte, aber das reicht ihm nicht, weil es seiner eigenen situation noch
nicht ähnlich genug ist: er erfindet also flugs, Gorgias hätte auch auf der durchreise
Plataeae angeredet. von Hermias geht das was er wuſste auch unmittelbar vor
seiner erfindung vorher, nämlich Aristoteles hätte ihn erzogen und zur tugend gebildet
καὶ ἐλεγείῳ τὸν ϑάνατον μόνου τῶν γνωϱίμων ἐκόσμησεν. so hat er geschrieben,
und so kann auch in dem römischen bekanntlich verstümmelten codex gestanden
haben, aus dem Wernsdorf nur ϑαλ — — τᾶν bezeugt. die ergänzung ϑάλαμον
μόνῳ (μόνου verbessert er selbst) dürfte eben nichts als ergänzung sein. Dübners
ausgabe kann man nicht entbehren, aber allein benutzt führt sie irre. wenn der
tatbestand der überlieferung ihnen bekannt gewesen wäre, hätten die gelehrten viel-
leicht eher das simpele und wahre gefunden, das notwendigerweise auch gegen die
überlieferung hergestellt werden müſste.
4) Diog. 3, 40 aus Theopomp. Schaefer Dem. II 40.
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[405/0415] Der hymnus auf die Tugend. Das gedächtnisfest, das Aristoteles dem getöteten freunde ausgerichtet hat, ist von dem lyrischen gedichte verherrlicht worden, das wir gleichfalls dem Hermippos verdanken. für einen paean konnte es nur die verläumdung erklären, die von Hermippos mit recht durch das fehlen des charakteri- stischen ephymnions ἰὴ παιάν widerlegt wird. aber ein skolion, wie He- mippos will, oder ein ϑϱῆνος ist es auch nicht, und die aufnahme des verstorbenen in den kreis der heroen wird allerdings ausgesprochen; woran denn die klage auf gottlosigkeit ansetzte. so sicher es ist, daſs es dem dichter eigentlich auf Hermias ankommt, gilt formell doch das lied nicht ihm, sondern der Tugend, und so rückt es in die classe der rituellen religiösen lieder. von der art der aufführung wissen wir nicht mehr, als daſs es ein chor vortrug; so viel zeigt das versmaſs und der stil. aber man kann sich’s sehr gut vorstellen, daſs Aristoteles, etwa in My- tilene, sich die musiker und sänger verschaffte (die composition kann er sehr wol selbst gemacht haben), eine gedächtnisrede hielt 3) und mit den feierlichen klängen seines liedes dem ganzen die religiöse weihe gab. es war ein ersatz für die totenfeier, die dem Hermias entgangen war; die sitte war der zeit nicht fremd, denn Philippos hat ein solches ἐπι- τιμᾶν, wie der bezeichnende name ist, dem Platon angedeihen lassen. 4) Der hymnus auf die Tugend. Da die Areta keine wirkliche gottheit ist, der man opfern, zu der man beten könnte, so ist die rituelle form wiederum nichts als form. 3) Diese existirt nur in meiner vermutung, weil das lied selbst so wenig von Hermias sagt. was Himerius in seiner sechsten rede den Philippensern erzählt, ist seine eigene erfindung. Aristoteles wäre, von Alexander nach Persien berufen, in Atarneus durchgereist (wie Himerius jetzt auf der durchreise in Philippi eine gast- vorstellung gibt) und hätte die stadt und den Hermias mit einer kleinen schrift be- grüſst. wer den rhetor gelesen hat, muſs diese seine witze kennen. in eben dieser rede erzählt er von Gorgias erst das allbekannte, daſs er als gesandter der Leontiner Athen entzückte, aber das reicht ihm nicht, weil es seiner eigenen situation noch nicht ähnlich genug ist: er erfindet also flugs, Gorgias hätte auch auf der durchreise Plataeae angeredet. von Hermias geht das was er wuſste auch unmittelbar vor seiner erfindung vorher, nämlich Aristoteles hätte ihn erzogen und zur tugend gebildet καὶ ἐλεγείῳ τὸν ϑάνατον μόνου τῶν γνωϱίμων ἐκόσμησεν. so hat er geschrieben, und so kann auch in dem römischen bekanntlich verstümmelten codex gestanden haben, aus dem Wernsdorf nur ϑαλ — — τᾶν bezeugt. die ergänzung ϑάλαμον μόνῳ (μόνου verbessert er selbst) dürfte eben nichts als ergänzung sein. Dübners ausgabe kann man nicht entbehren, aber allein benutzt führt sie irre. wenn der tatbestand der überlieferung ihnen bekannt gewesen wäre, hätten die gelehrten viel- leicht eher das simpele und wahre gefunden, das notwendigerweise auch gegen die überlieferung hergestellt werden müſste. 4) Diog. 3, 40 aus Theopomp. Schaefer Dem. II 40.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 405. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/415>, abgerufen am 18.04.2024.