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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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III. 10. Die paragraphe und Lysias gegen Pankleon.
werden sie entscheiden? der herold wird rufen "die hohle für den
ersten redner, die volle für den zweiten". das bedeutet, "wer urteilt,
dass Pankleon kein Plataeer ist, gebe die hohle ab".10) und wenn er
kein Plataeer ist, geht dann der process zu der eigentlichen klage weiter?
bewahre. dann nimmt Nikomedes seinen entlaufenen sclaven beim kra-
gen und zieht mit ihm ab: hier wird keiner sein, der die vindicatio
in libertatem wagt, und im gerichte ist die rotte Pankleons machtlos.
der vogel ist im garn: diese stimmung erheitert den redner im voraus.
der sclave kann freilich nicht vor dem polemarchen belangt werden; in
sofern hat der ganze ursprüngliche rechtshandel keinen zweck mehr;
daher kein wort über ihn. aber der in zukunft für seinen sclaven haft-
bare Nikomedes ist im einverständnis mit dem kläger, offenbar schon
im einverständnis mit ihm gewesen, als er Pankleon greifen wollte.
über den alten handel des klägers mit jenem haben sich die beiden
längst irgendwie verständigt, und das ist ihre sache. Pankleon der schlaue
war diesmal allzuschlau. er wollte sich mit der einspruchsklage um den
process drücken: jetzt führt sie dazu, dass der process freilich hinfällig
wird, aber Pankleon seinen personalstand statt zum bürgerrecht hinauf
in die sclaverei zurückschraubt. ein hübsches bild aus dem attischen
eben und dem attischen gerichtswesen.




deomai. die überlieferung ist falsch, erstens weil das dritte glied kein gleichstehendes
noch ein drittes sein kann, 'was ich bitte' neben 'wahr' und 'gerecht'; zweitens
weil dann die rede keinen klangvollen abschluss hat. was er bittet, ist eben nur
die stimmabgabe für gerechtigkeit und wahrheit. mit der bitte, direct ausgesprochen,
tritt der redner von der bühne.
10) Arist. pag. 37, 14. Aischines 1, 79 darf nicht den eindruck erwecken, als
wäre bei dem heroldruf das materielle der klage namhaft gemacht, obwol er sagt,
to ek tou nomou kerugma "ton psephon e tetrupemene, oto dokei peporneusthai
Timarkhon, e de pleres, oto me", denn er fingirt eine abstimmung ohne reden.

III. 10. Die παϱαγϱαφὴ und Lysias gegen Pankleon.
werden sie entscheiden? der herold wird rufen “die hohle für den
ersten redner, die volle für den zweiten”. das bedeutet, “wer urteilt,
daſs Pankleon kein Plataeer ist, gebe die hohle ab”.10) und wenn er
kein Plataeer ist, geht dann der proceſs zu der eigentlichen klage weiter?
bewahre. dann nimmt Nikomedes seinen entlaufenen sclaven beim kra-
gen und zieht mit ihm ab: hier wird keiner sein, der die vindicatio
in libertatem wagt, und im gerichte ist die rotte Pankleons machtlos.
der vogel ist im garn: diese stimmung erheitert den redner im voraus.
der sclave kann freilich nicht vor dem polemarchen belangt werden; in
sofern hat der ganze ursprüngliche rechtshandel keinen zweck mehr;
daher kein wort über ihn. aber der in zukunft für seinen sclaven haft-
bare Nikomedes ist im einverständnis mit dem kläger, offenbar schon
im einverständnis mit ihm gewesen, als er Pankleon greifen wollte.
über den alten handel des klägers mit jenem haben sich die beiden
längst irgendwie verständigt, und das ist ihre sache. Pankleon der schlaue
war diesmal allzuschlau. er wollte sich mit der einspruchsklage um den
proceſs drücken: jetzt führt sie dazu, daſs der proceſs freilich hinfällig
wird, aber Pankleon seinen personalstand statt zum bürgerrecht hinauf
in die sclaverei zurückschraubt. ein hübsches bild aus dem attischen
eben und dem attischen gerichtswesen.




δέομαι. die überlieferung ist falsch, erstens weil das dritte glied kein gleichstehendes
noch ein drittes sein kann, ‘was ich bitte’ neben ‘wahr’ und ‘gerecht’; zweitens
weil dann die rede keinen klangvollen abschluſs hat. was er bittet, ist eben nur
die stimmabgabe für gerechtigkeit und wahrheit. mit der bitte, direct ausgesprochen,
tritt der redner von der bühne.
10) Arist. pag. 37, 14. Aischines 1, 79 darf nicht den eindruck erwecken, als
wäre bei dem heroldruf das materielle der klage namhaft gemacht, obwol er sagt,
τὸ ἐκ τοῦ νόμου κήϱυγμα “τῶν ψήφων ἡ τετϱυπημένη, ὅτῳ δοκεῖ πεποϱνεῦσϑαι
Τίμαϱχον, ἡ δὲ πλήϱης, ὅτῳ μή”, denn er fingirt eine abstimmung ohne reden.
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[373/0383] III. 10. Die παϱαγϱαφὴ und Lysias gegen Pankleon. werden sie entscheiden? der herold wird rufen “die hohle für den ersten redner, die volle für den zweiten”. das bedeutet, “wer urteilt, daſs Pankleon kein Plataeer ist, gebe die hohle ab”. 10) und wenn er kein Plataeer ist, geht dann der proceſs zu der eigentlichen klage weiter? bewahre. dann nimmt Nikomedes seinen entlaufenen sclaven beim kra- gen und zieht mit ihm ab: hier wird keiner sein, der die vindicatio in libertatem wagt, und im gerichte ist die rotte Pankleons machtlos. der vogel ist im garn: diese stimmung erheitert den redner im voraus. der sclave kann freilich nicht vor dem polemarchen belangt werden; in sofern hat der ganze ursprüngliche rechtshandel keinen zweck mehr; daher kein wort über ihn. aber der in zukunft für seinen sclaven haft- bare Nikomedes ist im einverständnis mit dem kläger, offenbar schon im einverständnis mit ihm gewesen, als er Pankleon greifen wollte. über den alten handel des klägers mit jenem haben sich die beiden längst irgendwie verständigt, und das ist ihre sache. Pankleon der schlaue war diesmal allzuschlau. er wollte sich mit der einspruchsklage um den proceſs drücken: jetzt führt sie dazu, daſs der proceſs freilich hinfällig wird, aber Pankleon seinen personalstand statt zum bürgerrecht hinauf in die sclaverei zurückschraubt. ein hübsches bild aus dem attischen eben und dem attischen gerichtswesen. 9) 10) Arist. pag. 37, 14. Aischines 1, 79 darf nicht den eindruck erwecken, als wäre bei dem heroldruf das materielle der klage namhaft gemacht, obwol er sagt, τὸ ἐκ τοῦ νόμου κήϱυγμα “τῶν ψήφων ἡ τετϱυπημένη, ὅτῳ δοκεῖ πεποϱνεῦσϑαι Τίμαϱχον, ἡ δὲ πλήϱης, ὅτῳ μή”, denn er fingirt eine abstimmung ohne reden. 9) δέομαι. die überlieferung ist falsch, erstens weil das dritte glied kein gleichstehendes noch ein drittes sein kann, ‘was ich bitte’ neben ‘wahr’ und ‘gerecht’; zweitens weil dann die rede keinen klangvollen abschluſs hat. was er bittet, ist eben nur die stimmabgabe für gerechtigkeit und wahrheit. mit der bitte, direct ausgesprochen, tritt der redner von der bühne.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 373. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/383>, abgerufen am 19.04.2024.