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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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III. 9. Die rede für Polystratos.
dem eingange glück zu machen geglaubt haben "meines erachtens solltet
ihr euch durch das blosse wort, das ist einer der 400, nicht gegen
jemanden einnehmen lassen. denn es hat unter ihnen auch gutgesinnte
gegeben, wie diesen Polystratos." weder redet man so von seinem eignen
vater, noch gibt ein junger mann den herren heliasten solche belehrung.

Nun wird man sagen, dass die erste rede und die zweite nicht
scharf abgegränzt sind. ganz gewiss. aber da ist, urteile man sonst wie
man wolle, der text nicht in ordnung "ich halte es für arg, wenn je-
mand, der nichts wider die demokratie im rate beantragt hat, ebenso
behandelt werden soll, wie die welche das getan haben, und wenn der in
acht tagen ein schurke geworden sein soll, der 70 jahre ein guter bürger
war, und die ihr leben lang nichts taugten vor dem rechnungshofe
biedermänner werden, und die allzeit biedermänner waren schurken.19)
kaitoi20) in der vorigen verhandlung hat man meinem vater unter andern
falschen beschuldigungen auch nachgesagt, dass er mit Phrynichos ver-
wandt war. dagegen (kaitoi) erkläre ich: lege wer das beweisen kann
in der für meine verteidigung mir zugemessenen frist zeugnis ab." was
soll das erste kaitoi? auf jenes rhetorische enthymem deinon moi dokei
einai kann sehr gut ein kaitoi folgen, aber der satz, der da folgt,
schliesst sich überhaupt nicht an, und am wenigsten mit kaitoi. und
die beiden sätze hinter einander können vollends so nicht anfangen.
ich wage darüber nicht zu entscheiden, ob wir jenes kaitoi tilgen sollen:
in dem falle ist der bruch der continuität da, wie ja wirklich eine ganz
neue gedankenreihe einsetzt und ein neuer ton; oder ob hinter kaitoi
der schluss der ersten rede ausgefallen ist und dann möglicherweise auch
ein anfang der zweiten, was ich nicht glaube. wer eine lücke annimmt,
kann freilich auch eine ergänzung ersinnen, die die beiden paragraphen
10 und 11 wirklich verbinde: die dubletten und den verschiedenen ton
beseitigt er doch nicht.

Besprochen muss noch ein paragraph der ersten rede werden, weil

19) Es ist ganz falsch, die beiden letzten dieser sätze als selbständige fragen
zu fassen. gedacht sind sie, wie der gedanke zeigt, als weitere deina, stehn also
dem ei peisetai ganz parallel. nur ist Polystratos wirklich trotz seinen siebzig
jahren im rechnungshofe verurteilt wie ein schurke, also trifft die hypothetische
partikel ei nicht zu, wenn sie, wie sie uns scheint, rein hypothetisch ist. das ist
sie nicht: deinon moi dokei einai, ei oi poneroi khrestoi gegenentai ist so gut grie-
chisch wie thaumazo -- ei -- gegenentai oder oft elegkhein -- ei. die sprache
empfindet etwas anders als die unsere.
20) Kaitoi en [te] tais proteron kategoriais. natürlich ist die dittographie
mit den abschriften zu tilgen, nicht in ein müssiges ge zu ändern.

III. 9. Die rede für Polystratos.
dem eingange glück zu machen geglaubt haben “meines erachtens solltet
ihr euch durch das bloſse wort, das ist einer der 400, nicht gegen
jemanden einnehmen lassen. denn es hat unter ihnen auch gutgesinnte
gegeben, wie diesen Polystratos.” weder redet man so von seinem eignen
vater, noch gibt ein junger mann den herren heliasten solche belehrung.

Nun wird man sagen, daſs die erste rede und die zweite nicht
scharf abgegränzt sind. ganz gewiſs. aber da ist, urteile man sonst wie
man wolle, der text nicht in ordnung “ich halte es für arg, wenn je-
mand, der nichts wider die demokratie im rate beantragt hat, ebenso
behandelt werden soll, wie die welche das getan haben, und wenn der in
acht tagen ein schurke geworden sein soll, der 70 jahre ein guter bürger
war, und die ihr leben lang nichts taugten vor dem rechnungshofe
biedermänner werden, und die allzeit biedermänner waren schurken.19)
καίτοι20) in der vorigen verhandlung hat man meinem vater unter andern
falschen beschuldigungen auch nachgesagt, daſs er mit Phrynichos ver-
wandt war. dagegen (καίτοι) erkläre ich: lege wer das beweisen kann
in der für meine verteidigung mir zugemessenen frist zeugnis ab.” was
soll das erste καίτοι? auf jenes rhetorische enthymem δεινόν μοι δοκεῖ
εἶναι kann sehr gut ein καίτοι folgen, aber der satz, der da folgt,
schlieſst sich überhaupt nicht an, und am wenigsten mit καίτοι. und
die beiden sätze hinter einander können vollends so nicht anfangen.
ich wage darüber nicht zu entscheiden, ob wir jenes καίτοι tilgen sollen:
in dem falle ist der bruch der continuität da, wie ja wirklich eine ganz
neue gedankenreihe einsetzt und ein neuer ton; oder ob hinter καίτοι
der schluſs der ersten rede ausgefallen ist und dann möglicherweise auch
ein anfang der zweiten, was ich nicht glaube. wer eine lücke annimmt,
kann freilich auch eine ergänzung ersinnen, die die beiden paragraphen
10 und 11 wirklich verbinde: die dubletten und den verschiedenen ton
beseitigt er doch nicht.

Besprochen muſs noch ein paragraph der ersten rede werden, weil

19) Es ist ganz falsch, die beiden letzten dieser sätze als selbständige fragen
zu fassen. gedacht sind sie, wie der gedanke zeigt, als weitere δεινά, stehn also
dem εἰ πείσεται ganz parallel. nur ist Polystratos wirklich trotz seinen siebzig
jahren im rechnungshofe verurteilt wie ein schurke, also trifft die hypothetische
partikel εἰ nicht zu, wenn sie, wie sie uns scheint, rein hypothetisch ist. das ist
sie nicht: δεινόν μοι δοκεῖ εἶναι, εἰ οἱ πονηϱοὶ χϱηστοὶ γεγένηνται ist so gut grie-
chisch wie ϑαυμάζω — εἰ — γεγένηνται oder oft ἐλέγχειν — εἰ. die sprache
empfindet etwas anders als die unsere.
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mit den abschriften zu tilgen, nicht in ein müssiges γε zu ändern.
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[364/0374] III. 9. Die rede für Polystratos. dem eingange glück zu machen geglaubt haben “meines erachtens solltet ihr euch durch das bloſse wort, das ist einer der 400, nicht gegen jemanden einnehmen lassen. denn es hat unter ihnen auch gutgesinnte gegeben, wie diesen Polystratos.” weder redet man so von seinem eignen vater, noch gibt ein junger mann den herren heliasten solche belehrung. Nun wird man sagen, daſs die erste rede und die zweite nicht scharf abgegränzt sind. ganz gewiſs. aber da ist, urteile man sonst wie man wolle, der text nicht in ordnung “ich halte es für arg, wenn je- mand, der nichts wider die demokratie im rate beantragt hat, ebenso behandelt werden soll, wie die welche das getan haben, und wenn der in acht tagen ein schurke geworden sein soll, der 70 jahre ein guter bürger war, und die ihr leben lang nichts taugten vor dem rechnungshofe biedermänner werden, und die allzeit biedermänner waren schurken. 19) καίτοι 20) in der vorigen verhandlung hat man meinem vater unter andern falschen beschuldigungen auch nachgesagt, daſs er mit Phrynichos ver- wandt war. dagegen (καίτοι) erkläre ich: lege wer das beweisen kann in der für meine verteidigung mir zugemessenen frist zeugnis ab.” was soll das erste καίτοι? auf jenes rhetorische enthymem δεινόν μοι δοκεῖ εἶναι kann sehr gut ein καίτοι folgen, aber der satz, der da folgt, schlieſst sich überhaupt nicht an, und am wenigsten mit καίτοι. und die beiden sätze hinter einander können vollends so nicht anfangen. ich wage darüber nicht zu entscheiden, ob wir jenes καίτοι tilgen sollen: in dem falle ist der bruch der continuität da, wie ja wirklich eine ganz neue gedankenreihe einsetzt und ein neuer ton; oder ob hinter καίτοι der schluſs der ersten rede ausgefallen ist und dann möglicherweise auch ein anfang der zweiten, was ich nicht glaube. wer eine lücke annimmt, kann freilich auch eine ergänzung ersinnen, die die beiden paragraphen 10 und 11 wirklich verbinde: die dubletten und den verschiedenen ton beseitigt er doch nicht. Besprochen muſs noch ein paragraph der ersten rede werden, weil 19) Es ist ganz falsch, die beiden letzten dieser sätze als selbständige fragen zu fassen. gedacht sind sie, wie der gedanke zeigt, als weitere δεινά, stehn also dem εἰ πείσεται ganz parallel. nur ist Polystratos wirklich trotz seinen siebzig jahren im rechnungshofe verurteilt wie ein schurke, also trifft die hypothetische partikel εἰ nicht zu, wenn sie, wie sie uns scheint, rein hypothetisch ist. das ist sie nicht: δεινόν μοι δοκεῖ εἶναι, εἰ οἱ πονηϱοὶ χϱηστοὶ γεγένηνται ist so gut grie- chisch wie ϑαυμάζω — εἰ — γεγένηνται oder oft ἐλέγχειν — εἰ. die sprache empfindet etwas anders als die unsere. 20) Καίτοι ἐν [τε] ταῖς πϱότεϱον κατηγοϱίαις. natürlich ist die dittographie mit den abschriften zu tilgen, nicht in ein müssiges γε zu ändern.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 364. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/374>, abgerufen am 19.04.2024.