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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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III. 7. Der process der Eumeniden.
der sehr menschlich athenisch gehaltenen processscene von dem epiloge
in seiner strengen schönheit und dem noch herb archaischen prologe
sammt parodos zum bewusstsein kommen. es ist ein stück in polygno-
tischem stile, während ringsum der stil der strengen schalenmalerei
herrscht. diese Athena und dieser Areopag sind 458 für die modern
empfindenden gedichtet, für die verehrer des volksgerichtes, und der
ganze process ist so gehalten, dass er die formen allein hervorhebt, die
diesem gerichte mit jedem gerichte gemeinsam sind. der Areopag ist
nicht mehr als ein gerichtshof, und Athena erscheint viel eher als stifterin
des geschwornengerichtes denn des Areopages.

Die ein-
setzungs-
rede.
Wenden wir uns denn zu der rede, mit der sie das gericht für
die zukunft einsetzt. der rat hiess rat, aber er war keiner mehr,
sondern nur noch ein gericht. um diese stellung hatten die kämpfe
der jüngsten vergangenheit getobt und dies war schliesslich gesetz ge-
worden. der dichter konnte den unterschied weder übersehen noch
verschweigen. seine Athena hat sich ein consilium berufen, aus freier
wahl, weil sie sich nicht selbst getraute das urteil zu finden. sie macht
aus diesem consilium eine dauernde institution, aber nur für die analogen
fälle, zur urteilsfindung in blutsachen. mit dem worte boule und
bouleuterion verbindet der Hellene aber etwas ganz anderes, die ver-
waltung. folglich kann der dichter den namen boule nur mit einem
distinctivum gebraucht haben und hat geschrieben
estai de kai to loipon Aigeos strato
aiei dikaston touto bouleuterion.

Der schauplatz des dramas und des gerichtes ist bei Athena, auf
der burg. die göttin lässt am schlusse ihre dienerinnen, die alten und
die jungen, aus ihrem hause hervortreten, die priesterin sammt den
kosmo trapezo, ergastinai arrephoroi und wie der hofstaat der
göttin sonst heisst. diese geleiten die Eumeniden hinunter in ihre woh-
nung, zum Areopage. die theatralische rücksicht hatte so den dichter ver-
anlasst, den schauplatz des ersten areopagitischen processes von dem Ares-
hügel selbst auf die burg zu verlegen. das war ihm auch erwünscht gewesen,
weil dadurch von selbst die züge des processes sich verallgemeinerten.
aber in der stiftungsrede musste er doch den Areopag als sitz des richter-
rates bezeichnen: hier liegt auf dem orte und seinem namen das haupt-
gewicht. da lesen wir nun pagon d Areion tond Amazonon edran
skenas te9), und dann folgt ein langer temporalsatz, der berichtet, wann

9) Auf dem Areopage haben die Skythen der polizeiwache ihre zelte gehabt,
nachdem sie vorher auf dem freien platze des marktes campirt hatten (schol. Ar.

III. 7. Der proceſs der Eumeniden.
der sehr menschlich athenisch gehaltenen proceſsscene von dem epiloge
in seiner strengen schönheit und dem noch herb archaischen prologe
sammt parodos zum bewuſstsein kommen. es ist ein stück in polygno-
tischem stile, während ringsum der stil der strengen schalenmalerei
herrscht. diese Athena und dieser Areopag sind 458 für die modern
empfindenden gedichtet, für die verehrer des volksgerichtes, und der
ganze proceſs ist so gehalten, daſs er die formen allein hervorhebt, die
diesem gerichte mit jedem gerichte gemeinsam sind. der Areopag ist
nicht mehr als ein gerichtshof, und Athena erscheint viel eher als stifterin
des geschwornengerichtes denn des Areopages.

Die ein-
setzungs-
rede.
Wenden wir uns denn zu der rede, mit der sie das gericht für
die zukunft einsetzt. der rat hieſs rat, aber er war keiner mehr,
sondern nur noch ein gericht. um diese stellung hatten die kämpfe
der jüngsten vergangenheit getobt und dies war schlieſslich gesetz ge-
worden. der dichter konnte den unterschied weder übersehen noch
verschweigen. seine Athena hat sich ein consilium berufen, aus freier
wahl, weil sie sich nicht selbst getraute das urteil zu finden. sie macht
aus diesem consilium eine dauernde institution, aber nur für die analogen
fälle, zur urteilsfindung in blutsachen. mit dem worte βουλή und
βουλευτήϱιον verbindet der Hellene aber etwas ganz anderes, die ver-
waltung. folglich kann der dichter den namen βουλή nur mit einem
distinctivum gebraucht haben und hat geschrieben
ἔσται δὲ καὶ τὸ λοιπὸν Αἰγέως στϱατῷ
αἰεὶ δικαστῶν τοῦτο βουλευτήϱιον.

Der schauplatz des dramas und des gerichtes ist bei Athena, auf
der burg. die göttin läſst am schlusse ihre dienerinnen, die alten und
die jungen, aus ihrem hause hervortreten, die priesterin sammt den
κοσμώ τϱαπεζώ, ἐϱγαστῖναι ἀϱϱηφόϱοι und wie der hofstaat der
göttin sonst heiſst. diese geleiten die Eumeniden hinunter in ihre woh-
nung, zum Areopage. die theatralische rücksicht hatte so den dichter ver-
anlaſst, den schauplatz des ersten areopagitischen processes von dem Ares-
hügel selbst auf die burg zu verlegen. das war ihm auch erwünscht gewesen,
weil dadurch von selbst die züge des processes sich verallgemeinerten.
aber in der stiftungsrede muſste er doch den Areopag als sitz des richter-
rates bezeichnen: hier liegt auf dem orte und seinem namen das haupt-
gewicht. da lesen wir nun πάγον δ̕ Ἄϱειον τόνδ̕ Ἀμαζόνων ἕδϱαν
σκηνάς τε9), und dann folgt ein langer temporalsatz, der berichtet, wann

9) Auf dem Areopage haben die Skythen der polizeiwache ihre zelte gehabt,
nachdem sie vorher auf dem freien platze des marktes campirt hatten (schol. Ar.
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[334/0344] III. 7. Der proceſs der Eumeniden. der sehr menschlich athenisch gehaltenen proceſsscene von dem epiloge in seiner strengen schönheit und dem noch herb archaischen prologe sammt parodos zum bewuſstsein kommen. es ist ein stück in polygno- tischem stile, während ringsum der stil der strengen schalenmalerei herrscht. diese Athena und dieser Areopag sind 458 für die modern empfindenden gedichtet, für die verehrer des volksgerichtes, und der ganze proceſs ist so gehalten, daſs er die formen allein hervorhebt, die diesem gerichte mit jedem gerichte gemeinsam sind. der Areopag ist nicht mehr als ein gerichtshof, und Athena erscheint viel eher als stifterin des geschwornengerichtes denn des Areopages. Wenden wir uns denn zu der rede, mit der sie das gericht für die zukunft einsetzt. der rat hieſs rat, aber er war keiner mehr, sondern nur noch ein gericht. um diese stellung hatten die kämpfe der jüngsten vergangenheit getobt und dies war schlieſslich gesetz ge- worden. der dichter konnte den unterschied weder übersehen noch verschweigen. seine Athena hat sich ein consilium berufen, aus freier wahl, weil sie sich nicht selbst getraute das urteil zu finden. sie macht aus diesem consilium eine dauernde institution, aber nur für die analogen fälle, zur urteilsfindung in blutsachen. mit dem worte βουλή und βουλευτήϱιον verbindet der Hellene aber etwas ganz anderes, die ver- waltung. folglich kann der dichter den namen βουλή nur mit einem distinctivum gebraucht haben und hat geschrieben ἔσται δὲ καὶ τὸ λοιπὸν Αἰγέως στϱατῷ αἰεὶ δικαστῶν τοῦτο βουλευτήϱιον. Die ein- setzungs- rede. Der schauplatz des dramas und des gerichtes ist bei Athena, auf der burg. die göttin läſst am schlusse ihre dienerinnen, die alten und die jungen, aus ihrem hause hervortreten, die priesterin sammt den κοσμώ τϱαπεζώ, ἐϱγαστῖναι ἀϱϱηφόϱοι und wie der hofstaat der göttin sonst heiſst. diese geleiten die Eumeniden hinunter in ihre woh- nung, zum Areopage. die theatralische rücksicht hatte so den dichter ver- anlaſst, den schauplatz des ersten areopagitischen processes von dem Ares- hügel selbst auf die burg zu verlegen. das war ihm auch erwünscht gewesen, weil dadurch von selbst die züge des processes sich verallgemeinerten. aber in der stiftungsrede muſste er doch den Areopag als sitz des richter- rates bezeichnen: hier liegt auf dem orte und seinem namen das haupt- gewicht. da lesen wir nun πάγον δ̕ Ἄϱειον τόνδ̕ Ἀμαζόνων ἕδϱαν σκηνάς τε 9), und dann folgt ein langer temporalsatz, der berichtet, wann 9) Auf dem Areopage haben die Skythen der polizeiwache ihre zelte gehabt, nachdem sie vorher auf dem freien platze des marktes campirt hatten (schol. Ar.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 334. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/344>, abgerufen am 28.03.2024.