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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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I. 1. Die quellen der griechischen geschichte.
ou pantos andros eis Korinthon esth o plous: Aristippos geht dahin
zu Lais, und Diogenes. natürlich: der Kapuziner gehört in die stadt der
sünde. Byzantion und Tarent, auch dorische handelsstädte, zeigen das-
selbe abstossende gesicht. wir wissen denn auch so gut wie nichts über
die spätere korinthische geschichte.

SpartaÜber Sparta würde sich um 400 ein sehr schönes buch haben
schreiben lassen; die liste der ephoren war seit der mitte des achten
jahrhunderts aufgezeichnet, und dass sie bloss aus den nakten namen
bestanden hätte, wird nicht leicht jemand probabel machen. alte ur-
kunden fehlten nicht, wie die rhetra beweist23), eine reiche epichorische
poesie war erhalten, der cultus und die sitten selbst zeugten von der
ältesten zeit. aber, wie Thukydides klagt, wollten die herren des ver-
knöcherten adelsstaates das spartanische prestige durch das tiefste ge-
heimnis erhalten. Herodotos hat nur wenig in Pitane erfahren; dem
Hellanikos überliess man die liste der Karneensieger24), sonst ist auch er
kärglich abgespeist. man spürt es in den lücken der spartiatischen
geschichte nur zu deutlich, dass der adel das licht, das er selbst zu
scheuen grund hatte, auch seinen würdigeren ahnen entzogen hat. dafür
trat seit 400 die polemische litteratur der pamphlete ein, die für und
wider die oligarchie geschrieben wurden: das ist die quelle für unsere
kenntnis der spartiatischen verfassung, und sie war es schon für Ephoros

23) Unsere jetzige kenntnis zwingt uns, bei einem von diesen pamphletisten
die rhetra und die inschrift des diskos zuerst aufgezeichnet zu glauben, dem sie
dann Aristoteles verdankt. jene pamphlete waren, nachdem Aristoteles und Ephoros
sie benutzt hatten, genau so verschollen wie der sumbouleutikos des Theramenes.
wer das excerpt des Herakleides genau interpretirt, sieht, dass Aristoteles damit anhob,
die streitfrage zu erörtern, in wie weit die verfassung lykurgisch wäre; dabei muss
gelegentlich Alkman erwähnt sein, vermutlich bei einem citate. dann ward das per-
sönliche des Lykurgos behandelt, wobei seine zeit durch den diskos bestimmt ward,
und vorsichtig abgehandelt, was man ihm von speciellen bestimmungen zuschrieb.
die ephoren waren nicht mehr darunter. endlich folgte eine schilderung des bios
Lakonikos. an welcher stelle die rhetra stand, kann ich nicht mehr erkennen.
24) Trotz E. Meyer kann ich nicht umhin diese für ein sehr altes actenstück
zu halten, die voraussetzung der elegischen metaphrase, und Babyka und Knakion
sollten das zu beweisen genug sein. erfand die verschollenen locale ein delphischer
schwindler? mit dem dialekte zu operiren vermag ich nicht; dass er nichts spe-
cifisch lakonisches oder delphisches hat, liegt auf der hand. eben so steht es mit
den elegien, für die schon ihre variirende fassung die herkunft aus dem volksmunde
garantirt. wenn vollends 'junge' wörter wie douleia (Solon) eleutheria (Pindar,
Simonides) omonoia (Antiphon der sophist) orakel discreditiren sollen, so hört der
spass auf.

I. 1. Die quellen der griechischen geschichte.
οὐ παντὸς ἀνδϱὸς εἰς Κόϱινϑόν ἐσϑ̕ ὁ πλοῦς: Aristippos geht dahin
zu Lais, und Diogenes. natürlich: der Kapuziner gehört in die stadt der
sünde. Byzantion und Tarent, auch dorische handelsstädte, zeigen das-
selbe abstoſsende gesicht. wir wissen denn auch so gut wie nichts über
die spätere korinthische geschichte.

SpartaÜber Sparta würde sich um 400 ein sehr schönes buch haben
schreiben lassen; die liste der ephoren war seit der mitte des achten
jahrhunderts aufgezeichnet, und daſs sie bloſs aus den nakten namen
bestanden hätte, wird nicht leicht jemand probabel machen. alte ur-
kunden fehlten nicht, wie die rhetra beweist23), eine reiche epichorische
poesie war erhalten, der cultus und die sitten selbst zeugten von der
ältesten zeit. aber, wie Thukydides klagt, wollten die herren des ver-
knöcherten adelsstaates das spartanische prestige durch das tiefste ge-
heimnis erhalten. Herodotos hat nur wenig in Pitane erfahren; dem
Hellanikos überlieſs man die liste der Karneensieger24), sonst ist auch er
kärglich abgespeist. man spürt es in den lücken der spartiatischen
geschichte nur zu deutlich, daſs der adel das licht, das er selbst zu
scheuen grund hatte, auch seinen würdigeren ahnen entzogen hat. dafür
trat seit 400 die polemische litteratur der pamphlete ein, die für und
wider die oligarchie geschrieben wurden: das ist die quelle für unsere
kenntnis der spartiatischen verfassung, und sie war es schon für Ephoros

23) Unsere jetzige kenntnis zwingt uns, bei einem von diesen pamphletisten
die rhetra und die inschrift des diskos zuerst aufgezeichnet zu glauben, dem sie
dann Aristoteles verdankt. jene pamphlete waren, nachdem Aristoteles und Ephoros
sie benutzt hatten, genau so verschollen wie der συμβουλευτικὸς des Theramenes.
wer das excerpt des Herakleides genau interpretirt, sieht, daſs Aristoteles damit anhob,
die streitfrage zu erörtern, in wie weit die verfassung lykurgisch wäre; dabei muſs
gelegentlich Alkman erwähnt sein, vermutlich bei einem citate. dann ward das per-
sönliche des Lykurgos behandelt, wobei seine zeit durch den diskos bestimmt ward,
und vorsichtig abgehandelt, was man ihm von speciellen bestimmungen zuschrieb.
die ephoren waren nicht mehr darunter. endlich folgte eine schilderung des βίος
Λακωνικός. an welcher stelle die rhetra stand, kann ich nicht mehr erkennen.
24) Trotz E. Meyer kann ich nicht umhin diese für ein sehr altes actenstück
zu halten, die voraussetzung der elegischen metaphrase, und Babyka und Knakion
sollten das zu beweisen genug sein. erfand die verschollenen locale ein delphischer
schwindler? mit dem dialekte zu operiren vermag ich nicht; daſs er nichts spe-
cifisch lakonisches oder delphisches hat, liegt auf der hand. eben so steht es mit
den elegien, für die schon ihre variirende fassung die herkunft aus dem volksmunde
garantirt. wenn vollends ‘junge’ wörter wie δουλεία (Solon) ἐλευϑεϱία (Pindar,
Simonides) ὁμόνοια (Antiphon der sophist) orakel discreditiren sollen, so hört der
spaſs auf.
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[24/0034] I. 1. Die quellen der griechischen geschichte. οὐ παντὸς ἀνδϱὸς εἰς Κόϱινϑόν ἐσϑ̕ ὁ πλοῦς: Aristippos geht dahin zu Lais, und Diogenes. natürlich: der Kapuziner gehört in die stadt der sünde. Byzantion und Tarent, auch dorische handelsstädte, zeigen das- selbe abstoſsende gesicht. wir wissen denn auch so gut wie nichts über die spätere korinthische geschichte. Über Sparta würde sich um 400 ein sehr schönes buch haben schreiben lassen; die liste der ephoren war seit der mitte des achten jahrhunderts aufgezeichnet, und daſs sie bloſs aus den nakten namen bestanden hätte, wird nicht leicht jemand probabel machen. alte ur- kunden fehlten nicht, wie die rhetra beweist 23), eine reiche epichorische poesie war erhalten, der cultus und die sitten selbst zeugten von der ältesten zeit. aber, wie Thukydides klagt, wollten die herren des ver- knöcherten adelsstaates das spartanische prestige durch das tiefste ge- heimnis erhalten. Herodotos hat nur wenig in Pitane erfahren; dem Hellanikos überlieſs man die liste der Karneensieger 24), sonst ist auch er kärglich abgespeist. man spürt es in den lücken der spartiatischen geschichte nur zu deutlich, daſs der adel das licht, das er selbst zu scheuen grund hatte, auch seinen würdigeren ahnen entzogen hat. dafür trat seit 400 die polemische litteratur der pamphlete ein, die für und wider die oligarchie geschrieben wurden: das ist die quelle für unsere kenntnis der spartiatischen verfassung, und sie war es schon für Ephoros Sparta 23) Unsere jetzige kenntnis zwingt uns, bei einem von diesen pamphletisten die rhetra und die inschrift des diskos zuerst aufgezeichnet zu glauben, dem sie dann Aristoteles verdankt. jene pamphlete waren, nachdem Aristoteles und Ephoros sie benutzt hatten, genau so verschollen wie der συμβουλευτικὸς des Theramenes. wer das excerpt des Herakleides genau interpretirt, sieht, daſs Aristoteles damit anhob, die streitfrage zu erörtern, in wie weit die verfassung lykurgisch wäre; dabei muſs gelegentlich Alkman erwähnt sein, vermutlich bei einem citate. dann ward das per- sönliche des Lykurgos behandelt, wobei seine zeit durch den diskos bestimmt ward, und vorsichtig abgehandelt, was man ihm von speciellen bestimmungen zuschrieb. die ephoren waren nicht mehr darunter. endlich folgte eine schilderung des βίος Λακωνικός. an welcher stelle die rhetra stand, kann ich nicht mehr erkennen. 24) Trotz E. Meyer kann ich nicht umhin diese für ein sehr altes actenstück zu halten, die voraussetzung der elegischen metaphrase, und Babyka und Knakion sollten das zu beweisen genug sein. erfand die verschollenen locale ein delphischer schwindler? mit dem dialekte zu operiren vermag ich nicht; daſs er nichts spe- cifisch lakonisches oder delphisches hat, liegt auf der hand. eben so steht es mit den elegien, für die schon ihre variirende fassung die herkunft aus dem volksmunde garantirt. wenn vollends ‘junge’ wörter wie δουλεία (Solon) ἐλευϑεϱία (Pindar, Simonides) ὁμόνοια (Antiphon der sophist) orakel discreditiren sollen, so hört der spaſs auf.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/34>, abgerufen am 28.03.2024.