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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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Ein zweiter iambos. gedichte wider die tyrannis.
holungen sich gestattet hat: namentlich für die beurteilung der tyrtaei-
schen elegien ist das beherzigenswert. die spätere demegorie in prosa
hat es nicht anders gehalten.

Sechs politische gedichte kennen wir nun. dass Solon auch andereReste an-
derer ge-
dichte.

dichtungen verfasst haben musste, wenn er den ruf der weisheit besass,
um dessentwillen sein volk auch auf seine politischen mahnungen hörte,
ist klar; aber auch nicht einen vers wüsste ich mit einigem scheine auf
seine jugend zu beziehen. auf seiner reise ist das gedicht an Philoky-
pros von Soloi entstanden (19). ein vers, der seinen aufenthalt an der
kanobischen Nilmündung erwähnt (28), kann nicht weiter bestimmt wer-
den, als dass er nach der aegyptischen reise verfasst ist, wie denn auch
Plutarch sagt. die etwa zwanzig jahre, die Solon sich zu hause noch
des otium cum dignitate erfreute, haben ohne zweifel die meisten seiner
poetischen früchte gebracht. aber es kann bei der art unserer über-
lieferung nicht wunder nehmen, dass wir auch hier am meisten von der
politischen poesie erfahren. dazu gehört die elegie Salamis von 100 versen,
also ein umfängliches stück (1--3), für die er die fiction wählte, vom
heroldsteine auf dem markte zu seinem volke zu reden, und zwar in
directer ansprache. vielleicht war das auch gar keine fiction. dann
scheidet unsere überlieferung, die in drei arme, Diodor Plutarch Diogenes,Gedichte
wider die
tyrannis.

gespalten doch aus einer quelle stammt, zwei politische gedichte, von
denen sie das eine vor, das andere in die tyrannis des Peisistratos setzt.
das eine soll eine warnung sein (9); die erhaltenen verse führen aus,
dass, wenn es übermächtige männer im staate gibt, die tyrannis so
sicher zu erwarten ist wie das hagelwetter, wenn die wolke aufzieht,
oder der donner, wenn es blitzt. aber das volk lasse die einzelnen
männer erst so gross werden, dass es sie nachher nicht mehr zurück-
halten könne. das zweite soll mit der vollendeten tatsache rechnen "die
götter sind nicht an eurer knechtschaft schuld, sondern ihr selbst, die
ihr diesen leuten rückhalt und stütze (Rumata) gegeben habt. denn ihr
seid trotz aller schlauheit der einzelnen ein volk von gimpeln (11)". so
wie die 3 und 4 disticha jetzt da stehn9), könnten sie sehr gut in einem
gedichte platz finden, und nur wenn der vers "bald wird die wahrheit
an den tag kommen und zeigen, ob ich verrückt bin, wie ihr wähnet

9) Plutarch. Sol. 30 hat das zweite citat zerpflückt und dabei auch die ord-
nung der verse vertauscht. wenn Clemens Str. I 3, 328 dieselbe ordnung zeigt, so
heisst das nur, dass er von Plutarch abhängig ist. diese entlehnungen aus einem
erhaltenen autor festzustellen und auszusondern ist die dringendste aufgabe für die
analyse des Clemens.

Ein zweiter iambos. gedichte wider die tyrannis.
holungen sich gestattet hat: namentlich für die beurteilung der tyrtaei-
schen elegien ist das beherzigenswert. die spätere demegorie in prosa
hat es nicht anders gehalten.

Sechs politische gedichte kennen wir nun. daſs Solon auch andereReste an-
derer ge-
dichte.

dichtungen verfaſst haben muſste, wenn er den ruf der weisheit besaſs,
um dessentwillen sein volk auch auf seine politischen mahnungen hörte,
ist klar; aber auch nicht einen vers wüſste ich mit einigem scheine auf
seine jugend zu beziehen. auf seiner reise ist das gedicht an Philoky-
pros von Soloi entstanden (19). ein vers, der seinen aufenthalt an der
kanobischen Nilmündung erwähnt (28), kann nicht weiter bestimmt wer-
den, als daſs er nach der aegyptischen reise verfaſst ist, wie denn auch
Plutarch sagt. die etwa zwanzig jahre, die Solon sich zu hause noch
des otium cum dignitate erfreute, haben ohne zweifel die meisten seiner
poetischen früchte gebracht. aber es kann bei der art unserer über-
lieferung nicht wunder nehmen, daſs wir auch hier am meisten von der
politischen poesie erfahren. dazu gehört die elegie Salamis von 100 versen,
also ein umfängliches stück (1—3), für die er die fiction wählte, vom
heroldsteine auf dem markte zu seinem volke zu reden, und zwar in
directer ansprache. vielleicht war das auch gar keine fiction. dann
scheidet unsere überlieferung, die in drei arme, Diodor Plutarch Diogenes,Gedichte
wider die
tyrannis.

gespalten doch aus einer quelle stammt, zwei politische gedichte, von
denen sie das eine vor, das andere in die tyrannis des Peisistratos setzt.
das eine soll eine warnung sein (9); die erhaltenen verse führen aus,
daſs, wenn es übermächtige männer im staate gibt, die tyrannis so
sicher zu erwarten ist wie das hagelwetter, wenn die wolke aufzieht,
oder der donner, wenn es blitzt. aber das volk lasse die einzelnen
männer erst so groſs werden, daſs es sie nachher nicht mehr zurück-
halten könne. das zweite soll mit der vollendeten tatsache rechnen “die
götter sind nicht an eurer knechtschaft schuld, sondern ihr selbst, die
ihr diesen leuten rückhalt und stütze (ῥύματα) gegeben habt. denn ihr
seid trotz aller schlauheit der einzelnen ein volk von gimpeln (11)”. so
wie die 3 und 4 disticha jetzt da stehn9), könnten sie sehr gut in einem
gedichte platz finden, und nur wenn der vers “bald wird die wahrheit
an den tag kommen und zeigen, ob ich verrückt bin, wie ihr wähnet

9) Plutarch. Sol. 30 hat das zweite citat zerpflückt und dabei auch die ord-
nung der verse vertauscht. wenn Clemens Str. I 3, 328 dieselbe ordnung zeigt, so
heiſst das nur, daſs er von Plutarch abhängig ist. diese entlehnungen aus einem
erhaltenen autor festzustellen und auszusondern ist die dringendste aufgabe für die
analyse des Clemens.
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[311/0321] Ein zweiter iambos. gedichte wider die tyrannis. holungen sich gestattet hat: namentlich für die beurteilung der tyrtaei- schen elegien ist das beherzigenswert. die spätere demegorie in prosa hat es nicht anders gehalten. Sechs politische gedichte kennen wir nun. daſs Solon auch andere dichtungen verfaſst haben muſste, wenn er den ruf der weisheit besaſs, um dessentwillen sein volk auch auf seine politischen mahnungen hörte, ist klar; aber auch nicht einen vers wüſste ich mit einigem scheine auf seine jugend zu beziehen. auf seiner reise ist das gedicht an Philoky- pros von Soloi entstanden (19). ein vers, der seinen aufenthalt an der kanobischen Nilmündung erwähnt (28), kann nicht weiter bestimmt wer- den, als daſs er nach der aegyptischen reise verfaſst ist, wie denn auch Plutarch sagt. die etwa zwanzig jahre, die Solon sich zu hause noch des otium cum dignitate erfreute, haben ohne zweifel die meisten seiner poetischen früchte gebracht. aber es kann bei der art unserer über- lieferung nicht wunder nehmen, daſs wir auch hier am meisten von der politischen poesie erfahren. dazu gehört die elegie Salamis von 100 versen, also ein umfängliches stück (1—3), für die er die fiction wählte, vom heroldsteine auf dem markte zu seinem volke zu reden, und zwar in directer ansprache. vielleicht war das auch gar keine fiction. dann scheidet unsere überlieferung, die in drei arme, Diodor Plutarch Diogenes, gespalten doch aus einer quelle stammt, zwei politische gedichte, von denen sie das eine vor, das andere in die tyrannis des Peisistratos setzt. das eine soll eine warnung sein (9); die erhaltenen verse führen aus, daſs, wenn es übermächtige männer im staate gibt, die tyrannis so sicher zu erwarten ist wie das hagelwetter, wenn die wolke aufzieht, oder der donner, wenn es blitzt. aber das volk lasse die einzelnen männer erst so groſs werden, daſs es sie nachher nicht mehr zurück- halten könne. das zweite soll mit der vollendeten tatsache rechnen “die götter sind nicht an eurer knechtschaft schuld, sondern ihr selbst, die ihr diesen leuten rückhalt und stütze (ῥύματα) gegeben habt. denn ihr seid trotz aller schlauheit der einzelnen ein volk von gimpeln (11)”. so wie die 3 und 4 disticha jetzt da stehn 9), könnten sie sehr gut in einem gedichte platz finden, und nur wenn der vers “bald wird die wahrheit an den tag kommen und zeigen, ob ich verrückt bin, wie ihr wähnet Reste an- derer ge- dichte. Gedichte wider die tyrannis. 9) Plutarch. Sol. 30 hat das zweite citat zerpflückt und dabei auch die ord- nung der verse vertauscht. wenn Clemens Str. I 3, 328 dieselbe ordnung zeigt, so heiſst das nur, daſs er von Plutarch abhängig ist. diese entlehnungen aus einem erhaltenen autor festzustellen und auszusondern ist die dringendste aufgabe für die analyse des Clemens.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 311. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/321>, abgerufen am 29.03.2024.