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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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III. 4. Die solonischen gedichte.
mich schel an, ganz mit unrecht. denn ich habe ihnen gegeben was
ich ihnen versprochen hatte; sonst aber habe ich nicht unbesonnen ge-
handelt: so wenig wie die tyrannis, ist mir in den sinn gekommen,
durch ges anadasmos eine gleichheit des besitzes für alle durchzu-
führen. (34. 35 mit den ergänzungen bei Ar.)"

Der grosse
iambos.
Waren die trochaeen in erster linie bestimmt, seine ablehnung der
tyrannis zu verteidigen, so setzte sich Solon mit den vorwürfen der
armen in dem iambos auseinander, von dem das längste bruchstück er-
halten ist. weil der iambos malista lektikon ist, glaubt man hier am
meisten den ersten attischen redner zu hören. ergänzen muss man die
vorwürfe der volkspartei, dass er nicht mehr für sie getan hätte und die
äcker der reichen confiscirt, was ihnen nicht nur freiheit, sondern auch
brot verschafft haben würde. "weswegen ich, als ich den wagen des
staates lenkte8), aufgehört habe, ehe der demos etwas hiervon bekam,
das soll mir vor dem richterstuhle der ewigkeit die mutter Erde bezeugen,
aus der ich die schuldsteine entfernt habe; und die schuldsclaven habe
ich befreit und das daneizesthai epi tois somasin abgeschafft. das
habe ich getan und damit mein versprechen erfüllt. aber mit der ge-
setzgebung habe ich gleiches recht geschaffen. und nur weil ich un-
eigennützig war, ist es mir gelungen, den demos zurückzuhalten; ich
brauchte ja nur einer von beiden parteien zu folgen, dann wäre der
bürgerkrieg sicher gewesen. daher habe ich mich zwischen beiden
hindurchgedrückt."

Ein zweiter
iambos.
Ein ganz ähnliches iambisches gedicht zieht Aristoteles gleich danach
aus "der demos sollte mir danken, denn ohne mich hätte er nicht im
traume so viel bekommen wie er hat, und die reichen sollten es nicht
minder, denn ohne mich hätten sie alles verloren. keinem anderen würde
es an meiner stelle gelungen sein, den demos zurückzuhalten, ich aber trat
zwischen beide". das ist so ähnlich, dass man alten und neuen be-
nutzern nicht verdenken kann, dass sie es vermischt haben. der halb-
vers ouk an kateskhe demon ist identisch, der bedingungssatz vorher, der
nur in der paraphrase erhalten ist, musste es dem sinne nach auch sein:
man könnte fast an eine doppelte fassung des schlusses denken, wenn
nicht Aristoteles offenbar zwei vollständige gedichte vor sich hätte. so
lernen wir nur, dass elegie und iambos wie das spätere epos die wieder-

8) Der aufbau der gedanken wird durch die paraphrase deutlich; axonelatein
wird nicht bezweifeln, wer kentron labon am schlusse dieser gedankenreihe 20 be-
achtet. den unsinn, der über diese verse geredet und in conjecturen niedergelegt
ist, mag icht nicht verfolgen.

III. 4. Die solonischen gedichte.
mich schel an, ganz mit unrecht. denn ich habe ihnen gegeben was
ich ihnen versprochen hatte; sonst aber habe ich nicht unbesonnen ge-
handelt: so wenig wie die tyrannis, ist mir in den sinn gekommen,
durch γῆς ἀναδασμός eine gleichheit des besitzes für alle durchzu-
führen. (34. 35 mit den ergänzungen bei Ar.)”

Der groſse
iambos.
Waren die trochaeen in erster linie bestimmt, seine ablehnung der
tyrannis zu verteidigen, so setzte sich Solon mit den vorwürfen der
armen in dem iambos auseinander, von dem das längste bruchstück er-
halten ist. weil der iambos μάλιστα λεκτικόν ist, glaubt man hier am
meisten den ersten attischen redner zu hören. ergänzen muſs man die
vorwürfe der volkspartei, daſs er nicht mehr für sie getan hätte und die
äcker der reichen confiscirt, was ihnen nicht nur freiheit, sondern auch
brot verschafft haben würde. “weswegen ich, als ich den wagen des
staates lenkte8), aufgehört habe, ehe der demos etwas hiervon bekam,
das soll mir vor dem richterstuhle der ewigkeit die mutter Erde bezeugen,
aus der ich die schuldsteine entfernt habe; und die schuldsclaven habe
ich befreit und das δανείζεσϑαι ἐπὶ τοῖς σώμασιν abgeschafft. das
habe ich getan und damit mein versprechen erfüllt. aber mit der ge-
setzgebung habe ich gleiches recht geschaffen. und nur weil ich un-
eigennützig war, ist es mir gelungen, den demos zurückzuhalten; ich
brauchte ja nur einer von beiden parteien zu folgen, dann wäre der
bürgerkrieg sicher gewesen. daher habe ich mich zwischen beiden
hindurchgedrückt.”

Ein zweiter
iambos.
Ein ganz ähnliches iambisches gedicht zieht Aristoteles gleich danach
aus “der demos sollte mir danken, denn ohne mich hätte er nicht im
traume so viel bekommen wie er hat, und die reichen sollten es nicht
minder, denn ohne mich hätten sie alles verloren. keinem anderen würde
es an meiner stelle gelungen sein, den demos zurückzuhalten, ich aber trat
zwischen beide”. das ist so ähnlich, daſs man alten und neuen be-
nutzern nicht verdenken kann, daſs sie es vermischt haben. der halb-
vers οὐκ ἂν κατέσχε δῆμον ist identisch, der bedingungssatz vorher, der
nur in der paraphrase erhalten ist, muſste es dem sinne nach auch sein:
man könnte fast an eine doppelte fassung des schlusses denken, wenn
nicht Aristoteles offenbar zwei vollständige gedichte vor sich hätte. so
lernen wir nur, daſs elegie und iambos wie das spätere epos die wieder-

8) Der aufbau der gedanken wird durch die paraphrase deutlich; ἀξονηλατεῖν
wird nicht bezweifeln, wer κέντϱον λαβὼν am schlusse dieser gedankenreihe 20 be-
achtet. den unsinn, der über diese verse geredet und in conjecturen niedergelegt
ist, mag icht nicht verfolgen.
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[310/0320] III. 4. Die solonischen gedichte. mich schel an, ganz mit unrecht. denn ich habe ihnen gegeben was ich ihnen versprochen hatte; sonst aber habe ich nicht unbesonnen ge- handelt: so wenig wie die tyrannis, ist mir in den sinn gekommen, durch γῆς ἀναδασμός eine gleichheit des besitzes für alle durchzu- führen. (34. 35 mit den ergänzungen bei Ar.)” Waren die trochaeen in erster linie bestimmt, seine ablehnung der tyrannis zu verteidigen, so setzte sich Solon mit den vorwürfen der armen in dem iambos auseinander, von dem das längste bruchstück er- halten ist. weil der iambos μάλιστα λεκτικόν ist, glaubt man hier am meisten den ersten attischen redner zu hören. ergänzen muſs man die vorwürfe der volkspartei, daſs er nicht mehr für sie getan hätte und die äcker der reichen confiscirt, was ihnen nicht nur freiheit, sondern auch brot verschafft haben würde. “weswegen ich, als ich den wagen des staates lenkte 8), aufgehört habe, ehe der demos etwas hiervon bekam, das soll mir vor dem richterstuhle der ewigkeit die mutter Erde bezeugen, aus der ich die schuldsteine entfernt habe; und die schuldsclaven habe ich befreit und das δανείζεσϑαι ἐπὶ τοῖς σώμασιν abgeschafft. das habe ich getan und damit mein versprechen erfüllt. aber mit der ge- setzgebung habe ich gleiches recht geschaffen. und nur weil ich un- eigennützig war, ist es mir gelungen, den demos zurückzuhalten; ich brauchte ja nur einer von beiden parteien zu folgen, dann wäre der bürgerkrieg sicher gewesen. daher habe ich mich zwischen beiden hindurchgedrückt.” Der groſse iambos. Ein ganz ähnliches iambisches gedicht zieht Aristoteles gleich danach aus “der demos sollte mir danken, denn ohne mich hätte er nicht im traume so viel bekommen wie er hat, und die reichen sollten es nicht minder, denn ohne mich hätten sie alles verloren. keinem anderen würde es an meiner stelle gelungen sein, den demos zurückzuhalten, ich aber trat zwischen beide”. das ist so ähnlich, daſs man alten und neuen be- nutzern nicht verdenken kann, daſs sie es vermischt haben. der halb- vers οὐκ ἂν κατέσχε δῆμον ist identisch, der bedingungssatz vorher, der nur in der paraphrase erhalten ist, muſste es dem sinne nach auch sein: man könnte fast an eine doppelte fassung des schlusses denken, wenn nicht Aristoteles offenbar zwei vollständige gedichte vor sich hätte. so lernen wir nur, daſs elegie und iambos wie das spätere epos die wieder- Ein zweiter iambos. 8) Der aufbau der gedanken wird durch die paraphrase deutlich; ἀξονηλατεῖν wird nicht bezweifeln, wer κέντϱον λαβὼν am schlusse dieser gedankenreihe 20 be- achtet. den unsinn, der über diese verse geredet und in conjecturen niedergelegt ist, mag icht nicht verfolgen.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/320>, abgerufen am 19.04.2024.