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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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III. 4. Die solonischen gedichte.
Aristoteles citirte elegie mit dieser identisch wäre. niemand kann ja
leugnen, dass es nur eines kleinen bindegliedes bedürfte, um von dem
ersten distichon jener zu dem anfange der hier vorliegenden versreihe
zu gelangen. aber die identification ist dennoch ganz ausgeschlossen.
den vers, der in dem anfange jener stand ten te philargurian ten th
uperephanian müssten wir in dem falle hier finden. ausserdem wer-
den dort die gewinnsüchtigen machthaber direct angeredet, vermut-
lich also auch das arme volk; denn wir hören ausdrücklich, dass Solon
"beider sache wider beide führte". von all dem ist hier keine rede,
und wenn die anrede, der adressat also, in den beiden gedichten ver-
schieden ist, so ist damit schon vollkommen bewiesen, dass es zwei waren.
es ist auch gar nicht wunderbar, dass Solon vor 594 mehrere gedichte
ähnlichen inhaltes verfasst hat, ganz wie er es in den bitteren jahren
gleich nach 593 getan hat, zu denen wir uns nun wenden.5)

Eine elegie
aus den
jahren
593--91.
Eines davon war eine elegie, aus der Aristoteles und andere die
schönen verse demo men gar edoka (5) anführen; Herodot und Aristo-
teles haben derselben die erklärung Solons, auf zehn jahre nach Aegypten
zu verreisen, entnommen; Plutarch das resignirte wort ergmasin en khale-
pois pasin adein khalepon (7). das schliesst sich alles gut zusam-
men, und dass dieses abschiedswort an das ganze volk der Athener
gerichtet war, ist das natürliche. "ich habe den Athenern die gesetze
gegeben; nach denen mögen sie leben und ein jeder das seine tun. ich
bin es müde, von allen angegangen zu werden, und gehe, die herrlich-
keiten und wunder Aegyptens zu schauen. zehn jahre bleibe ich fort:
lebt wol und versucht wie ihr auskommt. es allen recht zu machen,
habe ich weder angestrebt noch vermocht; mein prinzip ist nur gewesen,
gegen die übergriffe von beiden seiten front zu machen." es kann sein,
dass ratschläge folgten, und man ist versucht das bei Aristoteles unmittel-
bar auf demo men gar edoka folgende bruchstück hierher zu ziehen
"das volk ist dann am fügsamsten, wenn man ihm weder die zügel
schiessen lässt noch es bedrückt. denn wer nicht gesetzten sinnes ist, lässt
sich durch die übersättigung an grossem wolstande zu übergriffen ver-
leiten" (fgm. 6. 8, Theogn. 153). aber es ist klar, dass diese mahnung
selbst vor der gesetzgebung möglich war: sie gilt den demou egemones,
die doch auch nach 593 das regiment führten.


5) Es liegt nahe, nach resten der elegie ginosko bei Theognis zu suchen.
aber ich habe nichts gefunden, denn müssiges spiel will ich nicht treiben. nach-
bildungen der elegie emetera de polis fehlen nicht, Th. 758, wol auch 43, und zu
fgm. 7 stellt sich ausser dem verglichenen 799 auch 26 u. a.

III. 4. Die solonischen gedichte.
Aristoteles citirte elegie mit dieser identisch wäre. niemand kann ja
leugnen, daſs es nur eines kleinen bindegliedes bedürfte, um von dem
ersten distichon jener zu dem anfange der hier vorliegenden versreihe
zu gelangen. aber die identification ist dennoch ganz ausgeschlossen.
den vers, der in dem anfange jener stand τήν τε φιλαϱγυϱίαν τήν ϑ̕
ὑπεϱηφανίαν müſsten wir in dem falle hier finden. auſserdem wer-
den dort die gewinnsüchtigen machthaber direct angeredet, vermut-
lich also auch das arme volk; denn wir hören ausdrücklich, daſs Solon
“beider sache wider beide führte”. von all dem ist hier keine rede,
und wenn die anrede, der adressat also, in den beiden gedichten ver-
schieden ist, so ist damit schon vollkommen bewiesen, daſs es zwei waren.
es ist auch gar nicht wunderbar, daſs Solon vor 594 mehrere gedichte
ähnlichen inhaltes verfaſst hat, ganz wie er es in den bitteren jahren
gleich nach 593 getan hat, zu denen wir uns nun wenden.5)

Eine elegie
aus den
jahren
593—91.
Eines davon war eine elegie, aus der Aristoteles und andere die
schönen verse δήμῳ μὲν γὰϱ ἔδωκα (5) anführen; Herodot und Aristo-
teles haben derselben die erklärung Solons, auf zehn jahre nach Aegypten
zu verreisen, entnommen; Plutarch das resignirte wort ἔϱγμασιν ἐν χαλε-
ποῖς πᾶσιν ἁδεῖν χαλεπόν (7). das schlieſst sich alles gut zusam-
men, und daſs dieses abschiedswort an das ganze volk der Athener
gerichtet war, ist das natürliche. “ich habe den Athenern die gesetze
gegeben; nach denen mögen sie leben und ein jeder das seine tun. ich
bin es müde, von allen angegangen zu werden, und gehe, die herrlich-
keiten und wunder Aegyptens zu schauen. zehn jahre bleibe ich fort:
lebt wol und versucht wie ihr auskommt. es allen recht zu machen,
habe ich weder angestrebt noch vermocht; mein prinzip ist nur gewesen,
gegen die übergriffe von beiden seiten front zu machen.” es kann sein,
daſs ratschläge folgten, und man ist versucht das bei Aristoteles unmittel-
bar auf δήμῳ μὲν γὰϱ ἔδωκα folgende bruchstück hierher zu ziehen
“das volk ist dann am fügsamsten, wenn man ihm weder die zügel
schieſsen läſst noch es bedrückt. denn wer nicht gesetzten sinnes ist, läſst
sich durch die übersättigung an groſsem wolstande zu übergriffen ver-
leiten” (fgm. 6. 8, Theogn. 153). aber es ist klar, daſs diese mahnung
selbst vor der gesetzgebung möglich war: sie gilt den δήμου ἡγεμόνες,
die doch auch nach 593 das regiment führten.


5) Es liegt nahe, nach resten der elegie γινώσκω bei Theognis zu suchen.
aber ich habe nichts gefunden, denn müssiges spiel will ich nicht treiben. nach-
bildungen der elegie ἡμετέϱα δὲ πόλις fehlen nicht, Th. 758, wol auch 43, und zu
fgm. 7 stellt sich auſser dem verglichenen 799 auch 26 u. a.
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[308/0318] III. 4. Die solonischen gedichte. Aristoteles citirte elegie mit dieser identisch wäre. niemand kann ja leugnen, daſs es nur eines kleinen bindegliedes bedürfte, um von dem ersten distichon jener zu dem anfange der hier vorliegenden versreihe zu gelangen. aber die identification ist dennoch ganz ausgeschlossen. den vers, der in dem anfange jener stand τήν τε φιλαϱγυϱίαν τήν ϑ̕ ὑπεϱηφανίαν müſsten wir in dem falle hier finden. auſserdem wer- den dort die gewinnsüchtigen machthaber direct angeredet, vermut- lich also auch das arme volk; denn wir hören ausdrücklich, daſs Solon “beider sache wider beide führte”. von all dem ist hier keine rede, und wenn die anrede, der adressat also, in den beiden gedichten ver- schieden ist, so ist damit schon vollkommen bewiesen, daſs es zwei waren. es ist auch gar nicht wunderbar, daſs Solon vor 594 mehrere gedichte ähnlichen inhaltes verfaſst hat, ganz wie er es in den bitteren jahren gleich nach 593 getan hat, zu denen wir uns nun wenden. 5) Eines davon war eine elegie, aus der Aristoteles und andere die schönen verse δήμῳ μὲν γὰϱ ἔδωκα (5) anführen; Herodot und Aristo- teles haben derselben die erklärung Solons, auf zehn jahre nach Aegypten zu verreisen, entnommen; Plutarch das resignirte wort ἔϱγμασιν ἐν χαλε- ποῖς πᾶσιν ἁδεῖν χαλεπόν (7). das schlieſst sich alles gut zusam- men, und daſs dieses abschiedswort an das ganze volk der Athener gerichtet war, ist das natürliche. “ich habe den Athenern die gesetze gegeben; nach denen mögen sie leben und ein jeder das seine tun. ich bin es müde, von allen angegangen zu werden, und gehe, die herrlich- keiten und wunder Aegyptens zu schauen. zehn jahre bleibe ich fort: lebt wol und versucht wie ihr auskommt. es allen recht zu machen, habe ich weder angestrebt noch vermocht; mein prinzip ist nur gewesen, gegen die übergriffe von beiden seiten front zu machen.” es kann sein, daſs ratschläge folgten, und man ist versucht das bei Aristoteles unmittel- bar auf δήμῳ μὲν γὰϱ ἔδωκα folgende bruchstück hierher zu ziehen “das volk ist dann am fügsamsten, wenn man ihm weder die zügel schieſsen läſst noch es bedrückt. denn wer nicht gesetzten sinnes ist, läſst sich durch die übersättigung an groſsem wolstande zu übergriffen ver- leiten” (fgm. 6. 8, Theogn. 153). aber es ist klar, daſs diese mahnung selbst vor der gesetzgebung möglich war: sie gilt den δήμου ἡγεμόνες, die doch auch nach 593 das regiment führten. Eine elegie aus den jahren 593—91. 5) Es liegt nahe, nach resten der elegie γινώσκω bei Theognis zu suchen. aber ich habe nichts gefunden, denn müssiges spiel will ich nicht treiben. nach- bildungen der elegie ἡμετέϱα δὲ πόλις fehlen nicht, Th. 758, wol auch 43, und zu fgm. 7 stellt sich auſser dem verglichenen 799 auch 26 u. a.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/318>, abgerufen am 20.04.2024.