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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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III. 2. Der erste krieg gegen Aegina.
halb wir dem berichte der Aegineten in betreff des krieges mit Athen
mistrauen sollten.

Die analyse der ersten herodoteischen erzählung hat also als ge-
schichtlich glaubhaftes resultat ergeben, dass irgend wann die Athener
eine starke truppenzahl auf Aegina gelandet hatten, die aufgerieben ward,
weil hilfsvölker von Argos unbemerkt auf der insel eintrafen und die
Athener von ihrer flotte abschnitten. diese geschichte ist zunächst voll-
kommen zeitlos, denn Herodots anordnung ist dessen eigenes werk und
hat für uns nicht die mindeste verbindlichkeit.

Der zweite
hericht des
Herodotos.
Das andere stück der kriegsgeschichte schiebt Herodot zwischen
die gesandtschaften, durch die Dareios von den hellenischen staaten die
unterwerfung fordert, und die schlacht bei Marathon. wer seiner er-
zählung folgt, muss alles 491 bis sommer 490 unterbringen; es ist nicht
mehr nötig die unmöglichkeit zu beweisen. die hauptpunkte sind fol-
gende. Aegina huldigt dem Dareios, wird deshalb von Athen in Sparta
denunzirt, weigert dem könig Kleomenes die genugtuung (VI 48--50).
als dieser seinen collegen Demaratos durch Leotychides ersetzt hat, er-
zwingen beide die auslieferung vornehmer Aegineten und geben diese den
Athenern in verwahrung (VI 73). nach dem tode des Kleomenes fordern
die Spartaner die auslieferung dieser männer vergeblich von Athen (VI 85).
hier ist es erst, wo in wahrheit die fortsetzung seiner früheren erzäh-
lung von Herodot notirt wird (VI 87. 88); der aeginetischen geifeln,
der Perser und der Spartaner geschieht keine erwähnung mehr. die ge-
schichte wird völlig zeitlos, umfasst ersichtlich eine längere, wenn auch
unbestimmte frist, der übergang zu anderem wird mit Athenaioisi men
de polemos sunepto pros Aiginetas (VI 99) gemacht, ohne dass doch
ein abschluss da ist. wir brauchen also nur die beiden gesonderten stücke
des herodoteischen berichtes gesondert zu behandeln, so sind wir die ver-
wirrung der zeit los. dass Aegina Persien gehuldigt hat wie die andern
inseln, ist ganz glaublich; sie mochten den zunächst bedeutungslosen
act für politisch halten: 480 haben sie sich den ehrenpreis der tapfer-
keit verdient, und die anekdote ist wol authentisch, dass der sohn eines
der damals in Athen verhafteten männer, des wegen seines namens auch
von Simonides bespöttelten Krios4), bei Salamis dem Themistokles ein

4) Es ist wol ein Athener gewesen, der in Nemea den Krios im ringkampf
überwand und sich von Simonides das siegeslied machen liess, in dem darüber ge-
scherzt ward "wie der bock im haine des Zeus so weidlich geschoren ward". denn
das lied blieb in Athen volkstümlich (Ar. Wolk. 1356 mit schol.), und es bedurfte
eines besonderen hasses, um die abweichung von der etikette zu motiviren: wie Pindar

III. 2. Der erste krieg gegen Aegina.
halb wir dem berichte der Aegineten in betreff des krieges mit Athen
mistrauen sollten.

Die analyse der ersten herodoteischen erzählung hat also als ge-
schichtlich glaubhaftes resultat ergeben, daſs irgend wann die Athener
eine starke truppenzahl auf Aegina gelandet hatten, die aufgerieben ward,
weil hilfsvölker von Argos unbemerkt auf der insel eintrafen und die
Athener von ihrer flotte abschnitten. diese geschichte ist zunächst voll-
kommen zeitlos, denn Herodots anordnung ist dessen eigenes werk und
hat für uns nicht die mindeste verbindlichkeit.

Der zweite
hericht des
Herodotos.
Das andere stück der kriegsgeschichte schiebt Herodot zwischen
die gesandtschaften, durch die Dareios von den hellenischen staaten die
unterwerfung fordert, und die schlacht bei Marathon. wer seiner er-
zählung folgt, muſs alles 491 bis sommer 490 unterbringen; es ist nicht
mehr nötig die unmöglichkeit zu beweisen. die hauptpunkte sind fol-
gende. Aegina huldigt dem Dareios, wird deshalb von Athen in Sparta
denunzirt, weigert dem könig Kleomenes die genugtuung (VI 48—50).
als dieser seinen collegen Demaratos durch Leotychides ersetzt hat, er-
zwingen beide die auslieferung vornehmer Aegineten und geben diese den
Athenern in verwahrung (VI 73). nach dem tode des Kleomenes fordern
die Spartaner die auslieferung dieser männer vergeblich von Athen (VI 85).
hier ist es erst, wo in wahrheit die fortsetzung seiner früheren erzäh-
lung von Herodot notirt wird (VI 87. 88); der aeginetischen geifeln,
der Perser und der Spartaner geschieht keine erwähnung mehr. die ge-
schichte wird völlig zeitlos, umfaſst ersichtlich eine längere, wenn auch
unbestimmte frist, der übergang zu anderem wird mit Ἀϑηναίοισι μὲν
δὴ πόλεμος συνῆπτο πϱὸς Αἰγινήτας (VI 99) gemacht, ohne daſs doch
ein abschluſs da ist. wir brauchen also nur die beiden gesonderten stücke
des herodoteischen berichtes gesondert zu behandeln, so sind wir die ver-
wirrung der zeit los. daſs Aegina Persien gehuldigt hat wie die andern
inseln, ist ganz glaublich; sie mochten den zunächst bedeutungslosen
act für politisch halten: 480 haben sie sich den ehrenpreis der tapfer-
keit verdient, und die anekdote ist wol authentisch, daſs der sohn eines
der damals in Athen verhafteten männer, des wegen seines namens auch
von Simonides bespöttelten Krios4), bei Salamis dem Themistokles ein

4) Es ist wol ein Athener gewesen, der in Nemea den Krios im ringkampf
überwand und sich von Simonides das siegeslied machen lieſs, in dem darüber ge-
scherzt ward “wie der bock im haine des Zeus so weidlich geschoren ward”. denn
das lied blieb in Athen volkstümlich (Ar. Wolk. 1356 mit schol.), und es bedurfte
eines besonderen hasses, um die abweichung von der etikette zu motiviren: wie Pindar
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[284/0294] III. 2. Der erste krieg gegen Aegina. halb wir dem berichte der Aegineten in betreff des krieges mit Athen mistrauen sollten. Die analyse der ersten herodoteischen erzählung hat also als ge- schichtlich glaubhaftes resultat ergeben, daſs irgend wann die Athener eine starke truppenzahl auf Aegina gelandet hatten, die aufgerieben ward, weil hilfsvölker von Argos unbemerkt auf der insel eintrafen und die Athener von ihrer flotte abschnitten. diese geschichte ist zunächst voll- kommen zeitlos, denn Herodots anordnung ist dessen eigenes werk und hat für uns nicht die mindeste verbindlichkeit. Das andere stück der kriegsgeschichte schiebt Herodot zwischen die gesandtschaften, durch die Dareios von den hellenischen staaten die unterwerfung fordert, und die schlacht bei Marathon. wer seiner er- zählung folgt, muſs alles 491 bis sommer 490 unterbringen; es ist nicht mehr nötig die unmöglichkeit zu beweisen. die hauptpunkte sind fol- gende. Aegina huldigt dem Dareios, wird deshalb von Athen in Sparta denunzirt, weigert dem könig Kleomenes die genugtuung (VI 48—50). als dieser seinen collegen Demaratos durch Leotychides ersetzt hat, er- zwingen beide die auslieferung vornehmer Aegineten und geben diese den Athenern in verwahrung (VI 73). nach dem tode des Kleomenes fordern die Spartaner die auslieferung dieser männer vergeblich von Athen (VI 85). hier ist es erst, wo in wahrheit die fortsetzung seiner früheren erzäh- lung von Herodot notirt wird (VI 87. 88); der aeginetischen geifeln, der Perser und der Spartaner geschieht keine erwähnung mehr. die ge- schichte wird völlig zeitlos, umfaſst ersichtlich eine längere, wenn auch unbestimmte frist, der übergang zu anderem wird mit Ἀϑηναίοισι μὲν δὴ πόλεμος συνῆπτο πϱὸς Αἰγινήτας (VI 99) gemacht, ohne daſs doch ein abschluſs da ist. wir brauchen also nur die beiden gesonderten stücke des herodoteischen berichtes gesondert zu behandeln, so sind wir die ver- wirrung der zeit los. daſs Aegina Persien gehuldigt hat wie die andern inseln, ist ganz glaublich; sie mochten den zunächst bedeutungslosen act für politisch halten: 480 haben sie sich den ehrenpreis der tapfer- keit verdient, und die anekdote ist wol authentisch, daſs der sohn eines der damals in Athen verhafteten männer, des wegen seines namens auch von Simonides bespöttelten Krios 4), bei Salamis dem Themistokles ein Der zweite hericht des Herodotos. 4) Es ist wol ein Athener gewesen, der in Nemea den Krios im ringkampf überwand und sich von Simonides das siegeslied machen lieſs, in dem darüber ge- scherzt ward “wie der bock im haine des Zeus so weidlich geschoren ward”. denn das lied blieb in Athen volkstümlich (Ar. Wolk. 1356 mit schol.), und es bedurfte eines besonderen hasses, um die abweichung von der etikette zu motiviren: wie Pindar

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/294>, abgerufen am 19.04.2024.