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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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Die bruderschaft im verhältnis zum staate.
allein schon damals gab es viele leute, die sich als bürger gerirt hatten,
ohne den phratrien anzugehören. das war möglich, weil schon damals
und schon zu Drakons zeit die staatliche gliederung nicht mehr genti-
licisch war: die naukrarien waren die localen verwaltungsbehörden, und
sie waren im rate vertreten. das vermögen, nicht der adel, stufte die staat-
lichen rechte und pflichten ab; rechtlich dagegen hatte jeder Athener
noch damals eine phratrie: es waren nur die plebejer als orgeonen den
geschlechtern beigeordnet. das verhältnis war also dem späteren ganz
analog; nur hatten die geschlechter eine factisch viel höhere macht, und
die orgia waren den menschen ungleich wichtiger als 100 oder 200 jahre
nachher. Kleisthenes aber konnte gar nicht anders als seine gemeinde-
ordnung irgendwie mit den phratrien ausgleichen, gerade weil er sie
liess wie sie waren. er musste das eine feststellen, dass die neubürger,
deren er viele aufnahm, in ihnen zutritt fanden, nicht durch privileg
im einzelnen falle, sondern durch ein gesetz, das von selbst die gemeinde
mit der phratrie in ein verhältnis setzte, mit anderen worten die und
die gemeinden der und der phratrie zuwies, so weit ihre angehörigen den
adel lediglich in folge des gemeindebürgerrechts erhielten. das gibt den
phratrien in gewissem sinne locale bedeutung, die durch die über das
ganze land verstreuten, jetzt den verschiedensten gemeinden zugeteilten
alten phrateren (genneten und orgeonen älterer zugehörigkeit) nicht
aufgehoben wird.

Tief in das siebente jahrhundert hinein müssen wir gehn, vielleicht
noch höher hinauf, um die zeit zu finden, wo der geschlechterstaat wirk-
lich noch lebendig war, die ämter an den adel gebunden waren, und
lediglich eine anzahl geschlechter in einer phratrie zusammengefasst
waren. damals stand die plebs völlig ausserhalb, und der adel stritt dem
plebejer mindestens das geschlecht, vielleicht auch den vater ab. dürfen
wir nun annehmen, dass damals wirklich das blut oder doch die geglaubte
verwandtschaft eine anzahl von geschlechtern als Demotioniden verband,
so dass ihre ahnherrn kinder Demotions gewesen wären? mit andern
worten, ist die phratrie etwas gewachsenes oder gemachtes? schon die
zwölfzahl gibt die antwort, die schematisch aus der vierzahl der phylen
entwickelt ist. die phratrien sind mit den vier phylen zugleich gemacht.
von jenen lehren es die blutlosen eponyme, auf die wirklich vornehme
adelsgeschlechter sich zurückzuführen verschmähen. auch die eponyme
der phratrien sind blutlose gestalten: ja die namen der phratrien Duales
Philies sind zwar eines schlages mit Argades Aigikores, aber eben
wie jene keine gentilicia. brüder die sich nach Dionusos Dualos nennen

Die bruderschaft im verhältnis zum staate.
allein schon damals gab es viele leute, die sich als bürger gerirt hatten,
ohne den phratrien anzugehören. das war möglich, weil schon damals
und schon zu Drakons zeit die staatliche gliederung nicht mehr genti-
licisch war: die naukrarien waren die localen verwaltungsbehörden, und
sie waren im rate vertreten. das vermögen, nicht der adel, stufte die staat-
lichen rechte und pflichten ab; rechtlich dagegen hatte jeder Athener
noch damals eine phratrie: es waren nur die plebejer als orgeonen den
geschlechtern beigeordnet. das verhältnis war also dem späteren ganz
analog; nur hatten die geschlechter eine factisch viel höhere macht, und
die ὄϱγια waren den menschen ungleich wichtiger als 100 oder 200 jahre
nachher. Kleisthenes aber konnte gar nicht anders als seine gemeinde-
ordnung irgendwie mit den phratrien ausgleichen, gerade weil er sie
lieſs wie sie waren. er muſste das eine feststellen, daſs die neubürger,
deren er viele aufnahm, in ihnen zutritt fanden, nicht durch privileg
im einzelnen falle, sondern durch ein gesetz, das von selbst die gemeinde
mit der phratrie in ein verhältnis setzte, mit anderen worten die und
die gemeinden der und der phratrie zuwies, so weit ihre angehörigen den
adel lediglich in folge des gemeindebürgerrechts erhielten. das gibt den
phratrien in gewissem sinne locale bedeutung, die durch die über das
ganze land verstreuten, jetzt den verschiedensten gemeinden zugeteilten
alten phrateren (genneten und orgeonen älterer zugehörigkeit) nicht
aufgehoben wird.

Tief in das siebente jahrhundert hinein müssen wir gehn, vielleicht
noch höher hinauf, um die zeit zu finden, wo der geschlechterstaat wirk-
lich noch lebendig war, die ämter an den adel gebunden waren, und
lediglich eine anzahl geschlechter in einer phratrie zusammengefaſst
waren. damals stand die plebs völlig auſserhalb, und der adel stritt dem
plebejer mindestens das geschlecht, vielleicht auch den vater ab. dürfen
wir nun annehmen, daſs damals wirklich das blut oder doch die geglaubte
verwandtschaft eine anzahl von geschlechtern als Demotioniden verband,
so daſs ihre ahnherrn kinder Demotions gewesen wären? mit andern
worten, ist die phratrie etwas gewachsenes oder gemachtes? schon die
zwölfzahl gibt die antwort, die schematisch aus der vierzahl der phylen
entwickelt ist. die phratrien sind mit den vier phylen zugleich gemacht.
von jenen lehren es die blutlosen eponyme, auf die wirklich vornehme
adelsgeschlechter sich zurückzuführen verschmähen. auch die eponyme
der phratrien sind blutlose gestalten: ja die namen der phratrien Δυαλῆς
Φιλιῆς sind zwar eines schlages mit Ἀϱγαδῆς Αἰγικοϱῆς, aber eben
wie jene keine gentilicia. brüder die sich nach Διόνυσος Δύαλος nennen

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[277/0287] Die bruderschaft im verhältnis zum staate. allein schon damals gab es viele leute, die sich als bürger gerirt hatten, ohne den phratrien anzugehören. das war möglich, weil schon damals und schon zu Drakons zeit die staatliche gliederung nicht mehr genti- licisch war: die naukrarien waren die localen verwaltungsbehörden, und sie waren im rate vertreten. das vermögen, nicht der adel, stufte die staat- lichen rechte und pflichten ab; rechtlich dagegen hatte jeder Athener noch damals eine phratrie: es waren nur die plebejer als orgeonen den geschlechtern beigeordnet. das verhältnis war also dem späteren ganz analog; nur hatten die geschlechter eine factisch viel höhere macht, und die ὄϱγια waren den menschen ungleich wichtiger als 100 oder 200 jahre nachher. Kleisthenes aber konnte gar nicht anders als seine gemeinde- ordnung irgendwie mit den phratrien ausgleichen, gerade weil er sie lieſs wie sie waren. er muſste das eine feststellen, daſs die neubürger, deren er viele aufnahm, in ihnen zutritt fanden, nicht durch privileg im einzelnen falle, sondern durch ein gesetz, das von selbst die gemeinde mit der phratrie in ein verhältnis setzte, mit anderen worten die und die gemeinden der und der phratrie zuwies, so weit ihre angehörigen den adel lediglich in folge des gemeindebürgerrechts erhielten. das gibt den phratrien in gewissem sinne locale bedeutung, die durch die über das ganze land verstreuten, jetzt den verschiedensten gemeinden zugeteilten alten phrateren (genneten und orgeonen älterer zugehörigkeit) nicht aufgehoben wird. Tief in das siebente jahrhundert hinein müssen wir gehn, vielleicht noch höher hinauf, um die zeit zu finden, wo der geschlechterstaat wirk- lich noch lebendig war, die ämter an den adel gebunden waren, und lediglich eine anzahl geschlechter in einer phratrie zusammengefaſst waren. damals stand die plebs völlig auſserhalb, und der adel stritt dem plebejer mindestens das geschlecht, vielleicht auch den vater ab. dürfen wir nun annehmen, daſs damals wirklich das blut oder doch die geglaubte verwandtschaft eine anzahl von geschlechtern als Demotioniden verband, so daſs ihre ahnherrn kinder Demotions gewesen wären? mit andern worten, ist die phratrie etwas gewachsenes oder gemachtes? schon die zwölfzahl gibt die antwort, die schematisch aus der vierzahl der phylen entwickelt ist. die phratrien sind mit den vier phylen zugleich gemacht. von jenen lehren es die blutlosen eponyme, auf die wirklich vornehme adelsgeschlechter sich zurückzuführen verschmähen. auch die eponyme der phratrien sind blutlose gestalten: ja die namen der phratrien Δυαλῆς Φιλιῆς sind zwar eines schlages mit Ἀϱγαδῆς Αἰγικοϱῆς, aber eben wie jene keine gentilicia. brüder die sich nach Διόνυσος Δύαλος nennen

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/287>, abgerufen am 25.04.2024.