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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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II. 12. Logos und euthuna.
übergeht, statt vor den feind vor die heliasten zöge. darum hat man
die strategen von der gewöhnlichen verpflichtung, logos und euthuna
zu praestiren, ein für alle mal befreit. mit dem rate stehen sie so wie
so nicht in verbindung; sie erhalten ihre zahlungen direct aus den
cassen, verausgaben sie ausser landes, unter verhältnissen, die jede
specificirte rechnungsführung ausschliessen. und für die militärische
disciplin ist das alte Athen auch nicht unempfindlich gewesen; zumal
da phyle und regiment zwei concentrische kreise sind, wäre es anstössig
gewesen, dass drei ratsmitglieder einen ausschuss bildeten und über die
beschwerden jedes trainknechts gegen den general ein vorurteil abgäben.
also weder logisten noch euthynen für die strategen. um so weniger
dürfen sie tyrannen, anupeuthunoi, werden. daher die euthuna vor den
thesmotheten, aber auch diese erst, wenn der rechenschaftspflichtige
nicht mehr im amte ist. das gibt verzögerungen; aber die wichtigen
cassenbeamten, tamiai tes theou und ton allon theon geben ja auch
ihre rechnungen nur in vierjährigen perioden ab, obwol die collegien
jährlich ohne iteration wechseln. es ist auch unvermeidlich, dass der
logos zurücktritt: die thesmotheten haben keine sunegoroi. und leicht
vermutet man, dass diese ordnung ihre wurzeln in der zeit hat, wo
die strategen noch nicht die politischen executivbeamten waren, dafür
aber die logisten noch nicht bestanden.57) damals mögen die archonten
wirklich die controlle über die strategen gehabt haben, deren rechen-
schaft so bedeutungslos war wie später die der taxiarchen.58) aber diese
zeit liegt für uns im nebel. um so deutlicher ist der praktische erfolg:
die euthyna der strategen ist ohne bedeutung, wenn die leute keine
führenden politiker sind; sind sie es aber, so wird sie jedesmal zu einem
grossen process. sie ist nicht die ursache der politischen systemwechsel,
aber sie bietet die gelegenheit zum austrage von politischen kämpfen,
ähnlich wie der ostrakismos. das was in parlamentarisch regierten ländern
jetzt die vertrauensfrage ist, ist die epicheirotonie noch mehr als die wahlen.
aber in der entscheidung des souveränen gerichtes liegt eine möglichkeit,
sowol die übereilungen der abstimmung des plenums gut zu machen,
wie den gestürzten politiker durch atimie auf immer zu beseitigen.

Das vierte jahrhundert ändert rechtlich nichts, aber die demagogen,

57) Wir erreichen zwar die zeit, wo die strategen nicht den oberbefehl haben,
aber nicht die, wo die aushebung ihnen fehlt.
58) Von den hipparchen möchte man annehmen, dass sie in allem den stra-
tegen gleichgestellt waren, auch in der rechenschaftsablegung. weil sie wenig für
das ganze bedeuteten, wissen wir darüber nichts.

II. 12. Λόγος und εὔϑυνα.
übergeht, statt vor den feind vor die heliasten zöge. darum hat man
die strategen von der gewöhnlichen verpflichtung, λόγος und εὔϑυνα
zu praestiren, ein für alle mal befreit. mit dem rate stehen sie so wie
so nicht in verbindung; sie erhalten ihre zahlungen direct aus den
cassen, verausgaben sie auſser landes, unter verhältnissen, die jede
specificirte rechnungsführung ausschlieſsen. und für die militärische
disciplin ist das alte Athen auch nicht unempfindlich gewesen; zumal
da phyle und regiment zwei concentrische kreise sind, wäre es anstöſsig
gewesen, daſs drei ratsmitglieder einen ausschuſs bildeten und über die
beschwerden jedes trainknechts gegen den general ein vorurteil abgäben.
also weder logisten noch euthynen für die strategen. um so weniger
dürfen sie tyrannen, ἀνυπεύϑυνοι, werden. daher die εὔϑυνα vor den
thesmotheten, aber auch diese erst, wenn der rechenschaftspflichtige
nicht mehr im amte ist. das gibt verzögerungen; aber die wichtigen
cassenbeamten, ταμίαι τῆς ϑεοῦ und τῶν ἄλλων ϑεῶν geben ja auch
ihre rechnungen nur in vierjährigen perioden ab, obwol die collegien
jährlich ohne iteration wechseln. es ist auch unvermeidlich, daſs der
λόγος zurücktritt: die thesmotheten haben keine συνήγοϱοι. und leicht
vermutet man, daſs diese ordnung ihre wurzeln in der zeit hat, wo
die strategen noch nicht die politischen executivbeamten waren, dafür
aber die logisten noch nicht bestanden.57) damals mögen die archonten
wirklich die controlle über die strategen gehabt haben, deren rechen-
schaft so bedeutungslos war wie später die der taxiarchen.58) aber diese
zeit liegt für uns im nebel. um so deutlicher ist der praktische erfolg:
die euthyna der strategen ist ohne bedeutung, wenn die leute keine
führenden politiker sind; sind sie es aber, so wird sie jedesmal zu einem
groſsen proceſs. sie ist nicht die ursache der politischen systemwechsel,
aber sie bietet die gelegenheit zum austrage von politischen kämpfen,
ähnlich wie der ostrakismos. das was in parlamentarisch regierten ländern
jetzt die vertrauensfrage ist, ist die epicheirotonie noch mehr als die wahlen.
aber in der entscheidung des souveränen gerichtes liegt eine möglichkeit,
sowol die übereilungen der abstimmung des plenums gut zu machen,
wie den gestürzten politiker durch atimie auf immer zu beseitigen.

Das vierte jahrhundert ändert rechtlich nichts, aber die demagogen,

57) Wir erreichen zwar die zeit, wo die strategen nicht den oberbefehl haben,
aber nicht die, wo die aushebung ihnen fehlt.
58) Von den hipparchen möchte man annehmen, daſs sie in allem den stra-
tegen gleichgestellt waren, auch in der rechenschaftsablegung. weil sie wenig für
das ganze bedeuteten, wissen wir darüber nichts.
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[250/0260] II. 12. Λόγος und εὔϑυνα. übergeht, statt vor den feind vor die heliasten zöge. darum hat man die strategen von der gewöhnlichen verpflichtung, λόγος und εὔϑυνα zu praestiren, ein für alle mal befreit. mit dem rate stehen sie so wie so nicht in verbindung; sie erhalten ihre zahlungen direct aus den cassen, verausgaben sie auſser landes, unter verhältnissen, die jede specificirte rechnungsführung ausschlieſsen. und für die militärische disciplin ist das alte Athen auch nicht unempfindlich gewesen; zumal da phyle und regiment zwei concentrische kreise sind, wäre es anstöſsig gewesen, daſs drei ratsmitglieder einen ausschuſs bildeten und über die beschwerden jedes trainknechts gegen den general ein vorurteil abgäben. also weder logisten noch euthynen für die strategen. um so weniger dürfen sie tyrannen, ἀνυπεύϑυνοι, werden. daher die εὔϑυνα vor den thesmotheten, aber auch diese erst, wenn der rechenschaftspflichtige nicht mehr im amte ist. das gibt verzögerungen; aber die wichtigen cassenbeamten, ταμίαι τῆς ϑεοῦ und τῶν ἄλλων ϑεῶν geben ja auch ihre rechnungen nur in vierjährigen perioden ab, obwol die collegien jährlich ohne iteration wechseln. es ist auch unvermeidlich, daſs der λόγος zurücktritt: die thesmotheten haben keine συνήγοϱοι. und leicht vermutet man, daſs diese ordnung ihre wurzeln in der zeit hat, wo die strategen noch nicht die politischen executivbeamten waren, dafür aber die logisten noch nicht bestanden. 57) damals mögen die archonten wirklich die controlle über die strategen gehabt haben, deren rechen- schaft so bedeutungslos war wie später die der taxiarchen. 58) aber diese zeit liegt für uns im nebel. um so deutlicher ist der praktische erfolg: die euthyna der strategen ist ohne bedeutung, wenn die leute keine führenden politiker sind; sind sie es aber, so wird sie jedesmal zu einem groſsen proceſs. sie ist nicht die ursache der politischen systemwechsel, aber sie bietet die gelegenheit zum austrage von politischen kämpfen, ähnlich wie der ostrakismos. das was in parlamentarisch regierten ländern jetzt die vertrauensfrage ist, ist die epicheirotonie noch mehr als die wahlen. aber in der entscheidung des souveränen gerichtes liegt eine möglichkeit, sowol die übereilungen der abstimmung des plenums gut zu machen, wie den gestürzten politiker durch atimie auf immer zu beseitigen. Das vierte jahrhundert ändert rechtlich nichts, aber die demagogen, 57) Wir erreichen zwar die zeit, wo die strategen nicht den oberbefehl haben, aber nicht die, wo die aushebung ihnen fehlt. 58) Von den hipparchen möchte man annehmen, daſs sie in allem den stra- tegen gleichgestellt waren, auch in der rechenschaftsablegung. weil sie wenig für das ganze bedeuteten, wissen wir darüber nichts.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/260>, abgerufen am 29.03.2024.