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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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20000 kostgänger des Reiches. stärke der athenischen bürgerschaft.
die garnisonen Athens in den städten werden ihren sold ganz gewiss
nicht aus Athen nachgeschickt noch überhaupt aus anderen mitteln
erhalten haben als von den städten selbst, die sie bewachten.11) und
das geld der bündner, das in die hände der von Athen ausfahrenden
beamten geht, oder das die rechtssuchenden in Athen etwa an die
herolde zahlen ([Xen.] Pol. Ath. 1, 18), macht nicht den umweg durch
die attische Reichscasse. alle 'ehrenämter' konnten in dieser liste nur
stehn, wenn sie 'nebeneinnahmen brachten.'

Wir teilen die parteitendenz des Theramenes nicht, seine angabeStärke der
athenischen
bürger-
schaft.

dient uns vielmehr dazu, die grösse der leistungen der Athener und die
stärke ihrer bürgerschaft zu schätzen. 1600 schützen, 1200 reiter12),
6000 hopliten und flottenmannschaften, 500 ratsherren, 1000 weitere
beamte sind jahr für jahr zur regelmässigen verwaltung herangezogen:
das macht 10300, sagen wir 10000. richter sind 6000 ausgelost, die
auch die meisten werkeltage im öffentlichen dienste stehn. wie sollen
wir das verhältnis dieser 16000 zu der gesammtbürgerschaft ansetzen?
es ist noch nicht lange her, dass sie im ganzen ziemlich eben so hoch ver-
anschlagt worden ist, und wer hoch greift, geht auch jetzt noch nicht leicht
über 30--35000 köpfe. ich halte es für ganz illusorisch mit statistischen
wahrscheinlichkeitsrechnungen zu operiren. die zahlen, die wir vor uns
haben, gelten der körperlich und geistig rüstigen männlichen bevölkerung;
leute über 60 jahre sind von vielen kategorien ausgeschlossen, von
andern die jahrgänge 20--30. verhältniszahlen für die greise, für die
erwerbsunfähige bevölkerung, für die kinder, endlich für die weiber
überhaupt sind mit keinen wissenschaftlichen künsten zu erzielen. aber
das sollte sich von selbst verstehen, dass es Athener gab, die das land
bestellten, die töpfe und röcke und panzer machten, das brot buken
und das öl pressten, handel trieben und ins ausland fuhren, den Par-
thenon bauten, die Poikile malten, bei Protagoras hörten und für Sopho-
kles tanzten. soldat musste jeder werden, aber als mann nur in kriegs-
zeiten; zu allen andern stellen kam nicht leicht jemand, der es nicht
wollte, und die ruhigen leute waren noch nicht ausgestorben. es ist

11) Nachtragen kann ich hier einen schönen beleg: hinter dem rescript Ale-
xanders an Chios steht ein nachtrag, offenbar eine mitteilung des königlichen be-
vollmächtigten. mekhri an diallagosi Khioi, phulaken einai par autois par Ale-
xandrou tou basileos, ose an ikane ei, trephein de taoten Khious. (Athena V 10).
12) Von diesen beiden classen können angehörige auch unter beamten und
richtern sich befinden, weil sie stehende truppen bedeuten, die nicht ständig im
dienste sind.

20000 kostgänger des Reiches. stärke der athenischen bürgerschaft.
die garnisonen Athens in den städten werden ihren sold ganz gewiſs
nicht aus Athen nachgeschickt noch überhaupt aus anderen mitteln
erhalten haben als von den städten selbst, die sie bewachten.11) und
das geld der bündner, das in die hände der von Athen ausfahrenden
beamten geht, oder das die rechtssuchenden in Athen etwa an die
herolde zahlen ([Xen.] Πολ. Αϑ. 1, 18), macht nicht den umweg durch
die attische Reichscasse. alle ‘ehrenämter’ konnten in dieser liste nur
stehn, wenn sie ‘nebeneinnahmen brachten.’

Wir teilen die parteitendenz des Theramenes nicht, seine angabeStärke der
athenischen
bürger-
schaft.

dient uns vielmehr dazu, die gröſse der leistungen der Athener und die
stärke ihrer bürgerschaft zu schätzen. 1600 schützen, 1200 reiter12),
6000 hopliten und flottenmannschaften, 500 ratsherren, 1000 weitere
beamte sind jahr für jahr zur regelmäſsigen verwaltung herangezogen:
das macht 10300, sagen wir 10000. richter sind 6000 ausgelost, die
auch die meisten werkeltage im öffentlichen dienste stehn. wie sollen
wir das verhältnis dieser 16000 zu der gesammtbürgerschaft ansetzen?
es ist noch nicht lange her, daſs sie im ganzen ziemlich eben so hoch ver-
anschlagt worden ist, und wer hoch greift, geht auch jetzt noch nicht leicht
über 30—35000 köpfe. ich halte es für ganz illusorisch mit statistischen
wahrscheinlichkeitsrechnungen zu operiren. die zahlen, die wir vor uns
haben, gelten der körperlich und geistig rüstigen männlichen bevölkerung;
leute über 60 jahre sind von vielen kategorien ausgeschlossen, von
andern die jahrgänge 20—30. verhältniszahlen für die greise, für die
erwerbsunfähige bevölkerung, für die kinder, endlich für die weiber
überhaupt sind mit keinen wissenschaftlichen künsten zu erzielen. aber
das sollte sich von selbst verstehen, daſs es Athener gab, die das land
bestellten, die töpfe und röcke und panzer machten, das brot buken
und das öl preſsten, handel trieben und ins ausland fuhren, den Par-
thenon bauten, die Poikile malten, bei Protagoras hörten und für Sopho-
kles tanzten. soldat muſste jeder werden, aber als mann nur in kriegs-
zeiten; zu allen andern stellen kam nicht leicht jemand, der es nicht
wollte, und die ruhigen leute waren noch nicht ausgestorben. es ist

11) Nachtragen kann ich hier einen schönen beleg: hinter dem rescript Ale-
xanders an Chios steht ein nachtrag, offenbar eine mitteilung des königlichen be-
vollmächtigten. μέχϱι ἂν διαλλαγῶσι Χῖοι, φυλακὴν εἶναι παϱ̕ αὐτοῖς παϱ̕ Ἀλε-
ξάνδϱου τοῦ βασιλέως, ὅση ἂν ἱκανὴ ἦι, τϱέφειν δὲ ταότην Χίους. (Ἀϑηνᾶ V 10).
12) Von diesen beiden classen können angehörige auch unter beamten und
richtern sich befinden, weil sie stehende truppen bedeuten, die nicht ständig im
dienste sind.
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[207/0217] 20000 kostgänger des Reiches. stärke der athenischen bürgerschaft. die garnisonen Athens in den städten werden ihren sold ganz gewiſs nicht aus Athen nachgeschickt noch überhaupt aus anderen mitteln erhalten haben als von den städten selbst, die sie bewachten. 11) und das geld der bündner, das in die hände der von Athen ausfahrenden beamten geht, oder das die rechtssuchenden in Athen etwa an die herolde zahlen ([Xen.] Πολ. Αϑ. 1, 18), macht nicht den umweg durch die attische Reichscasse. alle ‘ehrenämter’ konnten in dieser liste nur stehn, wenn sie ‘nebeneinnahmen brachten.’ Wir teilen die parteitendenz des Theramenes nicht, seine angabe dient uns vielmehr dazu, die gröſse der leistungen der Athener und die stärke ihrer bürgerschaft zu schätzen. 1600 schützen, 1200 reiter 12), 6000 hopliten und flottenmannschaften, 500 ratsherren, 1000 weitere beamte sind jahr für jahr zur regelmäſsigen verwaltung herangezogen: das macht 10300, sagen wir 10000. richter sind 6000 ausgelost, die auch die meisten werkeltage im öffentlichen dienste stehn. wie sollen wir das verhältnis dieser 16000 zu der gesammtbürgerschaft ansetzen? es ist noch nicht lange her, daſs sie im ganzen ziemlich eben so hoch ver- anschlagt worden ist, und wer hoch greift, geht auch jetzt noch nicht leicht über 30—35000 köpfe. ich halte es für ganz illusorisch mit statistischen wahrscheinlichkeitsrechnungen zu operiren. die zahlen, die wir vor uns haben, gelten der körperlich und geistig rüstigen männlichen bevölkerung; leute über 60 jahre sind von vielen kategorien ausgeschlossen, von andern die jahrgänge 20—30. verhältniszahlen für die greise, für die erwerbsunfähige bevölkerung, für die kinder, endlich für die weiber überhaupt sind mit keinen wissenschaftlichen künsten zu erzielen. aber das sollte sich von selbst verstehen, daſs es Athener gab, die das land bestellten, die töpfe und röcke und panzer machten, das brot buken und das öl preſsten, handel trieben und ins ausland fuhren, den Par- thenon bauten, die Poikile malten, bei Protagoras hörten und für Sopho- kles tanzten. soldat muſste jeder werden, aber als mann nur in kriegs- zeiten; zu allen andern stellen kam nicht leicht jemand, der es nicht wollte, und die ruhigen leute waren noch nicht ausgestorben. es ist Stärke der athenischen bürger- schaft. 11) Nachtragen kann ich hier einen schönen beleg: hinter dem rescript Ale- xanders an Chios steht ein nachtrag, offenbar eine mitteilung des königlichen be- vollmächtigten. μέχϱι ἂν διαλλαγῶσι Χῖοι, φυλακὴν εἶναι παϱ̕ αὐτοῖς παϱ̕ Ἀλε- ξάνδϱου τοῦ βασιλέως, ὅση ἂν ἱκανὴ ἦι, τϱέφειν δὲ ταότην Χίους. (Ἀϑηνᾶ V 10). 12) Von diesen beiden classen können angehörige auch unter beamten und richtern sich befinden, weil sie stehende truppen bedeuten, die nicht ständig im dienste sind.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/217>, abgerufen am 20.04.2024.