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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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II. 8. Der Areopag vor Ephialtes.
zu dem eigentlichen träger der inneren politik. es liegt so viel darin,
dass ich voraussehe, die modernen werden sich dagegen sträuben, es
zu glauben; aber die analogie zwingt. der rat der 500 hat ja diese
selbe controlle über alle beamte rechtlich besessen, und auch bei ihm
konnten beschwerden eingereicht werden (45, 2). einen beleg liefert
Lysias wider die kornhändler. natürlich war später auch von der ent-
scheidung des rates appellation an das gericht möglich, ganz wie bei der
dokimasie der archonten. aber dass von dem urteil von 500 an das von
501, von ratsherrn an richter, d. h. leute die genau eben so qualificirt
und genau eben so gewählt sind, appellirt wird, ist eigentlich in sich
verkehrt, ist prinzipienreiterei, und kann nur als eine ausartung an-
gesehen werden. wenn nun der rat der 500 in der demokratie die
nomophylakie besitzt, der Areopag sie einst besessen hat, so kann man
gar nicht zweifeln, dass eben diese es gewesen ist, die Ephialtes ihm
genommen hat.

nomo-
thesia.
Man hat bei dieser gelegenheit an eine veränderung in der legis-
lative gedacht, hat die graphe paranomon herangezogen und noch
anderes vermutet, hatte allerdings auch die auf keinen geringeren als
Philochoros gestellte überlieferung, dass zum ersatze für den Areopag
eine besondere behörde von nomophulakes eingesetzt wäre.6) dies letztere
ist durch das schweigen des Aristoteles, so wenig das im ganzen be-
deutet, und durch die in einem falle (fgm. 6) nunmehr erwiesene unzu-
verlässigkeit des lexicons, das uns die angeblich philochoreische notiz

6) Lex. Cant. nomophulakes. der fehler beschränkt sich darauf, dass die ein-
setzung mit der reform des Ephialtes verbunden wird; sein anlass ist mir auch noch
jetzt rätselhaft, aber ich kann ihn nicht mehr leugnen. die schilderung des amtes
stammt in diesem lexicon aus derselben quelle wie bei Photius oi nomophulakes tines
esan, und dieses lemma erweist als quelle das onomastikon, dessen wertvollste aus-
züge im fünften Bekkerschen lexicon stehn. hinzu tritt Poll. 8, 94, der die schilde-
rung im praesens gibt, während sie jenes onomastikon im praeteritum gab. wie Philo-
choros geredet hat, ist also nicht sicher. die sieben gesetzeswächter sitzen neben
den proedren in den versammlungen: so etwas ist zur zeit der demokratie unerhört.
sie sind durch ausgezeichnete tracht und religiöse functionen möglichst würdig ge-
macht: das passt für die zeit der restauration. sie sind bestimmt, in den Areopag
zu treten: der vermehrte sich also jährlich um 16 statt um 9 personen, musste
binnen kurzem durch diesen nachschub eine andere majorität erhalten, so dass ich
die massregel gut mit einem pairsschub in modernen ersten kammern verglichen
habe, und sollte offenbar frisches blut und neue würde erhalten. alles passt auf
das beste für die verwaltung des Phalereers. da wir auf den steinen durchaus nichts
von den gesetzeswächtern finden, sind sie wol 307 der demokratischen reaction so
gut wie die gunaikonomoi u. a. erlegen.

II. 8. Der Areopag vor Ephialtes.
zu dem eigentlichen träger der inneren politik. es liegt so viel darin,
daſs ich voraussehe, die modernen werden sich dagegen sträuben, es
zu glauben; aber die analogie zwingt. der rat der 500 hat ja diese
selbe controlle über alle beamte rechtlich besessen, und auch bei ihm
konnten beschwerden eingereicht werden (45, 2). einen beleg liefert
Lysias wider die kornhändler. natürlich war später auch von der ent-
scheidung des rates appellation an das gericht möglich, ganz wie bei der
dokimasie der archonten. aber daſs von dem urteil von 500 an das von
501, von ratsherrn an richter, d. h. leute die genau eben so qualificirt
und genau eben so gewählt sind, appellirt wird, ist eigentlich in sich
verkehrt, ist prinzipienreiterei, und kann nur als eine ausartung an-
gesehen werden. wenn nun der rat der 500 in der demokratie die
nomophylakie besitzt, der Areopag sie einst besessen hat, so kann man
gar nicht zweifeln, daſs eben diese es gewesen ist, die Ephialtes ihm
genommen hat.

νομο-
ϑεσία.
Man hat bei dieser gelegenheit an eine veränderung in der legis-
lative gedacht, hat die γϱαφὴ παϱανόμων herangezogen und noch
anderes vermutet, hatte allerdings auch die auf keinen geringeren als
Philochoros gestellte überlieferung, daſs zum ersatze für den Areopag
eine besondere behörde von νομοφύλακες eingesetzt wäre.6) dies letztere
ist durch das schweigen des Aristoteles, so wenig das im ganzen be-
deutet, und durch die in einem falle (fgm. 6) nunmehr erwiesene unzu-
verlässigkeit des lexicons, das uns die angeblich philochoreische notiz

6) Lex. Cant. νομοφύλακες. der fehler beschränkt sich darauf, daſs die ein-
setzung mit der reform des Ephialtes verbunden wird; sein anlaſs ist mir auch noch
jetzt rätselhaft, aber ich kann ihn nicht mehr leugnen. die schilderung des amtes
stammt in diesem lexicon aus derselben quelle wie bei Photius οἱ νομοφύλακες τίνες
ἦσαν, und dieses lemma erweist als quelle das onomastikon, dessen wertvollste aus-
züge im fünften Bekkerschen lexicon stehn. hinzu tritt Poll. 8, 94, der die schilde-
rung im praesens gibt, während sie jenes onomastikon im praeteritum gab. wie Philo-
choros geredet hat, ist also nicht sicher. die sieben gesetzeswächter sitzen neben
den proedren in den versammlungen: so etwas ist zur zeit der demokratie unerhört.
sie sind durch ausgezeichnete tracht und religiöse functionen möglichst würdig ge-
macht: das paſst für die zeit der restauration. sie sind bestimmt, in den Areopag
zu treten: der vermehrte sich also jährlich um 16 statt um 9 personen, muſste
binnen kurzem durch diesen nachschub eine andere majorität erhalten, so daſs ich
die maſsregel gut mit einem pairsschub in modernen ersten kammern verglichen
habe, und sollte offenbar frisches blut und neue würde erhalten. alles paſst auf
das beste für die verwaltung des Phalereers. da wir auf den steinen durchaus nichts
von den gesetzeswächtern finden, sind sie wol 307 der demokratischen reaction so
gut wie die γυναικονόμοι u. a. erlegen.
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[192/0202] II. 8. Der Areopag vor Ephialtes. zu dem eigentlichen träger der inneren politik. es liegt so viel darin, daſs ich voraussehe, die modernen werden sich dagegen sträuben, es zu glauben; aber die analogie zwingt. der rat der 500 hat ja diese selbe controlle über alle beamte rechtlich besessen, und auch bei ihm konnten beschwerden eingereicht werden (45, 2). einen beleg liefert Lysias wider die kornhändler. natürlich war später auch von der ent- scheidung des rates appellation an das gericht möglich, ganz wie bei der dokimasie der archonten. aber daſs von dem urteil von 500 an das von 501, von ratsherrn an richter, d. h. leute die genau eben so qualificirt und genau eben so gewählt sind, appellirt wird, ist eigentlich in sich verkehrt, ist prinzipienreiterei, und kann nur als eine ausartung an- gesehen werden. wenn nun der rat der 500 in der demokratie die nomophylakie besitzt, der Areopag sie einst besessen hat, so kann man gar nicht zweifeln, daſs eben diese es gewesen ist, die Ephialtes ihm genommen hat. Man hat bei dieser gelegenheit an eine veränderung in der legis- lative gedacht, hat die γϱαφὴ παϱανόμων herangezogen und noch anderes vermutet, hatte allerdings auch die auf keinen geringeren als Philochoros gestellte überlieferung, daſs zum ersatze für den Areopag eine besondere behörde von νομοφύλακες eingesetzt wäre. 6) dies letztere ist durch das schweigen des Aristoteles, so wenig das im ganzen be- deutet, und durch die in einem falle (fgm. 6) nunmehr erwiesene unzu- verlässigkeit des lexicons, das uns die angeblich philochoreische notiz νομο- ϑεσία. 6) Lex. Cant. νομοφύλακες. der fehler beschränkt sich darauf, daſs die ein- setzung mit der reform des Ephialtes verbunden wird; sein anlaſs ist mir auch noch jetzt rätselhaft, aber ich kann ihn nicht mehr leugnen. die schilderung des amtes stammt in diesem lexicon aus derselben quelle wie bei Photius οἱ νομοφύλακες τίνες ἦσαν, und dieses lemma erweist als quelle das onomastikon, dessen wertvollste aus- züge im fünften Bekkerschen lexicon stehn. hinzu tritt Poll. 8, 94, der die schilde- rung im praesens gibt, während sie jenes onomastikon im praeteritum gab. wie Philo- choros geredet hat, ist also nicht sicher. die sieben gesetzeswächter sitzen neben den proedren in den versammlungen: so etwas ist zur zeit der demokratie unerhört. sie sind durch ausgezeichnete tracht und religiöse functionen möglichst würdig ge- macht: das paſst für die zeit der restauration. sie sind bestimmt, in den Areopag zu treten: der vermehrte sich also jährlich um 16 statt um 9 personen, muſste binnen kurzem durch diesen nachschub eine andere majorität erhalten, so daſs ich die maſsregel gut mit einem pairsschub in modernen ersten kammern verglichen habe, und sollte offenbar frisches blut und neue würde erhalten. alles paſst auf das beste für die verwaltung des Phalereers. da wir auf den steinen durchaus nichts von den gesetzeswächtern finden, sind sie wol 307 der demokratischen reaction so gut wie die γυναικονόμοι u. a. erlegen.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/202>, abgerufen am 29.03.2024.