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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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II. 8. Der Areopag vor Ephialtes.
sitzen. das gefährliche institut der eisaggelia eis ton demon hat in
alter zeit die eisaggelia eis Areion pagon zum gegenstücke, die sowol
gegen beamtenwillkür galt, wie Drakon es vorgeschrieben hatte (4, 4),
wie gegen hochverrat: gegen diesen schreitet noch in der anekdote von
Themistokles der Areopag ein. dies ist also sicher durch Ephialtes vom
Areopage auf das volk übertragen. dagegen hat das volk allerdings die
beamten auch schon vorher auf seine weise controllirt, durch die epikhei-
rotonia, und hat die macht selbst urteilssprüche abzugeben besessen,
in den formen, welche die feste tagesordnung der versammlungen durch
die anklage wegen apate tou demou und sukophantia bot. so ist
Miltiades 490 gefallen. da haben wir, wie so oft in Athen und im alten
Rom, neben einander stehend dieselbe competenz verschiedener staat-
licher organe.

Der eigentliche erbe des alten rates ward der neue: statt des aus
der magistratur hervorgegangenen senates sollte die vertretung der einzel-
gemeinden die verwaltung führen. klar mit einem worte bezeichnet
würde der inhalt der reform gelautet haben: der Areopag hört auf eine
verwaltungsbehörde zu sein; die geschäfte übernimmt der rat der 500.
aber wir müssen das im einzelnen zu erfassen suchen, entsprechend
dem wie die gesetze nach attischer weise wirklich gelautet haben.

misthosis
temenon.
Da haben wir gleich eine einzelheit. die verpachtung des heiligen
gutes besorgt der könig, aber er übergibt die pachtverträge dem rate
und dieser besorgt die eincassirung und verrechnung der pachten selbst
oder durch seine beamten, die apodekten (Ar. 47, 4). so war es schon
418. es versteht sich von selbst, dass der könig früher denjenigen rat
zugezogen hat, dem er vorsitzt; sein verkehr mit dem rate der 500 ist
eine anomalie, die lediglich die rücksicht auf die heiligkeit dieser ein-
nahmen geschaffen hat.

Casse des
Areopages.
Die bergwerke waren schon 483 unter der verwaltung des volkes,
was die des rates, der ja die vorschläge für das volk vorberät und formulirt,
in sich schliesst. es gab ja auch seit Kleisthenes die apodekten. trotzdem
hat 480 der Areopag über sehr bedeutende geldmittel verfügt, da er,
aus eigener initiative oder auf die anregung seines mitgliedes Themistokles
hin, in der lage war, den auswanderern ein zehrgeld zu zahlen (oben
I 140). also hatte der Areopag eine casse und cassenbeamten. er hatte
aber auch nach Solon (8, 4) das recht geldstrafen zu verhängen und
einzuziehen und brachte sie selbst auf die burg, d. h. in die casse der göttin.
zu den uralten behörden gehören die schatzmeister der göttin, die poleten
und die kolakreten. die letzteren verfügen zwar noch in der zweiten

II. 8. Der Areopag vor Ephialtes.
sitzen. das gefährliche institut der εἰσαγγελία εἰς τὸν δῆμον hat in
alter zeit die εἰσαγγελία εἰς Ἄϱειον πάγον zum gegenstücke, die sowol
gegen beamtenwillkür galt, wie Drakon es vorgeschrieben hatte (4, 4),
wie gegen hochverrat: gegen diesen schreitet noch in der anekdote von
Themistokles der Areopag ein. dies ist also sicher durch Ephialtes vom
Areopage auf das volk übertragen. dagegen hat das volk allerdings die
beamten auch schon vorher auf seine weise controllirt, durch die ἐπιχει-
ϱοτονία, und hat die macht selbst urteilssprüche abzugeben besessen,
in den formen, welche die feste tagesordnung der versammlungen durch
die anklage wegen ἀπάτη τοῦ δήμου und συκοφαντία bot. so ist
Miltiades 490 gefallen. da haben wir, wie so oft in Athen und im alten
Rom, neben einander stehend dieselbe competenz verschiedener staat-
licher organe.

Der eigentliche erbe des alten rates ward der neue: statt des aus
der magistratur hervorgegangenen senates sollte die vertretung der einzel-
gemeinden die verwaltung führen. klar mit einem worte bezeichnet
würde der inhalt der reform gelautet haben: der Areopag hört auf eine
verwaltungsbehörde zu sein; die geschäfte übernimmt der rat der 500.
aber wir müssen das im einzelnen zu erfassen suchen, entsprechend
dem wie die gesetze nach attischer weise wirklich gelautet haben.

μίσϑωσις
τεμενῶν.
Da haben wir gleich eine einzelheit. die verpachtung des heiligen
gutes besorgt der könig, aber er übergibt die pachtverträge dem rate
und dieser besorgt die eincassirung und verrechnung der pachten selbst
oder durch seine beamten, die apodekten (Ar. 47, 4). so war es schon
418. es versteht sich von selbst, daſs der könig früher denjenigen rat
zugezogen hat, dem er vorsitzt; sein verkehr mit dem rate der 500 ist
eine anomalie, die lediglich die rücksicht auf die heiligkeit dieser ein-
nahmen geschaffen hat.

Casse des
Areopages.
Die bergwerke waren schon 483 unter der verwaltung des volkes,
was die des rates, der ja die vorschläge für das volk vorberät und formulirt,
in sich schlieſst. es gab ja auch seit Kleisthenes die apodekten. trotzdem
hat 480 der Areopag über sehr bedeutende geldmittel verfügt, da er,
aus eigener initiative oder auf die anregung seines mitgliedes Themistokles
hin, in der lage war, den auswanderern ein zehrgeld zu zahlen (oben
I 140). also hatte der Areopag eine casse und cassenbeamten. er hatte
aber auch nach Solon (8, 4) das recht geldstrafen zu verhängen und
einzuziehen und brachte sie selbst auf die burg, d. h. in die casse der göttin.
zu den uralten behörden gehören die schatzmeister der göttin, die poleten
und die kolakreten. die letzteren verfügen zwar noch in der zweiten

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[190/0200] II. 8. Der Areopag vor Ephialtes. sitzen. das gefährliche institut der εἰσαγγελία εἰς τὸν δῆμον hat in alter zeit die εἰσαγγελία εἰς Ἄϱειον πάγον zum gegenstücke, die sowol gegen beamtenwillkür galt, wie Drakon es vorgeschrieben hatte (4, 4), wie gegen hochverrat: gegen diesen schreitet noch in der anekdote von Themistokles der Areopag ein. dies ist also sicher durch Ephialtes vom Areopage auf das volk übertragen. dagegen hat das volk allerdings die beamten auch schon vorher auf seine weise controllirt, durch die ἐπιχει- ϱοτονία, und hat die macht selbst urteilssprüche abzugeben besessen, in den formen, welche die feste tagesordnung der versammlungen durch die anklage wegen ἀπάτη τοῦ δήμου und συκοφαντία bot. so ist Miltiades 490 gefallen. da haben wir, wie so oft in Athen und im alten Rom, neben einander stehend dieselbe competenz verschiedener staat- licher organe. Der eigentliche erbe des alten rates ward der neue: statt des aus der magistratur hervorgegangenen senates sollte die vertretung der einzel- gemeinden die verwaltung führen. klar mit einem worte bezeichnet würde der inhalt der reform gelautet haben: der Areopag hört auf eine verwaltungsbehörde zu sein; die geschäfte übernimmt der rat der 500. aber wir müssen das im einzelnen zu erfassen suchen, entsprechend dem wie die gesetze nach attischer weise wirklich gelautet haben. Da haben wir gleich eine einzelheit. die verpachtung des heiligen gutes besorgt der könig, aber er übergibt die pachtverträge dem rate und dieser besorgt die eincassirung und verrechnung der pachten selbst oder durch seine beamten, die apodekten (Ar. 47, 4). so war es schon 418. es versteht sich von selbst, daſs der könig früher denjenigen rat zugezogen hat, dem er vorsitzt; sein verkehr mit dem rate der 500 ist eine anomalie, die lediglich die rücksicht auf die heiligkeit dieser ein- nahmen geschaffen hat. μίσϑωσις τεμενῶν. Die bergwerke waren schon 483 unter der verwaltung des volkes, was die des rates, der ja die vorschläge für das volk vorberät und formulirt, in sich schlieſst. es gab ja auch seit Kleisthenes die apodekten. trotzdem hat 480 der Areopag über sehr bedeutende geldmittel verfügt, da er, aus eigener initiative oder auf die anregung seines mitgliedes Themistokles hin, in der lage war, den auswanderern ein zehrgeld zu zahlen (oben I 140). also hatte der Areopag eine casse und cassenbeamten. er hatte aber auch nach Solon (8, 4) das recht geldstrafen zu verhängen und einzuziehen und brachte sie selbst auf die burg, d. h. in die casse der göttin. zu den uralten behörden gehören die schatzmeister der göttin, die poleten und die kolakreten. die letzteren verfügen zwar noch in der zweiten Casse des Areopages.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/200>, abgerufen am 16.04.2024.