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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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Bedeutung der kreisordnung.
zu werden. dann war auch ein kreis Karystos oder Naxos möglich,
und wie so ganz anders würde die hellenische geschichte geworden sein.

Doch auch abgesehen von solchen träumen verlohnt es sich wol,
die stellung der trittyen im organismus des staates auf das anzusehen,
was sie wirklich gewesen sind. das erste was wir da zu constatiren
haben, ist, dass sie für das bewusstsein des volkes gar keine wirklichen
realitäten geworden sind: sie haben keinen göttlichen vertreter, trotz
ihrer realen körperlichkeit keine ideelle. das unterscheidet sie von phyle
und demos, und der moderne rationalismus kann recht deutlich daran
lernen, dass die existenz eines eponymos mehr als eine ornamentale
bedeutung hat: er zeigt an, dass in dem was er benennt eine seele ist,
und die seele gibt das leben, nicht die materie. das fehlen des eponymos
bringt es mit sich, dass der trittys das eigene vermögen abgeht, das
phyle und phratrie, gemeinde und geschlecht besitzen.

Im finanzwesen kann die trittys für die directe steuer keine rolle
spielen, da die phylen unter einander vielleicht, die trittyen derselben
phyle unmöglich das gleiche steuercapital besitzen konnten. das gleiche
gilt für die persönlichen auf das vermögen gelegten munera, die letourgiai,
die zwar phylenweise (und nicht einmal das durchweg), aber nicht trittyen-
weise verteilt werden. wol aber ist das noch im demosthenischen zeit-
alter mit den frohnden geschehen, die das volk auf die phylen über-
trug. 47) das geschah bei bauten, z. b. von strassen, mauern, schiffen.
in der regel freilich besorgte auch diese sachen das volk selbst, durch
den rat (wie gewöhnlich den schiffsbau), oder durch besondere beamte
(wie die wegecommissare) oder durch specielle commissionen (wie die
teikhopoioi), die dann wieder die phylen vertreten konnten. es leuchtet
aber ein, dass es z. b. für den wegebau häufig praktisch sein konnte,
die arbeit kreisweise zu verteilen, oder auch zum festungsbau die phylen-
genossen kreisweise heranzuziehen.

Im heerwesen ist der dienst zu pferde eine persönliche last der
besitzenden, eine letourgia. wenn demnach auch die reiterei in die
10 phylen gegliedert ist, so ist doch die archaische einrichtung, dass die
naukrarie so und so viel pferde und reiter zu stellen hat, wenn nicht
von Kleisthenes 48), so doch von der demokratie bald beseitigt. das volk

47) Aisch. 3, 30 ois ai phulai kai ai trittues kai oi demoi ex eauton airountai
ta demosia khremata diakheirizein. es handelt sich um solche frohnden, wie sie
oben genannt sind.
48) Pollux 8, 108 in der ausgezeichneten schilderung der vorkleisthenischen
verhältnisse, naukraria ekaste deka (duo codd.) ippeas pareikhe kai nain mian.
11*

Bedeutung der kreisordnung.
zu werden. dann war auch ein kreis Karystos oder Naxos möglich,
und wie so ganz anders würde die hellenische geschichte geworden sein.

Doch auch abgesehen von solchen träumen verlohnt es sich wol,
die stellung der trittyen im organismus des staates auf das anzusehen,
was sie wirklich gewesen sind. das erste was wir da zu constatiren
haben, ist, daſs sie für das bewuſstsein des volkes gar keine wirklichen
realitäten geworden sind: sie haben keinen göttlichen vertreter, trotz
ihrer realen körperlichkeit keine ideelle. das unterscheidet sie von phyle
und demos, und der moderne rationalismus kann recht deutlich daran
lernen, daſs die existenz eines eponymos mehr als eine ornamentale
bedeutung hat: er zeigt an, daſs in dem was er benennt eine seele ist,
und die seele gibt das leben, nicht die materie. das fehlen des eponymos
bringt es mit sich, daſs der trittys das eigene vermögen abgeht, das
phyle und phratrie, gemeinde und geschlecht besitzen.

Im finanzwesen kann die trittys für die directe steuer keine rolle
spielen, da die phylen unter einander vielleicht, die trittyen derselben
phyle unmöglich das gleiche steuercapital besitzen konnten. das gleiche
gilt für die persönlichen auf das vermögen gelegten munera, die λῃτουϱγίαι,
die zwar phylenweise (und nicht einmal das durchweg), aber nicht trittyen-
weise verteilt werden. wol aber ist das noch im demosthenischen zeit-
alter mit den frohnden geschehen, die das volk auf die phylen über-
trug. 47) das geschah bei bauten, z. b. von straſsen, mauern, schiffen.
in der regel freilich besorgte auch diese sachen das volk selbst, durch
den rat (wie gewöhnlich den schiffsbau), oder durch besondere beamte
(wie die wegecommissare) oder durch specielle commissionen (wie die
τειχοποιοί), die dann wieder die phylen vertreten konnten. es leuchtet
aber ein, daſs es z. b. für den wegebau häufig praktisch sein konnte,
die arbeit kreisweise zu verteilen, oder auch zum festungsbau die phylen-
genossen kreisweise heranzuziehen.

Im heerwesen ist der dienst zu pferde eine persönliche last der
besitzenden, eine λῃτουϱγία. wenn demnach auch die reiterei in die
10 phylen gegliedert ist, so ist doch die archaische einrichtung, daſs die
naukrarie so und so viel pferde und reiter zu stellen hat, wenn nicht
von Kleisthenes 48), so doch von der demokratie bald beseitigt. das volk

47) Aisch. 3, 30 οἳς αἱ φυλαὶ καὶ αἱ τϱιττύες καὶ οἱ δῆμοι ἐξ ἑαυτῶν αἱϱοῦνται
τὰ δημόσια χϱήματα διαχειϱίζειν. es handelt sich um solche frohnden, wie sie
oben genannt sind.
48) Pollux 8, 108 in der ausgezeichneten schilderung der vorkleisthenischen
verhältnisse, ναυκϱαϱία ἑκάστη δέκα (δύο codd.) ἱππέας παϱεῖχε καὶ ναῖν μίαν.
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[163/0173] Bedeutung der kreisordnung. zu werden. dann war auch ein kreis Karystos oder Naxos möglich, und wie so ganz anders würde die hellenische geschichte geworden sein. Doch auch abgesehen von solchen träumen verlohnt es sich wol, die stellung der trittyen im organismus des staates auf das anzusehen, was sie wirklich gewesen sind. das erste was wir da zu constatiren haben, ist, daſs sie für das bewuſstsein des volkes gar keine wirklichen realitäten geworden sind: sie haben keinen göttlichen vertreter, trotz ihrer realen körperlichkeit keine ideelle. das unterscheidet sie von phyle und demos, und der moderne rationalismus kann recht deutlich daran lernen, daſs die existenz eines eponymos mehr als eine ornamentale bedeutung hat: er zeigt an, daſs in dem was er benennt eine seele ist, und die seele gibt das leben, nicht die materie. das fehlen des eponymos bringt es mit sich, daſs der trittys das eigene vermögen abgeht, das phyle und phratrie, gemeinde und geschlecht besitzen. Im finanzwesen kann die trittys für die directe steuer keine rolle spielen, da die phylen unter einander vielleicht, die trittyen derselben phyle unmöglich das gleiche steuercapital besitzen konnten. das gleiche gilt für die persönlichen auf das vermögen gelegten munera, die λῃτουϱγίαι, die zwar phylenweise (und nicht einmal das durchweg), aber nicht trittyen- weise verteilt werden. wol aber ist das noch im demosthenischen zeit- alter mit den frohnden geschehen, die das volk auf die phylen über- trug. 47) das geschah bei bauten, z. b. von straſsen, mauern, schiffen. in der regel freilich besorgte auch diese sachen das volk selbst, durch den rat (wie gewöhnlich den schiffsbau), oder durch besondere beamte (wie die wegecommissare) oder durch specielle commissionen (wie die τειχοποιοί), die dann wieder die phylen vertreten konnten. es leuchtet aber ein, daſs es z. b. für den wegebau häufig praktisch sein konnte, die arbeit kreisweise zu verteilen, oder auch zum festungsbau die phylen- genossen kreisweise heranzuziehen. Im heerwesen ist der dienst zu pferde eine persönliche last der besitzenden, eine λῃτουϱγία. wenn demnach auch die reiterei in die 10 phylen gegliedert ist, so ist doch die archaische einrichtung, daſs die naukrarie so und so viel pferde und reiter zu stellen hat, wenn nicht von Kleisthenes 48), so doch von der demokratie bald beseitigt. das volk 47) Aisch. 3, 30 οἳς αἱ φυλαὶ καὶ αἱ τϱιττύες καὶ οἱ δῆμοι ἐξ ἑαυτῶν αἱϱοῦνται τὰ δημόσια χϱήματα διαχειϱίζειν. es handelt sich um solche frohnden, wie sie oben genannt sind. 48) Pollux 8, 108 in der ausgezeichneten schilderung der vorkleisthenischen verhältnisse, ναυκϱαϱία ἑκάστη δέκα (δύο codd.) ἱππέας παϱεῖχε καὶ ναῖν μίαν. 11*

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/173>, abgerufen am 20.04.2024.