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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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II. 5. Die könige von Athen.
zeigen die tegeatischen phylen, die lediglich vier gesonderte siedelungen
sind; das hätten die athenischen sein können, aber sie sind es nun einmal
nicht gewesen. man sieht es am besten an den windigen constructionen
der Atthidographen. 27) und die kastenteilung, an die auch schon das
altertum gedacht hat, ist vollends erträumt. für Ionien passen die phylen,
für Athen passen sie nicht. für Ionien passt Ion, für Athen passt
er nicht. die inseln und Euboia sind doch auch ionisch in demselben
sinne wie Athen: weshalb fehlen dort beide? da muss man sich ein
herz fassen und die geschichte umkehren.

507 hat Kleisthenes in Athen 10 phylen mit hilfe des delphischen
gottes gemacht. es war ein act der willkür, aber es gieng sehr bequem.
die alten vier mochten als cultverbände weiter existiren, das kümmerte
ihn nicht 28); den Ion behielt er aber natürlich bei, denn Ionier wollten die
Athener bleiben. 29) die vier phylen sind nicht mehr wert als die zehn.
also schliesse ich, dass sie ebenso künstlich gemacht sind. wenn jeder
Athener einen Apollon patroos haben muss, trotz seinem geschlechte
und dessen ahnherrn, so ist der ihnen allen einmal verliehen, künstlich,
durch einen act. als Attika eine einheit geworden war, bedurfte es
allerdings einer gliederung; der regionalismus war damals ungleich ge-
fährlicher als 507, die bestehenden geschlechterverbände ungleich macht-
voller. die ideelle einheit lag im dienste Athenas, aber die jungfrau bot
keine bequeme gentilicische anknüpfung. da hat man die vier phylen
erfunden und die phratrien dazu, oder besser die trittyen; denn phra-
trien, d. h. gruppen engverbundener geschlechter, haben gewiss vorher
nicht gefehlt. die geschlechter aber wurden in diese fächer eingereiht;
es ist ganz gut möglich, dass man für sie eine schematische zahl we-
nigstens prinzipiell aufgestellt hat, wie die Atthis 360 zählt. bewerk-
stelligt konnte eine solche massregel noch 507 nur durch die sanction
eines gottes werden. dass die vier phylen von demselben pythischen
Apollon gemacht sind wie die zehn, folgt aus der reception seines cultes
als patroos, den die Ionier doch auch haben müssten, wenn sie die
phylen aus Athen mitgenommen hätten. 30) es wird am klarsten sein,

27) Pollux 8, 108. Apollodor bei Strab. 397 gibt alte landesnamen, die nicht
mehr wert haben.
28) Wenn die vier aber grundbesitz gehabt hatten, so haben sie den den
neuen abgetreten, denn diese besitzen land, die alten nicht.
29) Das lehrt der grenzstein eines grundstückes, das er sogar auf Samos von
den Athenern erhalten hat, Bull. Corr. Hell. 8, 160.
30) Die Apaturien sind ein geschlechterfest, kein phylenfest. sie sind wirklich

II. 5. Die könige von Athen.
zeigen die tegeatischen phylen, die lediglich vier gesonderte siedelungen
sind; das hätten die athenischen sein können, aber sie sind es nun einmal
nicht gewesen. man sieht es am besten an den windigen constructionen
der Atthidographen. 27) und die kastenteilung, an die auch schon das
altertum gedacht hat, ist vollends erträumt. für Ionien passen die phylen,
für Athen passen sie nicht. für Ionien paſst Ion, für Athen paſst
er nicht. die inseln und Euboia sind doch auch ionisch in demselben
sinne wie Athen: weshalb fehlen dort beide? da muſs man sich ein
herz fassen und die geschichte umkehren.

507 hat Kleisthenes in Athen 10 phylen mit hilfe des delphischen
gottes gemacht. es war ein act der willkür, aber es gieng sehr bequem.
die alten vier mochten als cultverbände weiter existiren, das kümmerte
ihn nicht 28); den Ion behielt er aber natürlich bei, denn Ionier wollten die
Athener bleiben. 29) die vier phylen sind nicht mehr wert als die zehn.
also schlieſse ich, daſs sie ebenso künstlich gemacht sind. wenn jeder
Athener einen Ἀπόλλων πατϱῷος haben muſs, trotz seinem geschlechte
und dessen ahnherrn, so ist der ihnen allen einmal verliehen, künstlich,
durch einen act. als Attika eine einheit geworden war, bedurfte es
allerdings einer gliederung; der regionalismus war damals ungleich ge-
fährlicher als 507, die bestehenden geschlechterverbände ungleich macht-
voller. die ideelle einheit lag im dienste Athenas, aber die jungfrau bot
keine bequeme gentilicische anknüpfung. da hat man die vier phylen
erfunden und die phratrien dazu, oder besser die trittyen; denn phra-
trien, d. h. gruppen engverbundener geschlechter, haben gewiſs vorher
nicht gefehlt. die geschlechter aber wurden in diese fächer eingereiht;
es ist ganz gut möglich, daſs man für sie eine schematische zahl we-
nigstens prinzipiell aufgestellt hat, wie die Atthis 360 zählt. bewerk-
stelligt konnte eine solche maſsregel noch 507 nur durch die sanction
eines gottes werden. daſs die vier phylen von demselben pythischen
Apollon gemacht sind wie die zehn, folgt aus der reception seines cultes
als πατϱῷος, den die Ionier doch auch haben müssten, wenn sie die
phylen aus Athen mitgenommen hätten. 30) es wird am klarsten sein,

27) Pollux 8, 108. Apollodor bei Strab. 397 gibt alte landesnamen, die nicht
mehr wert haben.
28) Wenn die vier aber grundbesitz gehabt hatten, so haben sie den den
neuen abgetreten, denn diese besitzen land, die alten nicht.
29) Das lehrt der grenzstein eines grundstückes, das er sogar auf Samos von
den Athenern erhalten hat, Bull. Corr. Hell. 8, 160.
30) Die Apaturien sind ein geschlechterfest, kein phylenfest. sie sind wirklich
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[140/0150] II. 5. Die könige von Athen. zeigen die tegeatischen phylen, die lediglich vier gesonderte siedelungen sind; das hätten die athenischen sein können, aber sie sind es nun einmal nicht gewesen. man sieht es am besten an den windigen constructionen der Atthidographen. 27) und die kastenteilung, an die auch schon das altertum gedacht hat, ist vollends erträumt. für Ionien passen die phylen, für Athen passen sie nicht. für Ionien paſst Ion, für Athen paſst er nicht. die inseln und Euboia sind doch auch ionisch in demselben sinne wie Athen: weshalb fehlen dort beide? da muſs man sich ein herz fassen und die geschichte umkehren. 507 hat Kleisthenes in Athen 10 phylen mit hilfe des delphischen gottes gemacht. es war ein act der willkür, aber es gieng sehr bequem. die alten vier mochten als cultverbände weiter existiren, das kümmerte ihn nicht 28); den Ion behielt er aber natürlich bei, denn Ionier wollten die Athener bleiben. 29) die vier phylen sind nicht mehr wert als die zehn. also schlieſse ich, daſs sie ebenso künstlich gemacht sind. wenn jeder Athener einen Ἀπόλλων πατϱῷος haben muſs, trotz seinem geschlechte und dessen ahnherrn, so ist der ihnen allen einmal verliehen, künstlich, durch einen act. als Attika eine einheit geworden war, bedurfte es allerdings einer gliederung; der regionalismus war damals ungleich ge- fährlicher als 507, die bestehenden geschlechterverbände ungleich macht- voller. die ideelle einheit lag im dienste Athenas, aber die jungfrau bot keine bequeme gentilicische anknüpfung. da hat man die vier phylen erfunden und die phratrien dazu, oder besser die trittyen; denn phra- trien, d. h. gruppen engverbundener geschlechter, haben gewiſs vorher nicht gefehlt. die geschlechter aber wurden in diese fächer eingereiht; es ist ganz gut möglich, daſs man für sie eine schematische zahl we- nigstens prinzipiell aufgestellt hat, wie die Atthis 360 zählt. bewerk- stelligt konnte eine solche maſsregel noch 507 nur durch die sanction eines gottes werden. daſs die vier phylen von demselben pythischen Apollon gemacht sind wie die zehn, folgt aus der reception seines cultes als πατϱῷος, den die Ionier doch auch haben müssten, wenn sie die phylen aus Athen mitgenommen hätten. 30) es wird am klarsten sein, 27) Pollux 8, 108. Apollodor bei Strab. 397 gibt alte landesnamen, die nicht mehr wert haben. 28) Wenn die vier aber grundbesitz gehabt hatten, so haben sie den den neuen abgetreten, denn diese besitzen land, die alten nicht. 29) Das lehrt der grenzstein eines grundstückes, das er sogar auf Samos von den Athenern erhalten hat, Bull. Corr. Hell. 8, 160. 30) Die Apaturien sind ein geschlechterfest, kein phylenfest. sie sind wirklich

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/150>, abgerufen am 23.04.2024.