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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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II. 5. Die könige von Athen.
siodischen genealogie wieder hat Ion, der eponym der Ionier, keinen gött-
lichen vater.

Zur zeit des adelsstaates ist Athen in die vier ionischen phylen
geteilt, betrachtet es sich als die presbutate gaia Iaonies, müssen
die beamten den besitz des Apollon patroos nachweisen. eigentlich
sollten die eponyme der zwölf phratrien und weiter die der geschlechter
von den vier söhnen Ions stammen. aber diese consequenz ist nicht
gezogen. weder stammen die eponyme der geschlechter von denen der
phratrien, noch diese von denen der phylen. in einer anzahl ionischer
städte haben dieselben phylen bestanden; erst hier ist der Ioniername,
also auch der eponymos Ion, und zwar zunächst für die zwölf städte,
die an dem Panionion des Poseidon teil nahmen, aufgekommen. hier
heissen die könige Kodriden Basiliden Neleiden. wie sollen wir das
verstehen? die alte antwort ist: die vier phylen bestanden in Athen,
als dieses seine colonisten aussandte, und seine könige waren Nelei-
den und Kodriden. so sagen Herodotos und Euripides, so würde Solon
ohne zweifel auch sagen. wenn wir das annehmen, so haben sich
die phylen in Athen gebildet, und zwar vor der ionischen wanderung,
diese aber ist ein von Athen geplanter zug, nicht anders als die gründung
von Amphipolis oder Brea. das ist alles undenkbar. die Ionier leiten
sich aus Pylos oder Achaia oder von Abanten Kadmeern u. s. w. her,
vor Herodotos führt sich keiner von ihnen auf Athen zurück, und auch
dieser weiss sie über Athen in ihre wirkliche heimat zu bringen. auch
nach Herodotos stammen die Ionier nicht aus Attika. Kodros ist in
Athen ein eindringling, und das königliche geschlecht heisst Medon-
tiden. ein teil des attischen adels will freilich pylisch und neleisch
sein wie die Ionier, aber darin liegt nichts für die abhängigkeit der
letzteren von Athen. die phylenheroen sind in Athen eine so künst-
liche pflanze, dass sie wahrlich nicht vor Homer schon eine so wich-
tige rolle in der gliederung des volkes gespielt haben können. wie
soll man sich ihre genesis überhaupt vorstellen? es sassen in der Ke-
kropia familien, sagen wir einmal 300, die sich in vier phylen teilten.

einer sehr schön pragmatisirten geschichte der wanderungen, die die Ionier erst von
Athen nach Achaia, dann von da über Athen nach Ionien bringt. aber diese ge-
schichte setzt den Ion des Euripides voraus. übrigens mag in der tetrapolis wirk-
lich eine spur des ionischen heros gewesen sein, aus Euboia stammend; haben ihn
die Chalkidier doch auch nach Sicilien gebracht. er ist ein wirklicher heros unter
blossen eponymen im hesiodischen kataloge. allerdings könnte der 'braune' neben
dem 'bunten' Aiolos mit absicht stehn.

II. 5. Die könige von Athen.
siodischen genealogie wieder hat Ion, der eponym der Ionier, keinen gött-
lichen vater.

Zur zeit des adelsstaates ist Athen in die vier ionischen phylen
geteilt, betrachtet es sich als die πϱεσβυτάτη γαῖα Ἰαονίης, müssen
die beamten den besitz des Ἀπόλλων πατϱῷος nachweisen. eigentlich
sollten die eponyme der zwölf phratrien und weiter die der geschlechter
von den vier söhnen Ions stammen. aber diese consequenz ist nicht
gezogen. weder stammen die eponyme der geschlechter von denen der
phratrien, noch diese von denen der phylen. in einer anzahl ionischer
städte haben dieselben phylen bestanden; erst hier ist der Ioniername,
also auch der eponymos Ion, und zwar zunächst für die zwölf städte,
die an dem Panionion des Poseidon teil nahmen, aufgekommen. hier
heiſsen die könige Kodriden Basiliden Neleiden. wie sollen wir das
verstehen? die alte antwort ist: die vier phylen bestanden in Athen,
als dieses seine colonisten aussandte, und seine könige waren Nelei-
den und Kodriden. so sagen Herodotos und Euripides, so würde Solon
ohne zweifel auch sagen. wenn wir das annehmen, so haben sich
die phylen in Athen gebildet, und zwar vor der ionischen wanderung,
diese aber ist ein von Athen geplanter zug, nicht anders als die gründung
von Amphipolis oder Brea. das ist alles undenkbar. die Ionier leiten
sich aus Pylos oder Achaia oder von Abanten Kadmeern u. s. w. her,
vor Herodotos führt sich keiner von ihnen auf Athen zurück, und auch
dieser weiſs sie über Athen in ihre wirkliche heimat zu bringen. auch
nach Herodotos stammen die Ionier nicht aus Attika. Kodros ist in
Athen ein eindringling, und das königliche geschlecht heiſst Medon-
tiden. ein teil des attischen adels will freilich pylisch und neleisch
sein wie die Ionier, aber darin liegt nichts für die abhängigkeit der
letzteren von Athen. die phylenheroen sind in Athen eine so künst-
liche pflanze, daſs sie wahrlich nicht vor Homer schon eine so wich-
tige rolle in der gliederung des volkes gespielt haben können. wie
soll man sich ihre genesis überhaupt vorstellen? es saſsen in der Ke-
kropia familien, sagen wir einmal 300, die sich in vier phylen teilten.

einer sehr schön pragmatisirten geschichte der wanderungen, die die Ionier erst von
Athen nach Achaia, dann von da über Athen nach Ionien bringt. aber diese ge-
schichte setzt den Ion des Euripides voraus. übrigens mag in der tetrapolis wirk-
lich eine spur des ionischen heros gewesen sein, aus Euboia stammend; haben ihn
die Chalkidier doch auch nach Sicilien gebracht. er ist ein wirklicher heros unter
bloſsen eponymen im hesiodischen kataloge. allerdings könnte der ‘braune’ neben
dem ‘bunten’ Aiolos mit absicht stehn.
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[138/0148] II. 5. Die könige von Athen. siodischen genealogie wieder hat Ion, der eponym der Ionier, keinen gött- lichen vater. Zur zeit des adelsstaates ist Athen in die vier ionischen phylen geteilt, betrachtet es sich als die πϱεσβυτάτη γαῖα Ἰαονίης, müssen die beamten den besitz des Ἀπόλλων πατϱῷος nachweisen. eigentlich sollten die eponyme der zwölf phratrien und weiter die der geschlechter von den vier söhnen Ions stammen. aber diese consequenz ist nicht gezogen. weder stammen die eponyme der geschlechter von denen der phratrien, noch diese von denen der phylen. in einer anzahl ionischer städte haben dieselben phylen bestanden; erst hier ist der Ioniername, also auch der eponymos Ion, und zwar zunächst für die zwölf städte, die an dem Panionion des Poseidon teil nahmen, aufgekommen. hier heiſsen die könige Kodriden Basiliden Neleiden. wie sollen wir das verstehen? die alte antwort ist: die vier phylen bestanden in Athen, als dieses seine colonisten aussandte, und seine könige waren Nelei- den und Kodriden. so sagen Herodotos und Euripides, so würde Solon ohne zweifel auch sagen. wenn wir das annehmen, so haben sich die phylen in Athen gebildet, und zwar vor der ionischen wanderung, diese aber ist ein von Athen geplanter zug, nicht anders als die gründung von Amphipolis oder Brea. das ist alles undenkbar. die Ionier leiten sich aus Pylos oder Achaia oder von Abanten Kadmeern u. s. w. her, vor Herodotos führt sich keiner von ihnen auf Athen zurück, und auch dieser weiſs sie über Athen in ihre wirkliche heimat zu bringen. auch nach Herodotos stammen die Ionier nicht aus Attika. Kodros ist in Athen ein eindringling, und das königliche geschlecht heiſst Medon- tiden. ein teil des attischen adels will freilich pylisch und neleisch sein wie die Ionier, aber darin liegt nichts für die abhängigkeit der letzteren von Athen. die phylenheroen sind in Athen eine so künst- liche pflanze, daſs sie wahrlich nicht vor Homer schon eine so wich- tige rolle in der gliederung des volkes gespielt haben können. wie soll man sich ihre genesis überhaupt vorstellen? es saſsen in der Ke- kropia familien, sagen wir einmal 300, die sich in vier phylen teilten. 24) 24) einer sehr schön pragmatisirten geschichte der wanderungen, die die Ionier erst von Athen nach Achaia, dann von da über Athen nach Ionien bringt. aber diese ge- schichte setzt den Ion des Euripides voraus. übrigens mag in der tetrapolis wirk- lich eine spur des ionischen heros gewesen sein, aus Euboia stammend; haben ihn die Chalkidier doch auch nach Sicilien gebracht. er ist ein wirklicher heros unter bloſsen eponymen im hesiodischen kataloge. allerdings könnte der ‘braune’ neben dem ‘bunten’ Aiolos mit absicht stehn.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/148>, abgerufen am 20.04.2024.