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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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II. 5. Die könige von Athen.
minder sicher sind die sieben zehnjährigen archonten, sowol wegen des
Hippomenes, wie auch weil die zahl 70 ganz rund ist. das datum 753/2
ist also nur mit einer etwas grösseren reserve als fest zu betrachten. das
beeinflusst auch die jahreszahlen der beiden letzten könige Aischylos und
Alkmeon, die sonst zuverlässiger scheinen, insbesondere die zweijährige
herrschaft des Alkmeon, die den anlass zu der verfassungsänderung offen-
bar gegeben hat, sei es dass er ohne erben so früh starb, sei es dass
man ihn, worauf die genealogie seiner nachfolger (anm. 14) deutet, als
usurpator stürzte. damit kommen wir bis an das jahr 800, und mir fehlt
der mut zu bestreiten, dass noch eine ganze reihe namen aus älterer zeit
überliefert sein könnten. die zahlen ihrer regierungen sind selbstverständ-
lich nicht nur an sich wertlos, sondern nicht einmal durch eine beson-
dere athenische rechnung gefunden. sie sind dazu bestimmt, die brücke
zu der zeit der ionischen wanderung, oder, da diese nur ein relatives
datum ist, zu dem falle von Ilios zu schlagen; diese punkte aber waren
den Athenern durch andere chronologische systeme gegeben. immerhin
gelangen wir, wenn wir auch nur die geschlechterfolge rechnen, mit
Akastos, der als geschichtlicher könig durch den eid seiner nachfolger
gesichert ist, über das jahr 1000 hinauf.

Ich habe diesen weg bis zu ende verfolgt, um zu zeigen, dass er
gangbar ist. aber ich halte ihn doch für irreführend. denn die namen-
liste ist nicht die eines griechischen geschlechtes. die Miltiades Alkmeon
Damasias Dropides, die wir in der beglaubigten archontenliste bis hoch
in das siebente jahrhundert finden, zeigen, dass damals dieselbe sitte
herrschte wie später, und die geschlechter ihre bestimmten eigennamen
mit vorliebe vererbten. aber in dieser angeblichen liste von Medontiden
kehrt kein einziger name wieder, und nur zwei (Archippos und Ther-
sippos) könnten allenfalls auf gentilicische verbindung führen, wenn das
ritterpferd nicht allzuvulgär in den namen wäre. dagegen Megakles
Alkmeon Ariphron weisen auf andere später bedeutende geschlechter.
Phorbas hatte in der stadt ein heiligtum und kommt als begleiter des The-
seus und sonst in genealogien und sagen vor. ich bezweifele gar nicht,
dass es in alten zeiten einen leibhaften träger dieses namens in Athen
gegeben hat, der sich durch seine taten ein heroisches gedächtnis erhalten
hat: aber ein könig und ein Medontide ist der heros nicht gewesen.
die liste selbst sagt also, dass sie höchstens die namen von archonten
enthalten kann. wenn die eponymie schon unter Akastos den königen
genommen ist, das königtum aber im hause der Medontiden bis auf den
archon Kleidikos verblieben, so ergibt das an sich keinen widerspruch;

II. 5. Die könige von Athen.
minder sicher sind die sieben zehnjährigen archonten, sowol wegen des
Hippomenes, wie auch weil die zahl 70 ganz rund ist. das datum 753/2
ist also nur mit einer etwas gröſseren reserve als fest zu betrachten. das
beeinfluſst auch die jahreszahlen der beiden letzten könige Aischylos und
Alkmeon, die sonst zuverlässiger scheinen, insbesondere die zweijährige
herrschaft des Alkmeon, die den anlaſs zu der verfassungsänderung offen-
bar gegeben hat, sei es daſs er ohne erben so früh starb, sei es daſs
man ihn, worauf die genealogie seiner nachfolger (anm. 14) deutet, als
usurpator stürzte. damit kommen wir bis an das jahr 800, und mir fehlt
der mut zu bestreiten, daſs noch eine ganze reihe namen aus älterer zeit
überliefert sein könnten. die zahlen ihrer regierungen sind selbstverständ-
lich nicht nur an sich wertlos, sondern nicht einmal durch eine beson-
dere athenische rechnung gefunden. sie sind dazu bestimmt, die brücke
zu der zeit der ionischen wanderung, oder, da diese nur ein relatives
datum ist, zu dem falle von Ilios zu schlagen; diese punkte aber waren
den Athenern durch andere chronologische systeme gegeben. immerhin
gelangen wir, wenn wir auch nur die geschlechterfolge rechnen, mit
Akastos, der als geschichtlicher könig durch den eid seiner nachfolger
gesichert ist, über das jahr 1000 hinauf.

Ich habe diesen weg bis zu ende verfolgt, um zu zeigen, daſs er
gangbar ist. aber ich halte ihn doch für irreführend. denn die namen-
liste ist nicht die eines griechischen geschlechtes. die Miltiades Alkmeon
Damasias Dropides, die wir in der beglaubigten archontenliste bis hoch
in das siebente jahrhundert finden, zeigen, daſs damals dieselbe sitte
herrschte wie später, und die geschlechter ihre bestimmten eigennamen
mit vorliebe vererbten. aber in dieser angeblichen liste von Medontiden
kehrt kein einziger name wieder, und nur zwei (Archippos und Ther-
sippos) könnten allenfalls auf gentilicische verbindung führen, wenn das
ritterpferd nicht allzuvulgär in den namen wäre. dagegen Megakles
Alkmeon Ariphron weisen auf andere später bedeutende geschlechter.
Phorbas hatte in der stadt ein heiligtum und kommt als begleiter des The-
seus und sonst in genealogien und sagen vor. ich bezweifele gar nicht,
daſs es in alten zeiten einen leibhaften träger dieses namens in Athen
gegeben hat, der sich durch seine taten ein heroisches gedächtnis erhalten
hat: aber ein könig und ein Medontide ist der heros nicht gewesen.
die liste selbst sagt also, daſs sie höchstens die namen von archonten
enthalten kann. wenn die eponymie schon unter Akastos den königen
genommen ist, das königtum aber im hause der Medontiden bis auf den
archon Kleidikos verblieben, so ergibt das an sich keinen widerspruch;

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[134/0144] II. 5. Die könige von Athen. minder sicher sind die sieben zehnjährigen archonten, sowol wegen des Hippomenes, wie auch weil die zahl 70 ganz rund ist. das datum 753/2 ist also nur mit einer etwas gröſseren reserve als fest zu betrachten. das beeinfluſst auch die jahreszahlen der beiden letzten könige Aischylos und Alkmeon, die sonst zuverlässiger scheinen, insbesondere die zweijährige herrschaft des Alkmeon, die den anlaſs zu der verfassungsänderung offen- bar gegeben hat, sei es daſs er ohne erben so früh starb, sei es daſs man ihn, worauf die genealogie seiner nachfolger (anm. 14) deutet, als usurpator stürzte. damit kommen wir bis an das jahr 800, und mir fehlt der mut zu bestreiten, daſs noch eine ganze reihe namen aus älterer zeit überliefert sein könnten. die zahlen ihrer regierungen sind selbstverständ- lich nicht nur an sich wertlos, sondern nicht einmal durch eine beson- dere athenische rechnung gefunden. sie sind dazu bestimmt, die brücke zu der zeit der ionischen wanderung, oder, da diese nur ein relatives datum ist, zu dem falle von Ilios zu schlagen; diese punkte aber waren den Athenern durch andere chronologische systeme gegeben. immerhin gelangen wir, wenn wir auch nur die geschlechterfolge rechnen, mit Akastos, der als geschichtlicher könig durch den eid seiner nachfolger gesichert ist, über das jahr 1000 hinauf. Ich habe diesen weg bis zu ende verfolgt, um zu zeigen, daſs er gangbar ist. aber ich halte ihn doch für irreführend. denn die namen- liste ist nicht die eines griechischen geschlechtes. die Miltiades Alkmeon Damasias Dropides, die wir in der beglaubigten archontenliste bis hoch in das siebente jahrhundert finden, zeigen, daſs damals dieselbe sitte herrschte wie später, und die geschlechter ihre bestimmten eigennamen mit vorliebe vererbten. aber in dieser angeblichen liste von Medontiden kehrt kein einziger name wieder, und nur zwei (Archippos und Ther- sippos) könnten allenfalls auf gentilicische verbindung führen, wenn das ritterpferd nicht allzuvulgär in den namen wäre. dagegen Megakles Alkmeon Ariphron weisen auf andere später bedeutende geschlechter. Phorbas hatte in der stadt ein heiligtum und kommt als begleiter des The- seus und sonst in genealogien und sagen vor. ich bezweifele gar nicht, daſs es in alten zeiten einen leibhaften träger dieses namens in Athen gegeben hat, der sich durch seine taten ein heroisches gedächtnis erhalten hat: aber ein könig und ein Medontide ist der heros nicht gewesen. die liste selbst sagt also, daſs sie höchstens die namen von archonten enthalten kann. wenn die eponymie schon unter Akastos den königen genommen ist, das königtum aber im hause der Medontiden bis auf den archon Kleidikos verblieben, so ergibt das an sich keinen widerspruch;

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/144>, abgerufen am 19.04.2024.